Mehr Sicherheit bei psychiatrischer Medikation |
Brigitte M. Gensthaler |
03.06.2025 07:00 Uhr |
Psychiatrische Patienten sind oft vorsichtiger, zurückhaltender oder ängstlicher als psychisch gesunde. Dies müssen Arzt und Apotheker bei der Beratung berücksichtigen. / © Getty Images/Piksel
Interprofessionell im Berufsalltag und auf der Vortragsbühne in Meran: Dr. Julia Reiff, stellvertretende Klinikdirektorin am Vitos Klinikum Eichberg, Eltville, und Dr. Pamela Reißner, Klinische Apothekerin am Vitos Klinikum Hochtaunus, Bad Homburg, informierten über potenzielle Risiken einer antidepressiven Medikation und mögliche Auswege.
Antidepressiva machen nicht abhängig, aber wenn ein Patient eine Medikation, zum Beispiel aus Angst vor Nebenwirkungen, abrupt abbricht, können Absetzphänomene auftreten. Diese kann man sich mit dem Akronym FINISH merken: Flu-(Grippe-)artige Symptome, Insomnie, Nausea (Übelkeit), Imbalance (Unausgeglichenheit), sensorische Störungen und Hyperarousal (Agitiertheit, Unruhe).
Solche Beschwerden könnten die Patienten ängstigen und die Sicherheit der Arzneitherapie gefährden, sagte die Apothekerin. »Daher müssen wir in der Beratung sensibel sein und abwägen, welches Problem für den Patienten klinisch relevant ist, wo wir eingreifen müssen und wo wir den Druck rausnehmen können. In vielen Fällen gehen wir in die Diskussion mit dem Arzt.« Auch Psychiaterin Reiff mahnte zu einfühlsamer Beratung. »Als Fachleute können wir Risiken bewerten.«
Bei Aufnahme in die Vitos-Klinik werde bei jedem Patienten ein EKG geschrieben und die QT-Zeit gemessen, informierte Reiff. Zwar verlängern die meisten Psychopharmaka die QT-Zeit, aber graduell unterschiedlich. Nach wie vor würden depressive Patienten in erster Linie auf selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) eingestellt, aber nicht mehr auf (Es-)Citalopram, sondern auf Sertralin. Entscheidend für die Risikobewertung seien zudem die Blutspiegel, patienteneigene Risikofaktoren wie Elektrolytstörungen oder kardiovaskuläre Vorerkrankungen sowie eine QT-Zeit-verlängernde Komedikation, ergänzte Reißner und empfahl die Datenbank AzCERT. Apotheker sollten auch auf OTC-Medikation wie Doxylamin achten.
Psychiaterin und Apothekerin im Tandem: Dr. Julia Reiff (links) und Dr. Pamela Reißner / © PZ/Alois Müller
Bewertung der Expertinnen: »Es kommt auf begleitende Risikofaktoren und die sonstige Medikation an. Wichtig ist, dass ein EKG geschrieben wurde.« Wenn ein Patient im Steady-State im EKG kein QT-Problem hat, müsse man die Medikation nicht umstellen.
Vor einem Serotonin-Syndrom wird häufig gewarnt, aber es ist »sehr, sehr selten«, informierte Reißner. Typische Anfangssymptome sind leichte Nervosität, Unruhe, Tremor und Schlaflosigkeit. Es entstehe innerhalb von einem bis zwei Tagen nach Gabe eines neuen Arzneistoffs, einer serotonergen Kombination oder Dosiserhöhung. Man müsse alle serotonergen Arzneistoffe eines Patienten, andere Diagnosen und Begleitumstände überprüfen. Wichtig für Migränepatienten: Das Risiko unter Triptanen wird als sehr gering eingestuft.
Stichwort Blutungsrisiko: Dürfen Patienten unter SSRI-Therapie nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) oder ASS einnehmen? Hier gebe es »kein klares Ja oder Nein«, sondern eher ein »Es kommt darauf an«, antwortete Reißner. Nämlich auf das Blutungsrisiko der eingesetzten Wirkstoffe, auf mögliche Risikofaktoren und Maßnahmen zur Senkung der Blutungsgefahr.
Für Reiff ist es wichtig, das Blutungsrisiko vor allem bei älteren, eventuell dementen Personen, bei Blutungsereignissen in der Vorgeschichte oder schweren Grunderkrankungen sehr genau zu beachten. »Bei jüngeren gesunden Personen ist es nicht vorrangig.«
Die Expertinnen empfahlen, ein Antidepressivum mit geringem Blutungsrisiko zu wählen und möglichst das Analgetikum zu wechseln, wobei die Auswahl bekanntlich begrenzt ist (Paracetamol, Metamizol, Opioide). Die zeitlich begrenzte Gabe eines PPI könne sinnvoll sein. Sehr wichtig seien die Patientenaufklärung zu Risikofaktoren und Symptomen. Reißner: »Für die Apotheke ist es immer eine Frage, ob der Patient das Ausmaß einer Nebenwirkung erkennen und darauf reagieren kann und ob er gute Unterstützung hat.«