Mehr als ein Ohrgeräusch |
Laura Rudolph |
27.01.2025 12:00 Uhr |
Wie stark ein Tinnitus belastet, ist individuell sehr unterschiedlich. Die häufigste Folge eines dekompensierten Tinnitus sind Depressionen. / © AdobeStock/Satjawat
Ein Tinnitus kommt selten allein. Folgen können beispielsweise Schlaf- und Konzentrationsprobleme, Schwindel oder affektive Störungen sein. »Tinnitus kann zu einem enormen Leidensdruck bei den Betroffenen führen«, sagte Professor Dr. Birgit Mazurek, Direktorin des Tinnituszentrums der HNO-Klinik an der Berliner Charité.
Tinnitus habe auch eine starke soziale Komponente, beeinträchtige das Selbstwertgefühl und könne einsam machen, etwa wenn sich Patienten aus sozialen Interaktionen zurückzögen. Manchmal seien die Beschwerden so stark, dass Patienten darüber nachdenken, sich das Leben zu nehmen.
Beim Leidensdruck müsse zwischen einem kompensierten Tinnitus – den Patienten zwar wahrnehmen, der sie aber nicht sehr beeinträchtigt – und einem dekompensierten unterschieden werden, erklärte die Referentin. Wie sehr die Symptome belasten, hänge stark vom persönlichen Maß an Resilienz ab.
Professor Dr. Birgit Mazurek / © PZ/Alois Müller
»Tinnitus ist eine multikausale Erkrankung«, verdeutlichte Mazurek. Bei der Entstehung wirkten sogenannte Bottom-up- mit Top-down-Mechanismen zusammen. Erstere kommen »von unten«, ausgehend vom Ohr oder vom auditorischen Nervensystem, etwa Innenohrschäden oder Infektionen.
Bei einem Hörverlust versuche das Gehirn, fehlende Audiosignale in Form eines Tinnitus zu kompensieren (Top-down-Reaktion). Stress, Angst oder Veränderungen der neuronalen Aktivität können die Wahrnehmung der Ohrgeräusche verstärken.
Die häufigste Begleiterkrankung eines Tinnitus, insbesondere bei der dekompensierten Form, sei eine Depression. Dabei gelte: je schwerer der Tinnitus, desto höher die Depressivität. Tinnitus und Depressionen hätten einiges gemeinsam, erklärte die Ärztin. Symptome wie Angst, Fatigue oder Konzentrations- und Schlafstörungen könnten überlappen. Die Blutspiegel von Cortisol, TNFα und Interleukin-6 seien erhöht. Dabei korrelierten deren Konzentrationen mit der Lautstärke des Tinnitus. Eine Analyse der Daten von mehr als 160.000 Patienten aus der UK-Biobank habe zudem einen signifikanten Zusammenhang zwischen Schlaflosigkeit und einem dekompensierten Tinnitus gezeigt (relatives Risiko: 2,28).
Tinnitus kann mit Hörverlust einhergehen. »Eine Hörstörung ist mit 7 Prozent der größte modifizierbare Risikofaktor einer Demenz«, betonte die Referentin. Außerdem beanspruche eine Hörbeeinträchtigung kognitive Ressourcen. Das Gehirn habe dadurch weniger Kapazität für andere Aufgaben, was sich in einer verminderten Konzentration, einem schlechteren Kurzzeitgedächtnis und einer schlechteren Lernfähigkeit äußern kann. Bei entsprechenden Beschwerden reiche ein Hörgerät alleine nicht aus, sondern auch kognitives Training sei nötig.
Tinnitus beeinflusse auch das kardiovaskuläre Risiko. »Erste Arbeiten zeigen, dass Tinnitus Triglyceride signifikant erhöht«, sagte Mazurek. Ebenso sei das Verhältnis von LDL zu HDL erhöht.