Medizin


"Die unbehandelte Osteoporose stellt in vielen Fällen ein Ticket ins
Alters- oder Pflegeheim dar." So drastisch beschreibt Professor Dr. Helmut
W. Minne, Bad Pyrmont, die möglichen Folgen der Knochenerkrankung, die
keineswegs nur ältere und alte Frauen betrifft. Über 1,8 Millionen Frauen
und 0,8 Millionen Männer in Deutschland leben mit
Wirbelkörpereinbrüchen.
Jährlich erleiden bis zu 150.000 Menschen einen Oberschenkelhalsbruch, der die
Fähigkeit, ein selbständiges Leben zu führen, erheblich einschränken kann. Innerhalb
des ersten Jahres sterben 12 bis 20 Prozent der Patienten. Unbehandelt kommt die
Osteoporose nicht zum Stillstand; die Deformierung der Knochen nimmt
kontinuierlich zu. Je mehr Deformierungen, umso höher ist der Anteil an Patienten,
die in ihrem täglichen Leben auf Fremdhilfe angewiesen sind. Nach Minnes Ansicht
wäre die Hälfte der Oberschenkelhalsbrüche vermeidbar durch Hüftprotektoren,
Anpassung der Lebensverhältnisse und der Wohnung sowie pharmakologische
Maßnahmen.
Ein Stufenschema zur Therapie der Osteoporose sieht als Basis eine ausreichende
Calcium- und Vitamin-D-Versorgung vor. Körperliche Aktivität stabilisiert Knochen
und Bewegungsapparat. Hinzu kommen antiresorptive und osteo-anabole
Arzneimittel. Bei den anabolen Stoffen haben derzeit nur die Fluoride praktische
Bedeutung, erläuterte Professor Dr. Johann Diederich Ringe, Leverkusen, bei der
Einführungspressekonferenz einer Fluorid-Calcium-Brausetablette (Fluoril® 600/10,
Novartis Pharma).
Heute werde eine Tagesdosis von 15 bis 20 mg Fluoridionen empfohlen. Das Ion
wird aus Monofluorphosphat (MFP) besser resorbiert als aus Fluorid; MFP ist
zudem besser magenverträglich. Die Brausetablette, die 500 mg Calcium- und 10
mg Fluoridionen enthält, wird zweimal täglich unabhängig von den Mahlzeiten
genommen.
Dem Manko der Fluoride, daß bei hochdosierter Gabe zwar die Knochendichte um
8 bis 12 Prozent pro Jahr steigt, jedoch minderwertiger Knochen gebildet wird, will
man mit der Dosis begegnen. Ein moderater Anstieg der Knochendichte um 4 bis 6
Prozent jährlich sei günstiger. Ringe empfahl, die Fluoridgabe immer mit Calcium zu
kombinieren; dies soll verhindern, daß der neugebildete Knochen untermineralisiert
wird. Die Therapie ist nach drei bis vier Jahren zu beenden. Ferner ist die
Fluoriddosis bei eingeschränkter Nierenfunktion anzupassen. Bekommt der Patient
Schmerzen an den unteren Gliedmaßen, besonders im Sprunggelenk, soll die
Therapie für einige Wochen unterbrochen werden.
Die Fluorid/Calciumgabe ist keine Konkurrenz zur Hormonersatztherapie bei Frauen
in der Postmenopause. Für Dr. Jutta Semler, Berlin, ist sie dann indiziert, wenn die
Frauen Hormone nicht vertragen, ablehnen oder Kontraindikationen bestehen.
Mögliche Einsatzgebiete sieht sie ferner bei Frauen, bei denen die Menopause mehr
als zehn Jahre zurückliegt, bei erkrankten Männern und bei sekundärer, meist
Corticoid-induzierter Osteoporose.
PZ-Artikel von Brigitte M. Gensthaler, München


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