Medizin


Nahezu zeitgleich wurden im November letzten Jahres in Deutschland
und den USA neue Empfehlungen zur Hochdrucktherapie bekannt gegeben.
Wie ein erhöhter Blutdruck behandelt werden sollte, wird auf beiden Seiten
des Atlantiks durchaus unterschiedlich beurteilt. Das macht sich bereits in
der Bezeichnung der Empfehlungen bemerkbar: Gegenüber den
"Leitlinien" der Bundesrepublik stehen die "Richtlinien" der Vereinigten
Staaten.
Die Leitlinien der deutschen Hochdruckliga lassen dem Therapeuten große
Freiheiten. Die "6th Guidelines des amerikanischen Joint National Committee on
Prevention, Detection, Evaluation and Treatment of High Blood Pressure (JNC-VI)"
sind verbindlicher. Erkenntnisse neuer wissenschaftlicher Studien werden zügig
berücksichtigt.
Es beginnt bei der Ernährungsbehandlung: Das JNC zieht knapp ein halbes Jahr
nach Publikation der DASH-Studie die Konsequenzen. Die Studie hatte gezeigt,
daß die reichhaltige Zufuhr von Obst und Gemüse mit der Nahrung und die Senkung
des Anteils tierischer Fette zu einer deutlichen Blutdrucksenkung führt, die in vielen
Fällen eine medikamentöse Therapie erübrigt. Das JNC verlängert deshalb die
Phase der Ernährungsberatung, welche einer medikamentösen Therapie
vorgeschaltet sein sollte, von 3 bis 6 Monaten auf 1 Jahr. In Deutschland bleibt es
bei der milden Hypertonie bei einer Beratungsempfehlung von 6 Monaten.
Bei der Wahl des ersten Medikamentes stuft die Deutsche Hochdruckliga Diuretika,
Betablocker, Calciumantagonisten, ACE-Hemmer und Alpha-l-Blocker als
gleichberechtigt ein. Das JNC sieht wie bisher nur Diuretika und Betablocker vor.
Die Begründung: Nur für "diese Substanzgruppen wurde bisher ... in
Interventionsstudien ... eine Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität
nachgewiesen." Diese Einschätzung teilt auch die Hochdruckliga in ihren
Empfehlungen; sie zählt zu den Diuretika und Betablockern jedoch noch den
Calciumantnagonisten Nitrendipin hinzu.
Die erst im September publizierten Ergebnisse der Syst-Eur-Studie (Lancet Vol.
350, Nr. 9080, Seite 757-64) hatten ergeben, daß Nitrendipin (zum Teil in
Kombination mit ACE-Hemmer und Diuretikum) die Zahl der tödlichen und
nichttödlichen Schlaganfälle senkt. Eingeschlossen in die Studie waren jedoch nur
Patienten über 60 Jahre mit einer isolierten systolischen Hypertonie. Genau auf diese
Gruppe beschränken die JNC-VI-Autoren den Einsatz von Nitrendipin als
Monotherapeutikum. Ansonsten wird von Calciumantagonisten eher abgeraten. Vor
dem kurzwirkenden Nifedipin wird geradezu gewarnt.
Diese Einschränkung ist eine Folge der jüngsten Diskussion um die Sicherheit von
Nifedipin, das bei Koronarpatienten mit einem dosisabhängigen Anstieg der
Mortalität in Verbindung gebracht wurde. Die Hochdruckliga hat darauf reagiert,
indem sie Calciumantagonisten jetzt in vier Gruppen aufteilt (Nifedipin-Typ,
Diltiazem-Typ, Verapamil-Typ, T-Typ). Der Nifedipin-Typ erhält als neue
Kontraindikationen: instabile Angina pectoris und akuter Myokardinfarkt innerhalb
der ersten vier Wochen.
Unterschiede gibt es auch bei der Bewertung der ACE-Hemmer. In Deutschland
stehen sie gleichberechtigt neben Diuretika und Betablockern, in den USA ist der
Einsatz auf spezielle Indikationen beschränkt. Wegen der in Studien belegten
nephroprotektiven Wirkung sollten ACE-Hemmer bei Diabetikern und anderen
nierenkranken Patienten eingesetzt werden.
Richtlinien in den USA und Leitlinien in Deutschland bedeuten nun nicht, daß große
Unterschiede in der Behandlung bestehen. Eine Umfrage in über 35.000 Apotheken
hat ergeben, daß auch in den USA Calciumantagonisten und ACE-Hemmer immer
häufiger eingesetzt werden. Der Anteil der Calciumantagonisten an den verordneten
Antihypertensiva stieg von 33 Prozent 1992 auf 38 Prozent 1995. ACE-Hemmer
legten von 25 auf 33 Prozent zu, während der Anteil der Betablocker von 18 auf 11
Prozent zurückging und sich der von Diuretika von 16 auf 8 Prozent halbierte. Unter
den 10 am häufigsten verordneten Hochdruckmitteln waren 1995 nur zwei (ein
Betablocker, eine Diuretikakombination) Mittel der Wahl im Sinne von JNC-VI.
PZ-Artikel von Rüdiger Meyer, Hannover


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