Medikationsmanagement – weit mehr als eine Medikationsanalyse |
Daniela Hüttemann |
07.05.2021 11:00 Uhr |
Stationsapothekerin Wencke Walter begleitet Funktionsoberarzt Dr. Tilo Meyner bei der morgendlichen Visite im Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden. / Foto: UKD
Während die Medikationsanalyse aller Wahrscheinlichkeit nach in den Apotheken vor Ort ab Januar 2022 als pharmazeutische Dienstleistung zur Regelleistung wird, versucht man in den Krankenhäusern, schon einen Schritt weiter in Richtung umfassendes Medikationsmanagement zu gehen.
»Während die Medikationsanalyse eine individuelle Betreuung eines Patienten zum aktuellen Zeitpunkt ist, geht es beim Medikationsmanagement im Krankenhaus um die Begleitung des Patienten über den gesamten Krankenhausaufenthalt von der Aufnahme bis zur Entlassung«, erklärte Andreas Fischer, leitender Apotheker für die klinisch-pharmazeutische Stationsarbeit am Universitätsklinikum Dresden (UKD). »Ziel ist es, für jeden Patienten eine optimale Arzneimitteltherapie zu gewährleisten. Dafür müssen wir aber nicht jeden Patienten persönlich sehen.« Vielmehr gehe es darum, die Prozesse für die einzelnen Patientenkollektive zu verbessern, um insgesamt weniger intervenieren zu müssen.
Dass hier großer Bedarf besteht, zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, erläuterte Johanna-Charlotte Buro, Fachapothekerin für klinische Pharmazie und Stationsapothekerin in den Havelland Kliniken Nauen und Rathenow. Demnach sind rund 5 Prozent aller Krankenhauseinweisungen auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) zurückzuführen, von denen 25 Prozent bei einer optimierten Arzneimitteltherapie vermeidbar gewesen wären. Eine Studie ermittelte zudem, dass 5 Prozent aller Todesfälle bei einem stationären Aufenthalt an einem finnischen Universitätsklinikum arzneimittelinduziert waren.
Zum Medikationsmanagement gehörten aber nicht nur Anamnese-Gespräche und Stations- und Kurvenvisiten, sondern auch die Mitarbeit an hausinternen Leitlinien und Schulungsmaterialien oder Meldungen von UAW und Medikationsfehlern an die entsprechenden Stellen, also Arzneimittelkommissionen und CIRS-Netzwerke.
»Medikationsmanagement im Krankenhaus verlangt ein hohes Maß an Expertise und Spezialisierung«, betont Fischer. Neben einer Weiterbildung in Medikationsmanagement und klinischer Pharmazie empfiehlt er die Fachapotheker-Weiterbildung mit weiterer Spezialisierung auf Bereiche wie Geriatrie, Pädiatrie, Onkologie, Neurologie, Infektiologie oder Intensivmedizin. »Wir müssen mit Oberärzten auf einer Höhe über komplizierte Fälle diskutieren können«, so Fischer. Oft fehle hier die Evidenz in der Therapie und trotzdem müsse der Apotheker eine handfeste Empfehlung geben.
Ein großer Berg? Dann sollte man mit kleinen Projekten anfangen, rieten Buro und Fischer. So begann die Nauener Apothekerin 2016 mit einer Prozessanalyse und Strategieentwicklung für ein Anamnese-Gespräch bei der Aufnahme in die Allgemeinchirurgie. Über insgesamt zwei Jahre dokumentierte Buro ihre Arbeit genau: So schlug sie bei 382 von 526 Patienten mit Hausarztmedikation (73 Prozent) insgesamt 343 Interventionen vor und machte zusätzlich 23 CIRS- und acht AMK-Meldungen. Und tatsächlich erfolgten bei 299 Patienten daraufhin Änderungen – eine Quote von 79 Prozent.
Der Erfolg überzeugte die Klinikleitung, 1,5 zusätzliche Stellen für Stationsapotheker-Tätigkeiten zu schaffen. Um Übertragungsfehler von der Verordnung bis zur Verabreichung zu reduzieren, setzte sich Buro zudem für eine neue einheitliche und übersichtliche Papierkurve ein, die mittlerweile im ganzen Haus etabliert sei.
Als Stationsapothekerin in der Chirurgie führt sie mittlerweile nicht nur Aufnahmegespräche bei allen elektiven Eingriffen, sondern begleitet den Medikationsprozess auch im Haus bis hin zur Entlassung. Sie macht Ärzte auf fehlende oder unnötige Medikamente aufmerksam, überprüft Dosierungen und achtet auf Kontraindikationen und Wechselwirkungen. Den Pflegekräften gibt sie Tipps zur Rekonstitution und Applikation der Arzneimittel und stellt auch mal die Hausliste um, wenn die Pflegekräfte von Verwechslungsgefahren berichten.
»Ärzte und Pfleger schätzen den kurzen Dienstweg zu mir, sowohl die zusätzliche Kontrolle als auch meine Ansprechbarkeit bei Medikationsproblemen oder Lieferengpässen«, berichtet Buro. »Auf Wunsch berate und schule ich Patienten auch direkt am Krankenbett, zum Beispiel bei der Anwendung von Inhalatoren. Hier haben wir zum Beispiel unser Sortiment aufgestockt, um nicht zu viel umstellen zu müssen, und übersichtliche Informationsmaterialien zur korrekten Anwendung erstellt.«
»Sowohl der Patient als auch das Krankenhaus haben etwas davon, wenn die Patienten zufriedener sind und weniger Behandlungsfehler passieren«, ist Buro überzeugt, auch wenn sich nicht alles in Zahlen messen lasse. So profitierten zum Beispiel die Hausärzte, wenn die Patienten nach der Entlassung eine optimale Medikation mit vollständigem und gut verständlichem Medikationsplan hätten, den sie auch umsetzen können.
Zu den Services der Krankenhausapotheker der Havelland-Kliniken gehören auch Beratung zu parenteraler Ernährung oder bei Patienten mit Magenteilresektion, eine onkologische Patientensprechstunde zu Nebenwirkungen der Krebstherapie und ein Konsildienst für andere Fachbereiche, denn noch können nicht alle Stationen so umfassend von Apothekern betreut werden. Laufende Projekte seien die Ermittlung von Risikoscores für eine QT-Zeit-Verlängerung durch Medikamente in der Psychiatrie, eine systematische Medikationserfassung und das Entlassmanagement bei urologischen Patienten sowie die Teilnahme an der Visite des Diabetesteams, um die Therapie zu optimieren.
»Unser Ziel ist, noch weitere Apotheker für diese Tätigkeiten einzustellen«, so Buro. Derzeit verfügt das Team der Krankenhausapotheke über sieben Apothekerinnen und Apotheker, eine Pharmazieingenieurin und drei PKA für alle üblichen Aufgaben. 1,75 Stellen stünden für die Stationsarbeit und das ABS-Team zur Verfügung. 2020 zählten die Havelland-Kliniken 16.222 stationäre Fälle. Buro ist überzeugt, dass auch kleinere Häuser klinisch-pharmazeutische Dienstleistungen anbieten können, »man braucht nur einen langen Atem«.
Aber auch große Kliniken wie das UKD müssen sich die Ausweitung solcher Services schrittweise erarbeiten, berichtete Fischer. »2006 haben wir angefangen und betreuen mittlerweile 42 von 60 Stationen. Das sind 1060 der 1410 Betten, also 75 Prozent.« Allein für die Stationsarbeit stünden mittlerweile 19,5 Vollzeitstellen für Apotheker sowie drei volle PTA-Stellen bereit. Ziel sei es aber, die stationäre Gesamtversorgung des Klinikums zu erreichen, von der prästationären Aufnahme bis zum Entlass-Gespräch. Letztere würden in Dresden bislang noch nicht geführt.
Die Zahlen sind trotzdem beeindruckend: 2020 haben Fischer und sein Team mehr als 23.000 Patienten bei der Neuaufnahme gesehen,17.800 Arzneimittel-Anamnesen durchgeführt und 7000 Verordnungen vorbereitet. Auf Station nahmen sie an 600 Visiten teil (coronabedingt weniger als sonst) und führten 86.000 Medikationsanalysen durch. Sie führten 33.000 Gespräche mit Ärzten, 4200 mit Pflegekräften und 2600 mit Patienten. Zur Entlassung erstellten sie 14.600 Medikationspläne und überprüften bei 9000 Entlassbriefen die Medikation.
»Wir haben mehr als 22.000 Interventionen dokumentiert und dabei 5021 arzneimittelbezogene Probleme gefunden«, so Fischer. Bei 4 Prozent kam es zu einer dokumentierten Schädigung und bei weiteren 47 Prozent zu einer potenziellen Schädigung. Davon war 1 Prozent potenziell lebensbedrohlich. Die Umsetzungsrate der apothekerlichen Vorschläge durch die Ärzte lag bei 75 Prozent. »Durch unser Eingreifen haben wir schätzungsweise 2,3 bis 5,1 Millionen Euro eingespart oder besser gesagt, diese Kosten vermieden. Da es sich also nicht direkt in den Büchern niederschlägt, ist der wirtschaftliche Nutzen schwierig nachzuweisen.« Die Aufnahme von PTA in das Stationsapothekerteam soll dabei helfen, den klinisch-pharmazeutischen Service ökonomischer zu gestalten und Schritt für Schritt weiter ausbauen zu können.