Märchenstunde mit der AOK |
Leere Schubladen in den Apotheken? Davon weiß die AOK nichts. / Foto: Fotolia/Minerva Studio
Mit ihrer Inszenierung der Lieferengpass-Problematik habe die Pharmaindustrie »Teile der Politik kirre gemacht«, sagte Hermann am Donnerstag in Berlin. Die Positionspapiere von Union und SPD, in denen die Regierungspartner ihre Ideen für mehr Versorgungssicherheit festhalten, seien »in irgendwelchen Lobby-Hinterzimmern« geschrieben worden.
Nur die Arzneimittelhersteller selbst könnten für mehr Transparenz im Markt sorgen – das liefe jedoch ihren eigenen Interessen zuwider, so der Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg. Dass nun die Exklusivverträge öffentlich in der Kritik stehen, schmeckt ihm gar nicht. Die Vorstellung, dass eine Pflicht zur Mehrfachvergabe der Lose die Versorgungssicherheit stärken könnte, hält Hermann für Unsinn. Denn exklusive Verträge stellten für die Hersteller eine Abnahme-Garantie dar. Dies sei vor allem für mittelständische Unternehmen ein großes Plus: Seien sie lediglich einer von drei Partnern, produzierten sie lieber geringe Mengen ihrer Präparate, um nicht am Ende darauf sitzenzubleiben. Steige plötzlich der Bedarf, weil ein anderer Partner ausfalle, könnten sie das nicht ohne Weiteres kompensieren.
Laut Hermann würde eine Mehrfachvergabe-Pflicht folglich zu einer »nie dagewesenen Marktbereinigung« führen. Zudem erwarte er einen Preisanstieg auf Kosten der Beitragszahler um Hunderte Millionen Euro. »Wir beobachten, dass die Pharmaunternehmen deutlich vorsichtiger kalkulieren, wenn sie sich als einer von mehreren Partnern bewerben, als wenn ein Exklusivvertrag zu vergeben ist«, sagte er. Der Grund dafür sei, dass die Hersteller nicht wüssten, welchen Anteil am Markt sie erobern würden.
Christopher Hermann, AOK Baden-Württemberg / Foto: AOK Bundesverband
Damit ging der AOK-Mann sogleich zu Märchen Nummer zwei über: Höhere Arzneimittelpreise wirkten sich positiv auf die Lieferfähigkeiten aus. Alles Quatsch, meint Hermann. Denn die Hersteller mit Sitz in Deutschland und Europa delegierten die Produktion zumeist an Lohnhersteller im Nicht-EU-Ausland und fungierten als reine Vertreiber. »Wofür wollen die Firmen denn mehr Geld? Damit sie die Lohnhersteller besser bezahlen können?«
Auch der Vorwurf, die Hersteller würden aus Europa vertrieben, weil sie ihre Medikamente zu Dumpingpreisen anbieten müssten und so zwangsläufig in Länder auswandern müssten, in denen sie billiger produzieren könnten als in Deutschland, sei Teil einer gezielten Desinformationskampagne der Pharmaindustrie. Das untermauerte der AOK-Rabattvertragsexperte mit Zahlen aus dem eigenen Haus: Bei 230 Wirkstoffen, für die seine Krankenkasse einen Rabattvertrag geschlossen habe, verzeichnete sie nur elf Produktionsstätten außerhalb von Europa. Vier von fünf Partnern haben demnach ihren Sitz innerhalb der EU, 59 sogar in Deutschland.
AOK-Chef Martin Litsch wehrte sich ebenfalls gegen den schwarzen Peter, den nach seiner Ansicht nicht nur die Pharmaindustrie, sondern auch die Apotheker versuchten, den Kassen zuzuschieben. Ihnen sei die Große Koalition – namentlich nannte er den Arzneimittelexperten der Union, Michael Hennrich (CDU), und die SPD-Gesundheitspolitikerin Martina Stamm-Fibich – auf den Leim gegangen, wie an den Positionspapieren zu Lieferengpässen ersichtlich sei. »Da werden Dinge vermengt, die nicht zusammen gehören«, monierte er.
Die Ausschreibungspraktiken der Kassen für die aktuellen Probleme verantwortlich zu machen, wie es etwa Hennrich vergangene Woche bei einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) getan hatte, laufe schon deshalb ins Leere, weil insbesondere Krankenhäuser von Versorgungsengpässen betroffen seien. »In den Kliniken gibt es aber gar keine Rabattverträge«, betonte Litsch. In der ambulanten Versorgung sieht er keine Schwierigkeiten. »Nur 0,3 Prozent der rabattierten Arzneimittel der AOK sind nicht lieferbar«, sagte er. Und falls doch mal ein Medikament fehlen sollte, ziehe der Apotheker einfach das Präparat im Fach daneben aus der Schublade. »Daraus kann man wohl kaum ein Drama generieren.«