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Typische Verhaltensmuster erkennen

Macht Stress Kopfschmerz oder ist es umgekehrt?

Druck erzeugt Gegendruck. Das Grundprinzip der Physik gilt gleichfalls in der Medizin: Ein wesentlicher Trigger für Kopfschmerzen ist Stress. Umgekehrt sorgt ein erhöhter Stresslevel für Schmerz. Das sagen eine Schmerzmedizinerin und eine Psychologin zu der engen wechselseitigen Beziehung.
Elke Wolf
31.10.2024  09:00 Uhr

Stress ist einer der beiden Haupttrigger für Kopfschmerz- und Migränebeschwerden. Zumindest landet dieser mit 63 Prozent erneut neben Wetterumschwung (62 Prozent) auf dem vordersten Platz der auslösenden Faktoren im aktuellen Kopfschmerz- und Migräne-Report. Bei der repräsentativen Umfrage von Bilendi im Auftrag von Thomapyrin®-Hersteller Sanofi wurden 3051 Personen der deutschen Bevölkerung zu ihren Kopfschmerzen befragt.

Vor allem Frauen scheint Stress zu belasten: Deutlich mehr Frauen (71 Prozent) als Männer (55 Prozent) sehen in ihm den Auslöser für ihre Symptome. Jüngere sind am stärksten betroffen: 75 Prozent der 18- bis 29-Jährigen beziehungsweise 72 Prozent der 30- bis 39-Jährigen im Vergleich zu 32 Prozent der 70 bis 79-Jährigen.

Dass Stress Kopfschmerzen und Migräne verursachen oder sie intensivieren kann, erklärte Professorin Dr. Gudrun Goßrau, Leiterin der Kopfschmerzambulanz des Schmerzzentrums der Universitätsklinik Dresden, so: »Migräne ist eine neurologische, genetisch bedingte Erkrankung, der ein Genmix zugrunde liegt. Je nachdem, wie ausgeprägt diese Grunderkrankung ist, desto weniger weitere Belastungen wie Stress reichen aus, um diese auszulösen oder zu intensivieren.« Bei einer Pressekonferenz des Unternehmens Sanofi bezeichnete sie die Beziehung zwischen Stress und Kopfschmerz beziehungsweise Migräne als Teufelskreis, weil durch Stress die Beschwerden getriggert werden könnten und akuter Schmerz selbst wieder für erhöhte Pegel an Stresshormonen sorge.

»Wir sehen zum Beispiel in Untersuchungen, dass Menschen mit Migräne eine niedrigere Schwelle für Reize und Schmerzen haben, das bedeutet, dass sie im Alltag mehr Stressoren ausgesetzt sind beziehungsweise sensibler für diese sind. Und auch, dass Menschen mit Migräne bereits morgens nach dem Aufwachen deutlich höhere Cortisolwerte aufweisen als Gesunde.«

Gängige Verhaltensmuster

Dass auch bestimmte Verhaltensmuster die Beschwerden triggern können, deckt sich mit den Erfahrungen aus der Praxis von Psychologin Sabrina Moll: »Gerade Kopfschmerz- und Migränebetroffene versuchen ständig, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erledigen, um die möglichen Einschränkungen durch ihre Erkrankung zu kompensieren und setzen sich einem hohen Maß an Stress aus. Ihr Gehirn ist dann ständig gefordert, zwischen verschiedenen Aufgaben hin- und herzuspringen. Das erhöht die kognitive Belastung und bekommt Migränebetroffenen gar nicht.«

Als häufige Verhaltensmuster sieht Moll ein Streben nach Perfektionismus, eine geringe Abgrenzungsfähigkeit, indem Bedürfnisse nicht geäußert werden oder es schwerfällt, Nein zu sagen. Zudem die Fassade, immer zu funktionieren und durchzuhalten, Multitasking im Alltag und der Wunsch, alles unter Kontrolle zu haben. Das Bedürfnis, keine Schwäche zu zeigen, könne erheblich zur Häufigkeit und Schwere von Migräneanfällen beitragen, sagte sie. »Den Schilderungen meiner Patienten nach entsteht das zum einen durch die körperliche Belastung, die durch das Überforderungs- und auch muskuläre Anspannungserleben entsteht. Zum anderen scheint aber der stressbedingte Energieverlust sowie die emotionale Aktivierung die Schmerzsymptomatik erheblich zu beeinflussen.«

Resilienz schaffen

Was lässt sich nicht medikamentös tun, um den Beschwerden vorzubeugen oder sie zumindest zu reduzieren? Eine wirksame Strategie bestehe laut der Psychologin darin, negative Denkmuster zu identifizieren und Bewältigungsstrategien zu erlernen. »Das geht beispielsweise mit der kognitiven Verhaltenstherapie oder der klärungsorientierten Psychotherapie. Zusätzlich helfen achtsamkeitsbasierte Entspannungs- und Meditationstechniken wie Autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung, stressige Gedanken und Emotionen zu regulieren.« Auch nationale und internationale Leitlinien für Kopfschmerz und Migräne sehen in diesen nicht medikamentösen Therapien einen wichtigen Baustein zur Vorbeugung und Behandlung.

Moll erklärte die Zusammenhänge anhand des Bildes vom sprichwörtlichen Fass, welches der berühmte Tropfen zum Überlaufen bringt. »Ist das Maß voll und der Stress maximal, genügt eine Kleinigkeit und der Kopfschmerz ist da. Ist dagegen das Fass zuvor genügend leer, führt auch der Trigger nicht zur Auslösung der Schmerzen. Jedes Fass hat Ventile. Durch Achtsamkeits- und Meditationstechniken schaffen wir uns Ventile, sodass der Stresslevel im Rahmen bleibt und das Fass nicht zum Überlaufen kommt, also keine Schmerzattacke daraus erwächst.«

Stressvermeidung stresst

Dass es gar nicht so einfach ist, Kopfschmerzauslöser gezielt zu vermeiden, zeigen die Umfrageergebnisse. 38 Prozent der Befragten gelingt dies zwar meistens oder sogar immer, doch 44 Prozent weniger bis nie. Und 18 Prozent versuchen es erst gar nicht. »Ein wichtiger Faktor ist die Selbstwirksamkeit, also das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Herausforderungen erfolgreich zu meistern«, meint Psychologin Moll. »Wenn jemand weiß, dass er oder sie in der Lage ist, mit Herausforderungen umzugehen, sinkt automatisch das empfundene Stressniveau.«

Doch Achtung! Die Bemühungen, Auslöser zu vermeiden, können auch selbst neuen Druck erzeugen. Das bestätigt die Umfrage: Etwa jede dritte befragte Person fühlt sich dadurch immer oder meistens gestresst. Willkommen im Teufelskreis! Denn durch den Versuch, Stress um jeden Preis zu vermeiden, und Schuldgefühle – wenn es etwa nicht gelang, einen regelmäßigen Tages- und Schlafrhythmus einzuhalten – setzt den Betroffenen noch mehr unter Zugzwang und verstärkt die Symptome.

Kopfschmerzspezialistin Goßrau hält psychologische Unterstützung dann für sinnvoll, wenn eine langfristige Überforderung mit zu hohen Alltagsbelastungen und bestimmten Verhaltensmustern nachgewiesen wurde. »Dies darf allerdings nicht mit dem Gefühl einer Stigmatisierung einhergehen, nach dem Motto »Du machst etwas falsch«. Denn das kann noch mehr Druck erzeugen.«

Bei regelmäßigen Beschwerden ist in jedem Fall ein Arztbesuch ratsam. »Nur dort lassen sich Ursachen abklären und eine Diagnose stellen, etwa Migräne von Cluster-Kopfschmerzen oder Spannungskopfschmerzen differenzieren. Vor allem bei Jüngeren ist das wichtig, von denen derzeit eine Welle an Betroffenen auf uns zurollt. Denn nur durch eine frühzeitige Diagnose und Versorgung lässt sich die Zahl chronischer Kopfschmerzpatienten reduzieren. Kopfschmerzen und Migräne sind in ihrer Entstehung sehr individuell und sollten auch so behandelt werden.«

Was hilft, eine Attacke akut zu lindern? An erster Stelle für Linderung im Akutfall stehen bei 67 Prozent der befragten Betroffenen Schmerzmittel. Aber auch Stille (53 Prozent), Ausruhen/Termine absagen (52 Prozent) und bewusste Entspannung (37 Prozent) scheinen zu helfen.

Was meint Goßrau zum hohen Stellenwert von rezeptfreien Analgetika? »Es geht nicht ohne Medikamente. Auch wenn eine nicht medikamentöse Prophylaxe sowie ein gesunder Lebensstil die Basis bilden, gilt es, im Akutfall mit einem Schmerzmittel zu behandeln – und Kopfschmerzen oder Migräneattacken keinesfalls auszuhalten. Denn das erhöht wegen der Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses das Risiko einer Chronifizierung.«

Leitliniengemäß bieten sich Analgetika wie Ibuprofen oder Paracetamol an, spezifische Migränemedikamente wie Triptane können in der Migränetherapie gute Effekte zeigen. Kombinationspräparate mit Analgetika und Koffein waren in Studien zwar wirksamer als Monopräparate. Die Leitlinienautoren raten allerdings zu einem zurückhaltenden Einsatz, da sie ein höheres Nebenwirkungspotenzial aufweisen. Erst wenn die Einzelsubstanzen nicht ausreichend wirken, soll auf die koffeinhaltigen Präparate zurückgegriffen werden. Die Einnahmegrenzen liegen für Kombipräparate bei 10 Tagen im Monat, bei Monopräparaten bei 15 Tagen.

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