| Kerstin A. Gräfe |
| 04.02.2021 07:00 Uhr |
Bei der Erbkrankheit primäre Hyperoxalurie Typ 1 lagert sich überschüssiges Oxalat als unlösliches Calciumsalz in den Nieren und anderen Organen ab. / Foto: Adobe Stock / Crystal light
Das Orphan Drug Lumasiran (Oxlumo® 94,5 mg/0,5 ml Injektionslösung, Alnylam) wird angewendet zur Behandlung der primären Hyperoxalurie Typ 1 (PH1) und darf in allen Altersgruppen zum Einsatz kommen.
PH1 ist eine sehr seltene Erkrankung, die mit einer übermäßigen Oxalat-Produktion einhergeht. Ursache ist ein Defekt des peroxisomalen Enzyms Alanin-Glyoxylat-Aminotransferase (AGT), das die Umwandlung von Glyoxylat zu Glycin in der Leber katalysiert. Beim Fehlen von AGT wird Glyoxylat in Oxalat umgewandelt, das sich als unlösliches Calciumsalz in der Niere und anderen Organen wie Knochen, Augen, Haut und Herz ablagert. Im Endstadium kann dies zu einer lebensbedrohlichen Nierenerkrankung und anderen systemischen Komplikationen führen. Die Behandlungsmöglichkeiten sind derzeit begrenzt und umfassen Dialyse oder kombinierte Organtransplantationen von Leber und Nieren. Eine kleine Minderheit der Patienten spricht auf eine Vitamin B6-Therapie an.
Lumasiran ist ein RNAi-Therapeutikum, das auf die Hydroxysäure-Oxidase 1 (HAO1) abzielt. HAO1 kodiert für die Glykolat-Oxidase (GO), ein Enzym, das dem krankheitsverursachenden Defekt der PH1 vorgeschaltet ist. Lumasiran wirkt, indem es die HAO1-Boten-RNA abbaut und die Synthese von GO reduziert. Verringerte GO-Enzymwerte reduzieren die Menge an verfügbarem Glyoxylat, einem Substrat für die Bildung von Oxalat. Dies führt zu einer Senkung der (erhöhten) Oxalatspiegel in Urin und Plasma, der eigentlichen Ursache für Krankheitsmanifestationen bei Patienten mit PH1.
Lumasiran wird subkutan injiziert, am besten in den Unterbauch, den Oberarm oder den Oberschenkel. Die empfohlene Dosis richtet sich nach dem Körpergewicht und besteht aus Initialdosen einmal monatlich über drei Monate, gefolgt von Erhaltungsdosen.
Die Behandlung mit Oxlumo erhöht den Plasmaglykolatspiegel, was bei Patienten mit schwerer oder im Endstadium befindlicher Nierenerkrankung das Risiko einer metabolischen Azidose oder einer Verschlimmerung einer bereits bestehenden metabolischen Azidose erhöhen kann. Diese Patienten sollten daher auf Anzeichen und Symptome einer metabolischen Azidose überwacht werden.
Bei Patienten mit mäßiger oder schwerer Leberfunktionsstörung besteht die Möglichkeit einer verminderten Wirksamkeit. Daher sollte die Wirksamkeit bei diesen Patienten überwacht werden.
Wird eine Anwendung von Lumasiran während der Schwangerschaft in Betracht gezogen, sollte der erwartete Nutzen für die Gesundheit der Frau gegenüber dem potenziellen Risiko für das Ungeborene abgewogen werden. In der Stillzeit muss eine Entscheidung getroffen werden, ob die Frau abstillt oder die Behandlung mit Oxlumo unterbrochen beziehungsweise darauf verzichtet werden sollte.
Die Zulassung stützt sich auf die Daten zur Wirksamkeit und zur Sicherheit aus der Phase-III-Studie ILLUMINATE-A und der pädiatrischen Phase-III-Studie ILLUMINATE-B. In ILLUMINATE-A wurden 39 Patienten mit PH1 im Verhältnis 2:1 randomisiert und erhielten während der sechsmonatigen Studienphase subkutan Lumasiran (n = 26) oder Placebo (n = 13). Eingeschlossen wurden Patienten ab sechs Jahren mit einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) von ≥ 30 ml/min/1,73 m². Primärer Endpunkt war die prozentuale Verringerung der nach Körperoberfläche korrigierten Oxalatausscheidung im 24-Stunden-Sammelurin gegenüber dem Ausgangswert, gemittelt über die Monate 3 bis 6. Lumasiran war mit einer statistisch signifikanten Verringerung des nach Körperoberfläche korrigierten Oxalats im 24-Stunden-Sammelurin von 65,4 Prozent gegenüber 11,8 Prozent in der Placebogruppe assoziiert, was einer Differenz von 53,5 Prozent entspricht.
In der ILLUMINATE-B Phase-III-Studie konnten die Ergebnisse zur Wirksamkeit und zum Sicherheitsprofil von Lumasiran in der Anwendung bei Kindern unter sechs Jahren bestätigt werden. Die Ergebnisse waren vergleichbar mit denen aus der ILLUMINATE-A-Studie.
Als häufigste Nebenwirkungen traten Reaktionen an der Injektionsstelle wie Erytheme, Schmerzen, Juckreiz und Schwellungen auf. Ebenfalls sehr häufig wurden Abdominalschmerzen beobachtet.
Das Prinzip der RNA-Interferenz und die dazu gehörigen RNA-i-Therapeutika verfolgen einen innovativen Ansatz. Nach Patisiran und Givosiran ist Lumasiran nun das dritte RNA-i-Therapeutikum im Handel. Im Februar wird mit Inclisiran schon Nummer 4 folgen.
Das Ziel von Lumasiran ist die m-RNA für das Enzym Glykolat-Oxidase (GO). Der Wirkstoff senkt den GO-Spiegel im Körper und im Folgenden auch den Oxalat-Spiegel. Die Ergebnisse der Zulassungsstudien beweisen, wie gut das funktioniert. In ILLUMINATE-A erreichte zum Beispiel die Hälfte der Patienten dank Lumasiran eine Normalisierung (obere Normgrenze) der Oxalat-Spiegel im 24-Stunden-Sammelurin, in der Placebogruppe wurde dieses Ziel bei allen Patienten verpasst.
Lumasiran ist auch deshalb eine Sprunginnovation, weil es die erste bei primärer Hyperoxalurie Typ 1 zugelassene pharmakologische Therapieoption ist und die Behandlungsansätze bisher nur darauf abzielten, das Fortschreiten des Nierenversagens zu verzögern, sie verhindern jedoch nicht die Überproduktion von Oxalat.
Sven Siebenand, Chefredakteur