Lieferengpass bei Fiebersäften spitzt sich zu |
Melanie Höhn |
13.07.2022 14:30 Uhr |
Der Ben-u-ron-Fiebersaft wird voraussichtlich Mitte bis Ende Juli wieder verfügbar sein, sagte eine Sprecherin gegenüber der PZ. / Foto: picture alliance / photothek
Über Lieferschwierigkeiten einiger Medikamente für Kinder – darunter Nasensprays und Suppositorien – hatte die PZ in den vergangenen Monaten immer wieder berichtet. Schon im Mai meldete Ratiopharm einen »vorübergehenden Lieferausfall« seiner Paracetamol-Lösung für Kinder aufgrund von gestiegener Nachfrage. Nun spitzt sich die Lage bei den flüssigen Arzneimitteln für Kinder mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol zu.
Die Rückmeldungen aus Apotheken zeigen: Es gibt starke regionale Differenzen in der Verfügbarkeit. In hessischen Apotheken sind teilweise keine Lieferprobleme aufgetreten. Dennoch ist die Versorgungslage in vielen Teilen Deutschlands mehr als angespannt. Eine junge Apothekerin aus Freiburg berichtete der PZ, dass nur noch acht Flaschen Paracetamol-Saft für Kinder in ihrer Apotheke auf Lager seien. »Was danach kommt, wissen wir nicht«, sagte sie. Ihr Team stelle Überlegungen an, entsprechende Lösungen selbst herzustellen – doch dies sei teuer.
Auch aus Berlin, München und Nordrhein-Westfalen meldeten Apotheker Lieferschwierigkeiten bei Fiebersäften für Kinder. »Es macht mir wirklich auch Sorge, denn es gibt nun mal Kleinkinder, die nicht anders versorgt werden können, als mit diesen zwei Säften«, sagte ein Münchener Apotheker. »Ein Ausweichen auf die Ibuprofen-Schmelztabletten bei Kindern älter als fünf oder sechs Jahre, die ein Zäpfchen nicht mehr tolerieren, versuchen wir in der täglichen Beratung«, erklärte er weiter. Einen Paracetamol-Saft selbst herzustellen, habe er noch nicht in Angriff genommen, aber er werde die Suspension »sicherlich bald« aus Tabletten herstellen, denn auch Paracetamol als Ausgangsstoff für die Rezepturherstellung ist derzeit kaum zu bekommen.
Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sei bekannt, dass es »zur Zeit zu einer eingeschränkten Verfügbarkeit« bei der Versorgung mit Paracetamol-haltigen Fiebersäften kommen könne. Durch ungleichmäßige Verteilung der bestehenden Kontingente könne es lokal zu einzelnen Nichtverfügbarkeiten kommen, sagte ein Sprecher auf Nachfrage der PZ. Die Ursache für die Engpässe bei den pädiatrischen Darreichungsformen mit dem Wirkstoff Paracetamol liege laut BfArM im Marktrückzug eines Zulassungsinhabers. Die PZ berichtete bereits darüber, dass die Firma 1A Pharma die Produktion mangels Wirtschaftlichkeit zum 1. Mai 2022 einstellte.
Die betroffenen Marktanteile konnten nicht kurzfristig von den weiteren Marktteilnehmern übernommen werden, wodurch es zu einer Unterversorgung des Marktes kam, so der Sprecher. In der Folge wurden als Alternativpräparate pädiatrische Formulierungen mit dem Wirkstoff Ibuprofen verstärkt nachgefragt. »Der entstehende Effekt führte bei diesen Produkten ebenfalls zu Engpässen, welche inzwischen weitestgehend behoben werden konnten«, erklärte er weiter. Einschränkungen in der Verfügbarkeit von Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Ibuprofen in flüssigen Darreichungsformen gebe es seit Mitte Juni nicht mehr.
Die verbleibenden Marktteilnehmer für Paracetamol-haltige Säfte sind laut BfArM bestrebt, die offenen Marktanteile abzufangen und steigern die Produktion, um der Nachfrage gerecht zu werden. Nach Aussagen eines der betroffenen Unternehmen könne im Herbst mit der vollständigen Kompensation der Marktanteile des ausgeschiedenen Zulassungsinhabers gerechnet werden, so das BfArM.
Eine Unterversorgung des Marktes mit Ibuprofen-haltigen Arzneimitteln generell sei nach dem Kenntnisstand des BfArM zu keinem Zeitpunkt eingetreten. Dem BfArM seien weitere Lieferengpässe für verschiedene Schmerzmittel gemeldet, von denen jedoch keiner als kritisch eingestuft wird. Betroffen seien verschiedene Morphin-Derivate sowie Paracetamol-Tabletten.
Die Apothekergenossenschaft Noweda bestätigte auf Nachfrage der PZ einen Engpass bei Säften mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol. »Auch Zäpfchen mit einer für Kinder üblichen Dosierung sind momentan von einem Engpass betroffen«, sagte eine Sprecherin. Eine generelle Wirkstoffknappheit bei Paracetamol und Ibuprofen gebe es jedoch nicht, Produkte für Erwachsene seien vorhanden, so die Sprecherin weiter.
Gehe/Alliance Healthcare Deutschland (AHD) verzeichnen laut einer Unternehmenssprecherin bei Ibuprofen-Präparaten insgesamt eine verstärkte Nachfrage verglichen mit dem Niveau der Vormonate. »Da aktuell nicht mehr alle unsere Bestellungen vollumfänglich bedient werden können, kann es zu temporären Einschränkungen bei der Auslieferung von Ibuprofen-, aber auch von Paracetamol-Säften kommen«, ließ die Sprecherin verlauten. »Wir sind im engen Austausch mit den Herstellern, die die Säfte vertreiben, um die erhöhten Nachfragen der Apotheken schnellstmöglich wieder uneingeschränkt bedienen zu können«, sagte sie weiter. Bei Paracetamol-Fieberzäpfchen seien verstärkte Nachfragen bei den Säuglings- und Kinder-Suppositorien durch den Ausfall der Säfte ersichtlich, hier seien aber immer noch Alternativen erhältlich. Fieberzäpfchen für Erwachsene seien aktuell nicht betroffen.
Ratiopharm erklärte auf Nachfrage der PZ, dass einzelne Schmerzmittel-Präparate – darunter Fiebersäfte für Kinder mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibuprofen – »derzeit nicht oder nur teilweise« ausgeliefert werden können. Zudem gebe es einen Engpass bei den Kindernasensprays. »Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Produkte wieder für den Markt zur Verfügung zu stellen«, sagte eine Sprecherin. Die Lieferengpässe seien auf einen unerwarteten und stark erhöhten Bedarf im Markt aufgrund der Erkältungs- und Grippewelle zurückzuführen.
»Auf Grund der hohen Nachfrage haben wir in der Wintersaison 21/22 (Oktober bis März) im Vergleich zum Vorjahreszeitrum 64 Prozent mehr Nasenspray-ratiopharm Kinder auf den Markt gebracht. Zudem verstärken Lieferverzögerungen unserer Wirkstoffhersteller die angespannte Lage. Globale Lieferketten-Problematiken und der anhaltende Fachkräfte-Mangel, die derzeit in vielen Bereichen des täglichen Lebens spürbar sind, erschweren die Situation zusätzlich«, so die Sprecherin. In naher Zukunft seien Lieferengpässe bei einzelnen unserer Präparate nicht auszuschließen.
Eine Sprecherin der Firma Bene Arzneimittel GmbH bestätigte auf Nachfrage der PZ, dass der Ben-u-ron-Saft voraussichtlich Mitte bis Ende Juli wieder verfügbar sein werde. »Die Ben-u-ron-Zäpfchen in entsprechenden Kinder-Dosierungen sind aber uneingeschränkt erhältlich«, sagte sie weiter.
Das Unternehmen Reckitt Benckiser Deutschland GmbH, das den Nurofen-Fiebersaft für Kinder herstellt, erklärte gegenüber der PZ: »Generell ist die Entwicklung der Nachfrage nach Nurofen Fieber- und Schmerzsäfte derzeit nur schwer vorauszusehen und es kann in Ausnahmefällen zu gelegentlichen, punktuellen Lieferverzögerungen und -engpässen kommen«. Das Unternehmen sei zuversichtlich, die Nachfrage »trotz dieser kurzzeitigen Einschränkungen weiterhin zur vollen Zufriedenheit zu bedienen«. Eine gute Alternative zu Säften seien die Nurofen-Zäpfchen für Kinder und ab sechs Jahren die Nurofen Schmelztabletten.
Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein, spricht von einem ernsthaften Versorgungsengpass, den es so bisher noch nie gegeben habe. Die Situation sei sehr dynamisch. »Jetzt im Sommer schon können Großhändler und Hersteller keine Paracetamol- und Ibuprofensäfte für Kinder ausliefern. Wenn die Industrie jetzt nicht schnell die Produktion und Auslieferung garantieren kann, werden wir im Winter zunehmend Probleme bekommen«, sagte er auf Nachfrage der PZ.
Preis forderte »dringende Transparenz« bei Lieferproblemen, damit Apotheker darüber informiert werden, wann Ware wieder verfügbar und ob die Marktabdeckung gesichert ist. »Wir müssen zuverlässig planen und Patientinnen und Patienten sowie Ärzte informieren können«, erklärte Preis. Auch bei Kindernasensprays und Hustensäften würden sich Lieferschwierigkeiten abzeichnen, sagte er.
Zudem gebe es im verschreibungspflichtigen Bereich viele Medikamente, die nicht lieferbar sind: Asthmamittel oder Medikamente gegen Cholesterin beispielsweise. »Jeden Tag bekommen wir neue Informationen über nicht lieferbare Arzneimittel. Das ist ein großes Hindernis für eine gute Versorgung und beschäftigt die Apotheken bei der Beratung und der Abgabe sehr. Aber auch die Planung der Versorgung für den vor uns liegenden Corona-Winter wird erschwert«, kritisierte Preis. »Apotheken müssen rund um die Uhr eine Lieferbarkeit gewährleisten, vor allem im Notdienst können fehlende Arzneimittel zu sehr vielen Problemen führen.«