Lästig bis lebensbedrohlich |
Laura Rudolph |
22.01.2024 18:00 Uhr |
Symptome von Arzneimittelallergien können von einem harmlosen Jucken bis hin zu schwerwiegenden Syndromen reichen. / Foto: Getty Images/triocean
Eine Arzneimittelallergie entsteht meist dann, wenn ein Arzneistoff oder dessen reaktiver Metabolit kovalent an zellgebundene Proteine bindet. Klassifiziert das Immunsystem diesen Protein-Wirkstoff-Komplex als pathogen, bildet es Antikörper und/oder initiiert eine T-Zell-Antwort.
Anhand der zugrundeliegenden Immunmechanismen lassen sich Arzneimittelallergien – wie alle Allergien – in vier Typen unterteilen. Über die Pathomechanismen und relevante Arzneistoffe referierte Dr. Peter Ruth, Professor für Pharmakologie, Klinische Pharmazie und Toxikologie an der Universität Tübingen.
Professor Dr. Peter Ruth beim Pharmacon in Schladming / Foto: Alois Müller
Typ-I-Reaktionen vom Soforttyp werden durch allergenspezifische IgE-Antikörper vermittelt und führen zur massiven Freisetzung von Entzündungsmediatoren aus Mastzellen und Granulozyten. Die Symptome zeigen sich bereits nach wenigen Minuten und reichen von Quaddelbildung über Bronchokonstriktion bis hin zur lebensbedrohlichen Anaphylaxie. Zu den Arzneistoffen, die am häufigsten Anaphylaxien auslösen, zählen Antibiotika wie Cefazolin, Cefuroxim und Moxifloxacin sowie Propofol und das Muskelrelaxans Rocuronium, erklärte Ruth.
Typ-II-Allergien entstehen durch zytotoxische Immunreaktionen. Das Immunsystem bildet IgG-Antikörper gegen arzneimittelbedingt veränderte Epitope auf Zelloberflächenproteinen von Blutzellen. Durch das Komplementsystem, Phagozytose oder antikörperabhängige Zytotoxizität werden die mit IgG markierten Zellen zerstört. Je nach betroffenem Zelltyp können nach Stunden bis Tagen Hämolyse, Thrombozytopenie oder Agranulozytose auftreten.
»Selbst, wenn das Medikament bereits abgesetzt wurde, kann die Zellzerstörung noch weiter fortschreiten«, sagte Ruth. Dies sei der Fall, wenn Typ-II-Allergene stark an die Membranbestandteile der Blutzellen binden.
Vergleichsweise häufige Agranulozytose-Auslöser sind neben Metamizol auch Ibuprofen, Phenylbutazon, Antibiotika wie Sulfonamide, Cephalosporine und Metronidazol sowie Thyreostatika wie Thiamazol, Carbimazol und Propylthiouracil.
Bei Typ-III-Reaktionen lagern sich Immunkomplexe aus Antigenen und Antikörpern in den Gefäßwänden verschiedener Organe ab und rufen Entzündungen hervor. Ein Beispiel hierfür ist der medikamentöse Lupus erythematodes, der etwa mit Fieber, allgemeiner Schwäche, Lymphknotenentzündung und auffälligen Rötungen an Wangen und Nase (»Schmetterlingserythem«) einhergeht. Als Auslöser kommen unter anderem α-Methyldopa, der TNFα-Antikörper Infliximab, Etanercept, Isoniazid und Phenytoin infrage.
Die Symptome einer Spättyp-Reaktion vom Typ IV treten erst Tage bis Monate nach der Arzneimittelanwendung auf und gehen mit Hautveränderungen einher. Sie lassen sich je nach den beteiligten Immunzellen in vier Untergruppen (IVa bis IVd) einteilen. »Arzneimittelexantheme können selbst bei therapeutischen Dosen eines Medikamentes vorkommen«, betonte Ruth.
Die Reaktionen des T-zellvermittelten Spättyps IVc beinhalten ernste Hautreaktionen wie das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS): Zytotoxische T-Zellen und natürliche Killerzellen erkennen arzneimittelbedingt modifizierte Epitope und setzen Granulysin frei. Dieser Stoff schädigt die Hautzellen massiv und führt bis zur Ablösung der Epidermis. Glücklicherweise ist das SJS mit etwa zwei neuen Fällen pro eine Million Menschen pro Jahr sehr selten. Ausgelöst werden kann es beispielsweise durch Penicilline, Cotrimoxazol oder Phenytoin.