Lässt sich Rheuma verhindern? |
Brigitte M. Gensthaler |
23.08.2023 16:30 Uhr |
Trotz moderner Immunsuppressiva gilt eine rheumatoide Arthritis als nicht heilbar. Eventuell lässt sich aber die Erstmanifestation hinauszögern. / Foto: Adobe Stock/narstudio
Die rheumatoide Arthritis (RA) beeinflusst die Lebensgestaltung und Lebensqualität der Patienten erheblich. »Doch können wir die Krankheit so früh diagnostizieren, dass wir sie verhindern können?«, fragte Professor Dr. Andrea Rubbert-Roth, Leitende Ärztin der Klinik für Rheumatologie am Kantonsspital St. Gallen, heute bei der digitalen Vorabpressekonferenz zum Deutschen Rheumatologie-Kongress Ende August. Sie stellte drei Studien vor und sprach von »spannender Zukunftsmusik«.
In der doppelblinden placebokontrollierten TREAT-EARLIER-Studie in den Niederlanden wurde die frühe Gabe von Methotrexat (MTX) – nach wie vor die initiale Standardtherapie bei RA – erprobt. Eingeschlossen wurden 236 Personen mit positiven Rheuma-Blutwerten und Symptomen wie Sehnenscheidenentzündung oder Gelenkschmerzen ohne Schwellung. Alle hatten nach Einschätzung des behandelnden Rheumatologen ein hohes Risiko für eine RA. Sie erhielten randomisiert eine einmalige intramuskuläre Injektion von 120 mg Methylprednisolon und dann ein Jahr lang oral MTX (bis zu 25 mg/Woche) oder Placebo (Injektion plus Tabletten). Dann wurde ein Jahr nachbeobachtet.
Das Ergebnis war »etwas enttäuschend«, so Rubbert-Roth. »Es ging den Patienten besser, aber man konnte die Entwicklung einer RA nicht verhindern.« Nahezu jeder fünfte Teilnehmer entwickelte die Krankheit. Allerdings verbesserte die frühe Medikation die subjektive Funktionsfähigkeit, Schmerz oder Morgensteifigkeit sowie die Entzündungszeichen im MRT über zwei Jahre. Die Studienautoren folgerten, dass MTX zwar nicht das Auftreten einer klinischen RA verhindern, jedoch den frühen Krankheitsverlauf modifizieren könne.
In zwei Phase-IIb-Studien, die auf Kongressen präsentiert wurden, kam das Biologikum Abatacept zum Einsatz, das T-Zellen blockiert. Diese spielten bei der frühen RA eine wichtige pathogenetische Rolle, erklärte die Rheumatologin.
Die multizentrische ARIAA-Studie lief unter Leitung der Universitätsklinik Erlangen. Eingeschlossen waren knapp 100 Personen mit Gelenkschmerzen (ohne erkennbare Schwellungen), entzündlichen Veränderungen im MRT sowie Nachweis von ACPA (Antikörper gegen citrullinierte Peptide) als »RA-Marker«. Sie erhielten entweder Abatacept 125 mg wöchentlich subkutan oder Placebo über sechs Monate und wurden dann ein Jahr lang nachbeobachtet.
»Nach sechs Monaten gab es signifikant weniger RA-Diagnosen und dieser Unterschied blieb über 18 Monate erhalten«, so Rubbert-Roth. Nach 18 Monaten, also ein Jahr nach Therapieende, hatten 35 Prozent der Abatacept-Patienten und 57 Prozent im Placebo-Arm eine RA entwickelt. Auch die Verbesserung der Entzündungszeichen im MRT war nach 18 Monate noch erhalten.
Ähnliche Ergebnisse zeigt die APIPPRA-Studie in Großbritannien und den Niederlanden (DOI: 10.1136/annrheumdis-2023-eular.1751). Eingeschlossen wurden 213 Menschen mit Arthralgien (ohne Arthritis) und entweder hoch positiven ACPA-Werten oder positiven Werten für ACPA und Rheumafaktoren. Sie erhielten ein Jahr lang ebenfalls das Fusionsprotein (125 mg pro Woche subkutan) oder Placebo. Nach 52 Wochen hatten signifikant weniger Patienten unter Abatacept eine RA oder Arthritis in mehr als drei Gelenken (primärer Endpunkt) als unter Placebo (6 versus 29 Prozent). Der Unterschied war auch nach zwölf Monaten Nachbeobachtungszeit noch statistisch signifikant.
Beide Studien hätten gezeigt, dass eine Frühintervention bei Hochrisikopatienten möglich sei und gut toleriert werde, resümierte Rubbert-Roth. »Wenn es uns gelingt, Risikopatienten früh zu identifizieren und zu behandeln, ist dies sehr interessant und langfristig auch gesundheitsökonomisch attraktiv.« Abatacept sei aber nicht zugelassen zur Prophylaxe, sondern erst bei diagnostizierter RA.
Allerdings ist die Frühdiagnose einer RA vor der klinischen Manifestation schwierig, da es keine validen prädiktiven Marker gibt. Werden Rheumafaktoren und ACPA bei Personen ohne Gelenkbeschwerden nachgewiesen, bedeutet dies nicht automatisch, dass diese später eine RA entwickeln. Jedoch seien ACPA und Rheumafaktoren oft schon Jahre vor der Erstdiagnose nachweisbar, erklärte die Rheumatologin.
Antikörper gegen citrullinierte Peptide entstehen zunächst außerhalb der Gelenke. Bei Rauchern sowie Exposition gegenüber Textilstaub oder anderer Luftverschmutzung kommt es zu einer vermehrten Citrullinierung von Peptiden und Proteinen in der Lunge, was eine Antikörperbildung anstoßen kann. »Aktiv- und Passivrauchen, Luftverschmutzung und Textilstäube sind gut belegte Risikofaktoren für eine RA, denn sie stimulieren das Immunsystem der Atemwege«, erklärte die Ärztin. Warum es irgendwann zu muskuloskelettalen Beschwerden kommt, ist unklar.