KVen drohen mit Test-Boykott – Apotheken droht Abrechnungsstopp |
KBV-Chef Andreas Gassen fordert, dass die Bürgertestungen komplett abgeschafft werden. Sie seien zu teuer, der bürokratische Aufwand sei riesig »und die epidemiologische Aussagekraft ist Null«, so Gassen. / Foto: Imago Images/Christian Thiel
Seit dem gestrigen Donnerstag gilt die vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) novellierte Testverordnung. Sie sieht einerseits vor, dass Teststellen – also auch Apotheken – nur noch maximal 9,50 Euro pro Bürgertest abrechnen können. Vulnerable Gruppen sollen weiterhin kostenlose Tests bekommen, außerdem bestimmte Gruppen, für die dann allerdings eine Eigenbeteiligung in Höhe von 3 Euro fällig wird. Alle anderen sollen voll zahlen. Die Teststellen haben auch diverse neue Kontrollpflichten erhalten: Die Personengruppen, die weiterhin kostenlose Bürgertests erhalten sollen, müssen gegenüber den Teststellen demnach ihre Berechtigung nachweisen.
Die Standesvertretung der Mediziner ist verärgert über diese Neuregelungen. In einem gemeinsamen Brandbrief an Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) kündigen die KVen an, »dass die Kassenärztlichen Vereinigungen Bürgertestungen künftig nicht mehr abrechnen und auszahlen können«. Dass die neue Verordnung die Testungen an viele unterschiedliche Anspruchsvoraussetzungen knüpfe, sei angesichts der »schon jetzt bestehenden, eklatanten Betrugsproblematik« nicht hinnehmbar.
Die komplizierte Lösung mit Testungen für Anspruchsberechtigte, die in bestimmten Fällen den Eigenanteil leisten müssten und in anderen wiederum nicht, mache eine funktionierende Abrechnungsprüfung, die die KVen vornehmen müssten, unmöglich. Auch seien die Nachweise schwer zu überprüfen. Schon in der Vergangenheit hätten damit Betrugsfälle nicht verhindert werden können; nach der neuen Testverordnung kämen auf die KVen zusätzlich detaillierte Anspruchsvoraussetzungen zu. »Die Prüfung all dieser neuen Vorgaben ist den Kassenärztlichen Vereinigungen erst recht nicht möglich«, heißt es in dem Brief. Durch die Erfahrungen der Vergangenheit könnte sie nicht darauf vertrauen, »dass alle Teststellen diese Leistungen korrekt erbringen werden«. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Teststellen alle Personen ausreichend über die neuen Anspruchsvoraussetzungen aufklärten und tatsächlich alle Nachweise und Selbsterklärungen prüften.
Im Ergebnis könnten die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht verantworten, »sehenden Auges Auszahlungen auf Abrechnungen zu leisten, deren Richtigkeit sie nicht ansatzweise prüfen können«. Die KVen bilanzieren: »Vor diesem Hintergrund und aufgrund der neuen, kleinteiligen Anspruchsvoraussetzungen und des damit vorhersehbaren Anstiegs von nicht überprüfbaren Falschabrechnungen sehen sich die Kassenärztlichen Vereinigungen außer Stande, ab dem 30. Juni 2022 erbrachte Bürgertestungen nach § 4a TestV abzurechnen und die Vergütung auszuzahlen.« Die Arztpraxen sollten deshalb und zudem angesichts des bürokratischen Aufwands prüfen, ob sie Bürgertestungen weiterhin anbieten. Sie seien dazu nicht verpflichtet.
Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), forderte zudem eine komplette Einstellung der Corona-Bürgertests. »Diese unsinnigen Tests müssen abgeschafft werden. Sie sind viel zu teuer, der bürokratische Aufwand ist riesig und die epidemiologische Aussagekraft ist Null«, sagte Gassen der »Bild«-Zeitung vom heutigen Freitag. Es sei eine »völlig sinnfreie Veranstaltung, anlasslos gesunde Menschen mit fragwürdiger Qualität zu testen«, betonte der KBV-Chef. PCR-Tests bei Patienten mit Symptomen seien aber wichtig, um Corona-Infektionen eindeutig nachzuweisen. Auf Twitter reagierte Bundesgesundheitsminister Lauterbach auf die Attacke: »Mit der KBV und Herrn Gassen sind wir schon in konstruktiven Gesprächen zur Abrechnung der Bürgertests. Die Tests werden bleiben und ab heute korrekt abgerechnet. Die sind nicht sinnfrei sondern helfen, dass Infizierte andere nicht anstecken«, schreibt der Minister.
Sollten die KVen tatsächlich die Abrechnung stoppen, droht ein größeres Abrechnungschaos. Denn seit dem Frühjahr 2021 sind die KVen mit der Abrechnung aller Tests von allen Teststellen beauftragt. Auch die Apotheken rechnen ihre Tests quartalsweise oder monatlich spätestens bis zum Ende des dritten auf den Abrechnungszeitraum folgenden Monat ab. Die KBV hatte für das Abrechnungsverfahren Vorgaben für die KVen entwickelt und festgelegt. Die KVen wiederum rechnen ihre Leistungen mit dem Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) ab, für Nicht-Mitglieder erhalten die Ärzte-Standesvertretungen einen Verwaltungskostensatz von 3,5 Prozent des Gesamtbetrags.
Dass sich die Neuregelungen auch in der Apothekerschaft negativ auswirken, bestätigte Holger Seyfarth, Vorsitzender des Hessischen Apothekerverbandes. Die Test-Regelungen bedeuteten mehr Dokumentation zu einer geringeren Vergütung. »Es gibt mehr Aufwand und weniger Geld und zudem haben viele Apotheken einfach kein Personal, um das zu stemmen«, sagte Seyfarth der PZ. Gerade für ländlich gelegene Apotheken rechneten sich die Bürgertestungen nicht, so der HAV-Chef. Eine Mehrheit der Apotheken habe bereits vor der Verordnung die Bürgertests eingestellt, weil die Nachfrage in den vergangenen Monaten stark gesunken sei. Laut Seyfarth sind im Verband rund 1400 Apotheken landesweit vertreten.
Auch aus Sicht der saarländischen Apotheker ist die neue Testverordnung ein «wahres Bürokratiemonster». Die neuen Regelungen mit verschärften Kontroll- und Nachweispflichten seien eine «nicht hinnehmbare Belastung des apothekerlichen Personals», sagte der Geschäftsführer der Apothekerkammer des Saarlandes und des Saarländischen Apothekervereins, Carsten Wohlfeil.
Bereits wenige Stunden nach dem Inkrafttreten der neuen Verordnung hätten sich «die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet». Es sei zu dem «erwarteten Chaos» gekommen. Es sei «inakzeptabel», es den Apotheken zu überlassen, Patienten eine Eigenbeteiligung in Höhe von drei Euro zu erklären: «Es gibt erheblichen Beratungsbedarf, weil die Leute nicht informiert sind», sagte Wohlfeil. «Und Unverständnis, das das Personal auszubaden hat.»
Zudem seien Apotheken gehalten, einzelfallbezogen eine schriftliche Selbstauskunft einzufordern, aus der hervorgehe, warum sich eine Person testen lassen wolle. Dies sei «ein nicht hinnehmbarer Eingriff in die Privatsphäre». Es handele sich bei der neuen Verordnung um eine «politische Entscheidung, die Bürgertests einzuschränken», sagte Wohlfeil. Denn einen Anspruch auf anlasslose Tests gebe bei der Neuregelung nicht mehr.