Korrelat für den Impfschutz vor Covid-19 gefunden |
Theo Dingermann |
19.05.2021 15:30 Uhr |
Der Titer von neutralisierenden Antikörpern gegen SARS-CoV-2 gibt an, wie gut man gegen eine Infektion geschützt ist. / Foto: Shutterstock/Romaset
Schaut man sich die Beziehung zwischen dem In-vitro-Neutralisierungsniveau und dem beobachteten Schutz vor einer Infektion mit einem schweren Covid-19-Verlauf an, zeigt sich eine interessante Korrelation: Je stärker der In-vitro-Neutralisationsgrad des Serums eines Probanden ist, um so besser ist dieser Mensch vor Covid-19-Erkrankungen geschützt. Zu diesem Schluss kommen Dr. David S. Khoury und Kollegen vom Kirby Institute der University of New South Wales in Sydney, Australien. Ihre Daten publizierten die Forscher im Fachjournal »Nature Medicine«.
Schon seit Beginn der Pandemie wird nach einem Immunkorrelat für einen Schutz vor Covid-19 gesucht, also nach Parametern, die vorhersagen, wann eine Person vor einer Coronavirus-Infektion oder einem schweren Verlauf geschützt ist. Obwohl dem antiviralen T- und B-Zell-Gedächtnis hier sicherlich eine wichtige Bedeutung zuzuschreiben ist, gibt es starke Hinweise, dass auch die Titer von neutralisierenden Serumantikörpern mit einer schützenden Wirkung korrelieren. Ungeklärt ist, wie sich die beiden Parameter, neutralisierende Serumantikörpertiter und Schutz vor schwerer Erkrankung, quantitativ zueinander verhalten.
Um dies zu ermitteln, entwickelte das Team um Khoury ein SARS-CoV-2-spezifisches Vorhersagemodell auf Basis von Immunogenitätsdaten, die in Phase-I- und Phase-II-Studien zu sieben verfügbaren Corona-Impfstoffen ermittelt wurden. Ferner wurden Daten aus vorläufigen Berichten zu Phase-III-Studien und von seropositiven Genesenen mit einbezogen. Konkret wurden Daten zu den Impfstoffen mRNA-1273 (Moderna), NVX-CoV2373 (Novavax), BNT162b2 (Biontech/Pfizer), rAd26-S + rAd5-S (Gamaleya-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie), ChAdOx1 nCoV-19 (Astra-Zeneca), Ad26.COV2.S (Janssen/Johnson & Johnson) und CoronaVac (Sinovac) in die Studie mit einbezogen. Aus den klinischen Studien waren für die verschiedenen Vakzinen Effizienzwerte zwischen circa 50 Prozent (CoronaVac) und etwa 95 Prozent (BNT162b2 und mRNA-1273) errechnet worden.
Auf Basis dieser über alle Studien hinweg ermittelten Daten wurde ein logistisches Vorhersagemodell erstellt. Danach entspricht ein Antikörper-Neutralisationsgrad von 50 Prozent einem 50-prozentigen Schutzneutralisationsgrad.
Tatsächlich konnten die Autoren zeigen, dass zwischen dem in den verschiedenen Studien gemessenen In-vitro-Neutralisationsgrad und dem Schutz vor einer nachweisbaren SARS-CoV-2-Infektion beliebiger Intensität eine bemerkenswert starke nicht lineare Beziehung besteht. Dabei entspricht ein Neutralisationsgrad eines Serums mit einem 50-prozentigen Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion einem zirka 20,2-prozentigen mittleren Rekonvaleszenz-Niveau . Der entsprechende Neutralisationstiter für diesen Fall liegt zwischen 1:10 und 1:30 in den meisten gemeldeten Assays, was wiederum ungefähr 54 internationale Einheiten (IE) entspricht.
»Unsere Arbeit ist bislang der stärkste Beleg, dass spezifische Antikörpertiter mit einem hohen Schutz vor Erkrankung korrelieren«, sagt Dr. Deborah Cromer in einer Mitteilung des Kirby Institutes. Der Analyse zufolge kann der früh in vitro gemessene mittlere Neutralisationsgrad eines Impfstoffs seine in Phase-III-Studien gemessene nachfolgende Schutzwirkung vorhersagen. Das könnte in Zukunft klinische Studien mit Covid-19-Impfstoffen erleichtern, da Antikörpertiter einfacher zu messen sind als eine Schutzwirkung vor Infektion oder Erkrankung, erklärt Cromer.
Im zweiten Teil ihrer Arbeit untersuchte das Team auch, wie sich der Immunitätsschutz eines Impfstoffs mit der Zeit verändert und eventuell abnimmt. Um die Stabilität eines Immunschutzes nach einer Infektion und nach einer Impfung zu vergleichen, passten die Autoren ihr Vorhersagemodell entsprechend an. Es zeigte sich, dass das Abklingen der impfstoffinduzierten Neutralisation ähnlich ist wie nach einer natürlichen SARS-CoV-2-Infektion.
Das von den Autoren erarbeitete Modell sagt voraus, dass die Abnahme des Immunschutzes von der anfänglichen Wirksamkeit des Impfstoffs abhängt. Zum Beispiel würde ein Impfstoff mit einer anfänglichen Wirksamkeit von 95 Prozent voraussichtlich nach 250 Tagen eine Wirksamkeit von 77 Prozent aufweisen. Beträgt die anfängliche Wirksamkeit allerdings nur 70 Prozent, würde nach den Vorhersagen der Autoren die Wirksamkeit nach 250 Tagen voraussichtlich auf eine Wirksamkeit von 33 Prozent fallen.
Auch lassen sich reduzierte Neutralisationstiter mit verminderten Wirksamkeiten der Impfstoffe gegen verschiedene virale Varianten korrelieren. In der Literatur verfügbare Daten deuten an, dass der Neutralisationstiter gegen die Variante B.1.351 (Südafrika-Variante) bei geimpften Personen zwischen dem 7,6-Fachen und 9-Fachen niedriger liegt als bei der zunächst in Wuhan isolierten Variante.
Das Modell der Forschergruppe sagt nun voraus, dass ein niedrigerer Neutralisationstiter gegen eine besorgniserregende Variante einen größeren Effekt auf Impfstoffe hat, bei denen die Schutzwirkung gegen das Wildtyp-Virus geringer ist. So ermitteln beispielsweise die Autoren mit ihrem Modell, dass ein fünffach niedrigerer Neutralisationstiter für einen Impfstoff mit hoher Wirksamkeit die Effizienz dieses Impfstoffs von 95 Prozent auf 77 Prozent reduziert. Beträgt die initiale Effizienz eines Impfstoffs gegen das Ursprungsvirus hingegen nur 70 Prozent, sinkt die Effizienz für die Variante auf 32 Prozent.
Ziel einer Impfung ist primär, schwere Verläufe zu verhindern. Dies ist allen Beobachtungen zufolge mit niedrigeren Antikörpertitern zu erreichen als die Vermeidung von Infektionen. Um hier eine Vorhersage treffen zu können, schauten sich die Wissenschaftler die verfügbaren Daten der lediglich 100 beschriebenen schweren Krankheitsverläufe nach einer Impfung genauer an.
Danach lag das Neutralisationsniveau für einen 50-prozentigen Schutz vor schweren Erkrankungen bei 3,0 Prozent des mittleren Rekonvaleszenzniveaus. Dies ist signifikant niedriger als das 20-prozentige Rekonvaleszenz-Niveau, das für einen Schutz vor einer beliebigen symptomatischen Infektion erforderlich ist.
Ein wichtiger Vorbehalt bei dieser Analyse ist die implizite Annahme, dass der Neutralisationstiter selbst einen Schutz vor einer schweren Infektion bietet. Es ist jedoch auch möglich (wenn nicht gar wahrscheinlich), dass T-Zell-Antworten oder die Reaktivierung von Gedächtnis-B-Zell-Antworten ebenfalls wichtig für den Schutz vor schwerer Krankheit sind.
Sollten die angedeuteten Vorhersagen stimmen, kann man davon ausgehen, dass für einen Schutz vor schweren Covid-19-Verläufen ein circa sechsfach niedrigeres Neutralisationsniveau erforderlich ist als für einen Schutz vor beliebig schweren Krankheitsverläufen.
Unter der Annahme, dass dieses Verhältnis über die Zeit konstant bleibt, scheint es wahrscheinlich, dass die Immunität gegen eine schwere Infektion viel dauerhafter ist als die allgemeine Immunität gegen jede Infektion. Langzeitstudien zu Antikörperantworten auf Masern, Mumps oder Röteln legen nahe, dass sich diese Antworten im Allgemeinen mit Halbwertszeiten von mehr als zehn Jahren stabilisieren.
Die Autoren konnten mit ihrem Modell ermitteln, dass auch ohne eine erneute Impfung ein signifikanter Anteil von Individuen einen langfristigen Schutz vor einer schweren Infektion durch einen ähnlichen Stamm aufrechterhält, obwohl er für eine leichte Infektion anfällig wird. Für einen optimalen Schutz sei aber eine jährliche Boosterung wie bei der Grippeimpfung hilfreich.