Kommunizieren geht vor Optimieren |
Daniela Hüttemann |
10.04.2025 07:00 Uhr |
Über verschiedenste arzneimittelbezogene Probleme in der Geriatrie referierte Ina Richling beim WLAT. / © AKWL/Michael C. Möller
Starke Polymedikation, Verschreibungskaskaden, hohe anticholinerge Last, Elektrolytstörungen und Sturzgefahr: PharmD Ina Richling, Menden, zeigte an einem Fallbeispiel aus ihrer langjährigen Erfahrung als Apothekerin auf Station fast die gesamte Bandbreite arzneimittelbezogener Probleme (ABP) in der Geriatrie und ihre Lösung beim Westfälisch-lippischen Apothekertag Ende März in Münster.
Sieben von 18 Medikamenten konnten abgesetzt werden und die 86-jährige Patientin sich im Rahmen einer geriatrischen Früh-Reha aufpäppeln lassen. Richling wurde sogar von der Pflege hinzugerufen, als die Patientin in sichtlich besserem Zustand und auf eigenen Beinen am Rollator das Krankenhaus verließ – um rund vier Monate später wieder eingeliefert zu werden.
Diese traurige Wendung des Falls hatte sich die Referentin bis zum Ende ihres Vortrags aufgehoben, doch verdeutlicht sie, was bei aller pharmazeutischen Kompetenz und Raffinesse noch schief gehen kann: mangelnde Kommunikation an den Schnittstellen. Der Entlassbrief mit dem optimierten Medikationsplan hatte den Hausarzt offenbar nie erreicht, denn die ursprüngliche Medikation war wieder angesetzt worden.
»Die Probleme beim Entlassmanagement sind kaum zu überwinden« berichtete Richling, die auch die ADKA-Gruppe zur Erarbeitung von Standards für das Aufnahme- und Entlassmanagement leitet, die im Mai beim ADKA-Kongress in Berlin präsentiert werden sollen. Sie forderte die Apothekerinnen und Apotheker auf, bei Patienten nach Krankenhausaufenthalt nachzufragen, ob der Medikationsplan geändert wurde. Grundsätzlich gelte: »Bieten Sie Medikationsanalysen an, gerade für geriatrische Patienten.«
In diesem Fall musste die Patientin 18 Medikamente mit 21 Wirkstoffen zu fünf Zeitpunkten am Tag anwenden, die von einer ambulanten Pflegekraft im häuslichen Umfeld gestellt wurden. Akuter Grund für die Krankenhauseinlieferung war ein Sturz mit Nasenbeinfraktur und immobilisierender Beckenprellung. Dazu wurde noch eine offenbar ältere Sinterungsfraktur im Brustwirbelbereich festgestellt, vermutlich begünstigt durch Osteoporose.
Hauptbeschwerden der 86-Jährigen waren Schwindel und Sturz, große Müdigkeit und Lethargie, Schluckstörungen, Obstipation und Mobilitätseinschränkungen. Hinzu kamen als bekannte Diagnosen eine arterielle Hypertonie, Typ-2-Diabetes, koronare Herzerkrankung, Vitamin-D- und Eiweißmangel, Hypothyreose, künstliche Knie- und Hüftgelenke und Schwerhörigkeit. Das geriatrische Assessment ergab ein hohes Sturzrisiko, der »Uhren-Test«, mit dem auf Demenz getestet wird, war auffällig. Das Labor ergab einen sehr niedrigen Natriumspiegel, geringe Albuminwerte und einen Vitamin-D-Mangel. Zudem war die Nierenfunktion eingeschränkt.
Sobald der Medikationsplan an die Wand geworfen wurde, identifizierte das WLAT-Publikum sofort zahlreiche ABP, die Richling systematisch durchging. Grundsätzlich seien drei Dinge zu bedenken:
Hier war beispielsweise mit Cinnarizin/Dimenhydrinat ein Medikament gegen Schwindel vom Hausarzt verordnet worden, das es aufgrund der anticholinergen Last (Schluckstörungen!) eher schlimmer als besser machte. In diesem Fall war Hydrochlorothiazid viel zu hoch dosiert worden, was in Kombination mit der restlichen Medikation zu Elektrolytproblemen führte. Die blutdrucksenkende Medikation erschien als zu stark und das verordnete Metoprolol ungeeignet, da es ebenfalls vor allem bei Frauen Schwindel, Müdigkeit und Lethargie auslösen kann.
Richling stellte damals die gesamte Medikation auf den Prüfstand und erreichte ein Absetzen unnötiger oder potenziell inadäquater Medikamente. Sieben Arzneimittel mit elf Wirkstoffen konnten abgesetzt werden, da sie keine Indikation, einen unklaren Nutzen oder Nebenwirkungen hatten, zwei Arzneistoffe wurden auf alternative Wirkstoffe umgestellt. Bei vier Arzneistoffen wurde die Dosis reduziert. Vitamin D wurde neu angesetzt.
»Wir haben in den neuen Medikationsplan auch geschrieben, warum und was wir wie ersetzt haben, was wann gemonitort werden soll wie Blutdruck, Nierenfunktion und HbA1c-Wert und worauf noch zu achten ist, zum Beispiel eine Patientenschulung«, erläuterte Richling. »Die Patientin war sichtlich fitter und mobiler.« Umso trauriger, dass die umfassenden Interventionen aufgrund mangelnder Kommunikation nicht greifen konnten.