Kommt die Opioid-Krise auch nach Deutschland? |
In den USA warnen mittlerweile auffällige Aufkleber vor dem Suchtrisiko von Opioiden. / Foto: Imago/Zuma Wire
»Opioide in Deutschland: Sucht auf Rezept« titelt der »Spiegel« heute und beim ZDF heißt es ganz ähnlich »Süchtig auf Rezept: Droht eine deutsche Opioid-Krise?« Den beiden Medien, die Teil des internationalen Rechercheprojekts »World of Pain« sind, liegt eine »exklusive Analyse« des wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) vor. Demnach erhielten im Jahr 2022 etwa 6 Prozent der AOK-Versicherten mindestens ein Opioid auf Rezept.
Zitiert wird zudem der jüngste Opioid-Report der HKK für das Jahr 2022, noch unter dem inzwischen verstorbenen Pharmakologen Professor Gerd Glaeske veröffentlicht. Dem zufolge waren die Verordnungen starker Schmerzmittel in den vorangegangenen 24 Jahren sehr stark angestiegen – um 246 Prozent.
Laut »Spiegel« wurden in der Bundesrepublik zwischenzeitlich pro Kopf mehr Opioide verschrieben als in den USA. Jeder zehnte Mensch, der Opioide nimmt, werde süchtig, das belegten Untersuchungen. Laut Schätzungen aus dem Jahr 2021 waren demnach 30.000 Menschen von starken Schmerzmitteln abhängig.
Es gibt aber auch gute Nachrichten: Die jüngsten Zahlen des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts (DAPI), die der Pharmazeutischen Zeitung vorab vorliegen, zeigen dagegen einen Rückgang der Verordnungsmengen in den vergangenen fünf Jahren.
Demnach hat sich die Menge der definierten Tagesdosen von Opioid-Fertigarzneimitteln pro 1000 GKV-Versicherte (DID) von 2019 bis 2023 um etwa 6 Prozent zurückentwickelt: von 15,6 DID auf 14,6 DID. Aus diesen Zahlen lässt sich jedoch nicht ablesen, wie viele Personen genau ein Opioid-Rezept bekommen haben und ob der Einsatz leitliniengerecht erfolgte.
Die Menge der zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) über die öffentlichen Apotheken abgegeben Opioid-Fertigarzneimittel ist von 2019 bis 2023 um 6,4 Prozent gesunken. Das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut (DAPI) gibt die Abgabemengen als definierte Tagesdosen pro 1000 GKV-Versicherte pro Tag an (DID). Die Gesamtmenge ist im Fünfjahreszeitraum von 15,6 auf 14,6 DID gesunken.
Den Hauptposten mit 6,5 DID macht die Kombination aus Tilidin/Naloxon aus, deren Abgabemengen in etwa konstant blieben. Auf Platz 2 und 3 folgen Fentanyl und Tramadol mit zuletzt 1,86 beziehungsweise 1,79 DID. Fentanyl verzeichnete dabei in den vergangenen fünf Jahren einen Rückgang um 12 Prozent, Tramadol um 22 Prozent. Auch die Verordnung von Morphin (minus 22 Prozent), Oxycodon (minus 18 Prozent) und Buprenorphin (minus 9 Prozent) gingen teils deutlich zurück. Ein Plus verzeichneten dagegen Hydromorphon (plus 9 Prozent und mit 1,32 DID Platz vier der am häufigsten abgegebenen Opioide) und Tapentadol (plus 14 Prozent; Platz sechs mit 0,64 DID).
Als evidenzbasiert gilt der langfristige Einsatz von Opioiden vor allem bei tumorbedingten Schmerzen. Das schließt ihren Langzeitgebrauch bei anderen starken Schmerzen jedoch nicht kategorisch aus. Orientierung bietet die S3-Leitlinie »Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht tumorbedingten Schmerzen (LONTS)«. Die Mehrheit der mit Opioiden behandelten AOK-Versicherten hatte laut Medienberichten keine Krebsdiagnose.
Zudem zitieren ZDF und »Spiegel« eine aktuelle Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei. Demnach liegen der Bundesregierung »keine Daten zur Anzahl der Opioid-abhängigen Schmerzpatientinnen und -patienten vor«. Ob Deutschland ein Opioid-Problem auf Rezept hat und falls ja, wie groß es ist, lässt sich derzeit also nicht zweifelsfrei sagen.