Kommt die Opioid-Krise auch nach Deutschland? |
Dass es dafür aber ein Risiko gibt, belegen demnach die Recherchen. In seinem ausführlichen Stück schildert der »Spiegel« die Anfänge der US-Krise, beleuchtet die Rolle der US-Unternehmerfamilie Sackler, die mit ihrem Pharmaunternehmen Purdue sagenhaft reich wurde – und laut den Recherchen auch heute noch am Verkauf von Schmerzmitteln in Europa verdient, obwohl Purdue seit 2021 insolvent ist.
Das Ganze läuft demnach über die europäische Schwesterfirma Mundipharma, die ihre Medikamente Targin® oder Oxygesic® ähnlich aggressiv bewarb wie einst Purdue sein Präparat Oxycontin®. Derzeit wird vor US-Gerichten gestritten, ob Familie Sackler sich mit angekündigten Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe von Ansprüchen »freikaufen« kann.
Verzwickt ist in jedem Fall das Unternehmensgeflecht, das Mundipharma in Europa unterhält. Undurchsichtig ist laut »Spiegel« auch, inwiefern die Sackler-Familie bei dem europäischen Konglomerat mitmischt. Sie selbst bestreitet es, aber die Recherchen hätten durchaus Verbindungen ergeben. So habe es Druck von der Familie auf Firmenchefs in Europa gegeben, mehr von den Schmerzmitteln zu verkaufen.
Welch große Rolle Lobbyarbeit beim Erfolg von Medikamenten hat, thematisiert der »Spiegel« ebenfalls und berichtet über die Taktik von Mundipharma, gezielt »Meinungsführer« in der Medizinerschaft anzusprechen, Mediziner also, die in der Öffentlichkeit auftreten.
Im Blick hat der Bericht dabei vor allem den Göppinger Schmerzmediziner Gerhard Müller-Schwefe, Leiter des Schmerz- und Palliativzentrums Göppingen, Vorstandsmitglied der Patientenorganisation Deutsche Schmerzliga und Ehrenpräsident der »Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin« (DGS).
Zu seiner Nähe zu Mundipharma habe der Mediziner keinen Hehl gemacht – und über Jahrzehnte entsprechend pro Schmerzmittel argumentiert. Zudem fördere der Konzern die Deutsche Schmerzliga bis heute finanziell.
Vor der Durchschlagskraft solcher Lobbyarbeit warnt abschließend der US -amerikanische Wissenschaftler Andrew Kolodny. Den Mediziner und Forscher an der Brandeis-Universität zitiert der »Spiegel« mit: »Es ist frustrierend zu sehen, dass in Deutschland das geschieht, was uns in den USA passiert ist.«
Auch die Pharmakologin Andrea Burden, die an der ETH Zürich zu Nebenwirkungen Opioid-haltiger Schmerzmittel forscht, kommt zu Wort. Sie warnt: »Wenn wir heute nicht hinsehen, sind wir am Ende nicht genauso dumm wie die Amerikaner. Dann sind wir dümmer. Viel dümmer.«