Klare Empfehlungen bei Halsschmerzen |
Daniela Hüttemann |
28.04.2021 18:00 Uhr |
Der Arzt muss nun anhand eines Scores und der Therapieerwartungen des Patienten mit diesem abwägen, ob eine Antibiotika-Behandlung indiziert ist. Dabei ist zu Bedenken, dass Halsschmerzen zu 50 bis 80 Prozent durch Viren ausgelöst werden, allen voran Rhinoviren. Coronaviren waren übrigens vor der Pandemie für weniger als 5 Prozent aller Halsschmerzen verantwortlich. Halsschmerzen können Symptom einer SARS-CoV-2-Infektion sein, gelten aber nicht als Kardinalsymptom von Covid-19. Darüber hinaus sollte der Arzt den Patienten aufklären, dass eine antibiotische Therapie bei Pharyngitis die Symptomdauer im Schnitt nur um 16 Stunden verkürzt. Die Number needed to Treat (NNT) liegt mit 200 relativ hoch: Das heißt, um eine Komplikation zu verhindern, müssen 200 Halsschmerz-Patienten mit Antibiotika behandelt werden – umgekehrt wären die Antibiotika bei 199 Patienten nicht nötig gewesen. »Oft überwiegt der Schaden den Nutzen«, so Altiner.
Fällt die Entscheidung für ein Antibiotikum, soll der Arzt bevorzugt eine sogenannte Delayed Prescription anbieten. Dabei erhält der Patient zwar sofort ein Antibiotika-Rezept, aber mit der Vereinbarung, dieses nur bei signifikanter Verschlechterung oder erst, wenn nach drei bis fünf Tagen keine Besserung eingetreten ist, einzulösen. »Studien haben gezeigt, dass die Outcomes sich bei diesem Vorgehen nicht verschlechtern und auch nicht mehr Komplikationen auftreten«, erläuterte Altiner. Auch eine Studie seiner eigenen Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass das Nicht-Verordnen von Antibiotika bei Atemwegsinfekten keinen Einfluss auf die Hospitalisierungsrate hat. »Die Patienten nehmen also keinen Schaden, wenn wir Antibiotika bei Atemwegsinfektionen sehr zurückhaltend verordnen«, betont der Allgemeinmediziner. »Mit den meisten Infekten wird der Körper von allein fertig, aber wir sollten den Leidensdruck der Patienten anerkennen.«
Ob mit oder ohne Antibiotikum: Bei akuten Halsschmerzen sollte dem Patienten eine symptomatische Therapie angeboten werden. Das sollten entweder Lutschtabletten mit Lokalanästhetika oder nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) oder bei starken Schmerzen auch orale NSAR sein. Hier wird die Leitlinie sehr konkret und nennt bei den oralen NSAR explizit Ibuprofen und Naproxen, auch aufgrund ihres günstigen Risikoprofils. Bei den Lokalanästhetika und NSAR zum Lutschen macht sie dagegen keine genaueren Angaben. Zudem nennt sie Ambroxol als mögliche Option. Bei den Lokaltherapeutika ist jedoch laut Leitlinie nur ein moderater Effekt zu erwarten.
Es gibt auch eine klare Empfehlung gegen alle Arten von Rachentherapeutika (Lutschtabletten, Gurgellösungen, Rachensprays) mit Lokalantiseptika und/oder Antibiotika. »Beide Empfehlungen, also für Lokalanästhetika und NSAR und gegen Lokalantiseptika und Antibiotika sind gleich wichtig«, betonte der Apotheker und Pharmazieprofessor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz von der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Abgesehen von der mangelnden Evidenz sei die Anwendung dieser Mittel bei einer mehrheitlich viral bedingten Infektion nicht nachvollziehbar und nicht sinnvoll. »Lokalantiseptika sind konzentrationsabhängig zytotoxisch und wirken nur an der Oberfläche, während sich die wesentliche Infektion in der Tiefe des Gewebes abspielt«, heißt es in der Leitlinie. Ebenfalls eindeutig nicht empfohlen werden Corticosteroide zur analgetischen Therapie bei Halsschmerzen.
Und was ist mit naturheilkundlichen und homöopathischen Mitteln? Hier gebe es keinen gesicherten Wirkungsnachweis aus kontrollierten Studien, bemängeln die Leitlinienautoren, und empfehlen ihren Einsatz daher nicht. Aber: Bei ausgeprägtem Therapiewunsch dürfen naturheilkundliche Präparate aufgrund ihres geringen Schadenpotenzials erwachsenen Patienten empfohlen werden. Bei den Homöopathika gibt es weder eine Empfehlung für noch gegen diese Form der Behandlung. »Hat der Patient gute Erfahrung mit Hausmitteln gemacht, spricht nichts gegen ihre Anwendung«, ergänzte Altiner. Vom Gurgeln mit antiseptischen Lösungen, was derzeit auch zur Prophylaxe und Viruslast-Reduktion von Corona-Infektionen propagiert wird, rät der Medizinprofessor aufgrund der mangelnden Evidenz bei der Gefahr einer Änderung der Mundflora eher ab.
»Insgesamt ist dies eine klare Abkehr von der Antibiotika-Therapie bei Halsschmerzen«, resümierte Schubert-Zsilavecz die Leitlinie. Er empfiehlt jedem Apothekenteam, sich die Leitlinie mit ihrer »exzellenten klinischen Dokumentation« genauer anzusehen, da sie eine hohe Relevanz für die Beratung in der Apotheke habe. Auf dieser Basis sollte jede Apotheke ihr OTC-Portfolio in der Indikation Halsschmerzen neu bewerten und ihre Empfehlungen gegebenenfalls ändern.
Auch Altiner betonte den Wert einer guten Beratung in der Apotheke: »Sie nehmen dadurch auch viel Druck bei den Hausärzten raus und helfen bei der Symptomlinderung. Daher freuen wir Allgemeinärzte uns über eine evidenzbasierte Empfehlung aus der Apotheke unter Berücksichtigung der Warnzeichen für einen Arztbesuch.«