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S3-Leitlinie

Klare Empfehlungen bei Halsschmerzen

Antibiotika sollten bei Halsschmerzen nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Das stellt die neue S3-Leitlinie der Allgemeinmediziner klar. Sie hilft auch Apothekern, die richtige Wahl zur Symptomlinderung zu treffen.
Daniela Hüttemann
28.04.2021  18:00 Uhr

Bei akuten Halsschmerzen suchen die meisten Betroffenen erst einmal Rat in der Apotheke. Hier gilt es, zunächst die sogenannten »Red Flags« zu erkennen, also Warnzeichen, bei der von einer reinen Selbstmedikation abgesehen und an den Arzt verwiesen werden soll. Dabei kann sich das pharmazeutische Personal am selben Algorithmus orientieren, den die kürzlich aktualisierte Leitlinie Halsschmerzen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) den Hausärzten an die Hand gibt.

»Hier hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Nicht der Nachweis einer bakteriellen Infektion ist entscheidend, sondern die Verringerung der Wahrscheinlichkeit für einen abwendbar gefährlichen Verlauf«, erläuterte Professor Dr. Attila Altiner vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Rostock bei einem Satellitensymposium von Dobendan-Hersteller Reckitt-Benckiser beim digitalen Internistenkongress. Selbst bei einem bakteriellen Infekt sei keine generelle Indikation für Antibiotika gegeben, Ärzte spürten jedoch einen gewissen Verordnungsdruck seitens der Patienten. Das berücksichtigt auch die neue Leitlinie, bei dem die Aufklärung eine große Rolle spielt. »Die Therapie an sich hat sich hier nicht geändert, wohl aber der Umgang mit dem Patienten hin zu einer gemeinsamen Entscheidungsfindung«, so Altiner.

Dabei gilt ein Fließschema für Patienten ab einem Alter von drei Jahren. In der Hausarztpraxis wird nun als erstes auf krankhafte Atemgeräusche abgehört (Stridor) sowie eine Blaufärbung der Haut (Zyanose) geachtet. Der Arzt schließt zudem aus, dass eine schwere systemische Erkrankung wie Meningitis, ein Schub einer Autoimmunerkrankung oder ein Abszess der Mandeln vorliegt. Dauern die Halsschmerzen bereits länger als 14 Tage an, spricht man von chronischen Halsschmerzen und es sind nicht-infektiöse Ursachen wie Rauchen, Reflux, Speiseröhrenentzündung oder eine rezidivierende Mandelentzündung zu bedenken.

Bei akuten Halsschmerzen nennt die Leitlinie acht Red Flags: Scharlach-Exanthem, Mononukleose, Infektion mit anderem Fokus (Pneumonie, Bronchitis, Otitis, Sinusitis), Immunsuppression, Chemotherapie, orale Corticoid-Therapie, schwere Komorbiditäten und ein erhöhtes Risiko für akutes rheumatisches Fieber (ARF). Altiner ergänzte als Warnzeichen noch hohes Fieber und Atemnot. Liegen diese nicht vor, erfolgt eine Beratung darüber, dass Halsschmerzen in der Regel einen selbstlimitierenden Verlauf haben und die Beschwerden in der Regel nicht länger als eine Woche anhalten. Grundsätzlich können körperliche Schonung und viel Trinken empfohlen werden. 

Vor- und Nachteile einer Antibiotika-Behandlung dem Patienten erklären

Der Arzt muss nun anhand eines Scores und der Therapieerwartungen des Patienten mit diesem abwägen, ob eine Antibiotika-Behandlung indiziert ist. Dabei ist zu Bedenken, dass Halsschmerzen zu 50 bis 80 Prozent durch Viren ausgelöst werden, allen voran Rhinoviren. Coronaviren waren übrigens vor der Pandemie für weniger als 5 Prozent aller Halsschmerzen verantwortlich. Halsschmerzen können Symptom einer SARS-CoV-2-Infektion sein, gelten aber nicht als Kardinalsymptom von Covid-19. Darüber hinaus sollte der Arzt den Patienten aufklären, dass eine antibiotische Therapie bei Pharyngitis die Symptomdauer im Schnitt nur um 16 Stunden verkürzt. Die Number needed to Treat (NNT) liegt mit 200 relativ hoch: Das heißt, um eine Komplikation zu verhindern, müssen 200 Halsschmerz-Patienten mit Antibiotika behandelt werden – umgekehrt wären die Antibiotika bei 199 Patienten nicht nötig gewesen. »Oft überwiegt der Schaden den Nutzen«, so Altiner.

Fällt die Entscheidung für ein Antibiotikum, soll der Arzt bevorzugt eine sogenannte Delayed Prescription anbieten. Dabei erhält der Patient zwar sofort ein Antibiotika-Rezept, aber mit der Vereinbarung, dieses nur bei signifikanter Verschlechterung oder erst, wenn nach drei bis fünf Tagen keine Besserung eingetreten ist, einzulösen. »Studien haben gezeigt, dass die Outcomes sich bei diesem Vorgehen nicht verschlechtern und auch nicht mehr Komplikationen auftreten«, erläuterte Altiner. Auch eine Studie seiner eigenen Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass das Nicht-Verordnen von Antibiotika bei Atemwegsinfekten keinen Einfluss auf die Hospitalisierungsrate hat. »Die Patienten nehmen also keinen Schaden, wenn wir Antibiotika bei Atemwegsinfektionen sehr zurückhaltend verordnen«, betont der Allgemeinmediziner. »Mit den meisten Infekten wird der Körper von allein fertig, aber wir sollten den Leidensdruck der Patienten anerkennen.«

Lutsch- oder Schmerztabletten zur Symptomlinderung anbieten

Ob mit oder ohne Antibiotikum: Bei akuten Halsschmerzen sollte dem Patienten eine symptomatische Therapie angeboten werden. Das sollten entweder Lutschtabletten mit Lokalanästhetika oder nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) oder bei starken Schmerzen auch orale NSAR sein. Hier wird die Leitlinie sehr konkret und nennt bei den oralen NSAR explizit Ibuprofen und Naproxen, auch aufgrund ihres günstigen Risikoprofils. Bei den Lokalanästhetika und NSAR zum Lutschen macht sie dagegen keine genaueren Angaben. Zudem nennt sie Ambroxol als mögliche Option. Bei den Lokaltherapeutika ist jedoch laut Leitlinie nur ein moderater Effekt zu erwarten.

Es gibt auch eine klare Empfehlung gegen alle Arten von Rachentherapeutika (Lutschtabletten, Gurgellösungen, Rachensprays) mit Lokalantiseptika und/oder Antibiotika. »Beide Empfehlungen, also für Lokalanästhetika und NSAR und gegen Lokalantiseptika und Antibiotika sind gleich wichtig«, betonte der Apotheker und Pharmazieprofessor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz von der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Abgesehen von der mangelnden Evidenz sei die Anwendung dieser Mittel bei einer mehrheitlich viral bedingten Infektion nicht nachvollziehbar und nicht sinnvoll. »Lokalantiseptika sind konzentrationsabhängig zytotoxisch und wirken nur an der Oberfläche, während sich die wesentliche Infektion in der Tiefe des Gewebes abspielt«, heißt es in der Leitlinie. Ebenfalls eindeutig nicht empfohlen werden Corticosteroide zur analgetischen Therapie bei Halsschmerzen.

Und was ist mit naturheilkundlichen und homöopathischen Mitteln? Hier gebe es keinen gesicherten Wirkungsnachweis aus kontrollierten Studien, bemängeln die Leitlinienautoren, und empfehlen ihren Einsatz daher nicht. Aber: Bei ausgeprägtem Therapiewunsch dürfen naturheilkundliche Präparate aufgrund ihres geringen Schadenpotenzials erwachsenen Patienten empfohlen werden. Bei den Homöopathika gibt es weder eine Empfehlung für noch gegen diese Form der Behandlung. »Hat der Patient gute Erfahrung mit Hausmitteln gemacht, spricht nichts gegen ihre Anwendung«, ergänzte Altiner. Vom Gurgeln mit antiseptischen Lösungen, was derzeit auch zur Prophylaxe und Viruslast-Reduktion von Corona-Infektionen propagiert wird, rät der Medizinprofessor aufgrund der mangelnden Evidenz bei der Gefahr einer Änderung der Mundflora eher ab.

»Insgesamt ist dies eine klare Abkehr von der Antibiotika-Therapie bei Halsschmerzen«, resümierte Schubert-Zsilavecz die Leitlinie. Er empfiehlt jedem Apothekenteam, sich die Leitlinie mit ihrer »exzellenten klinischen Dokumentation« genauer anzusehen, da sie eine hohe Relevanz für die Beratung in der Apotheke habe. Auf dieser Basis sollte jede Apotheke ihr OTC-Portfolio in der Indikation Halsschmerzen neu bewerten und ihre Empfehlungen gegebenenfalls ändern. 

Auch Altiner betonte den Wert einer guten Beratung in der Apotheke: »Sie nehmen dadurch auch viel Druck bei den Hausärzten raus und helfen bei der Symptomlinderung. Daher freuen wir Allgemeinärzte uns über eine evidenzbasierte Empfehlung aus der Apotheke unter Berücksichtigung der Warnzeichen für einen Arztbesuch.«

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