Keine dicke Luft riskieren |
Annette Rößler |
13.12.2023 11:00 Uhr |
Wenn sich viele Menschen in einem Raum aufhalten, ist regelmäßiges Lüften besonders wichtig. Damit das nicht vergessen wird, haben sich in der Pandemie CO2-Messgeräte bewährt, die bei einem erreichten Grenzwert Alarm schlagen. / Foto: picture alliance/Robin Utrecht
Der moderne Mensch ist zum Stubenhocker geworden: Mitteleuropäer halten sich heute durchschnittlich 90 Prozent ihrer Zeit in Innenräumen auf. Dabei atmet jeder Mensch pro Tag 10 bis 20 m3 Luft ein, je nach Alter und je nachdem, wie aktiv er ist. Diese Informationen finden sich auf der Website des Umweltbundesamts, das für die Beurteilung der Luftqualität in Innenräumen einen eigenen Ausschuss gebildet hat, den Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR).
Solche Richtwerte zu haben, ist wichtig, denn die Luft in Innenräumen wie Privatwohnungen oder -häusern, Arbeitsräumen, öffentlichen Gebäuden oder auch (öffentlichen) Verkehrsmitteln kann eine Vielzahl von Schadstoffen enthalten. Sie lassen sich grob in die Kategorien chemische Stoffe, radioaktive Stoffe, Abgase und Feinstaub, Allergene sowie infektiöse Aerosole unterteilen. Der AIR legt zur gesundheitlichen Beurteilung zwei Werte fest, den Vorsorge- und den Gefahrenrichtwert.
Der Vorsorgerichtwert beschreibt die Konzentration eines Schadstoffes in der Innenraumluft, bis zu der auch bei lebenslanger Exposition keine gesundheitliche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Ist er überschritten, sollten vorsichtshalber Maßnahmen zur Absenkung ergriffen werden – daher der Name Vorsorgerichtwert. Er kann laut AIR als Zielwert etwa bei Sanierungen dienen.
Demgegenüber sei bei Erreichen oder gar Überschreiten des Gefahrenrichtwerts »unverzüglich zu handeln«, denn gesundheitliche Schäden seien »mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen«. Der Gefahrenrichtwert stütze sich auf die jeweils aktuellen toxikologischen und epidemiologischen Kenntnisse zur Wirkungsschwelle eines Schadstoffes und müsse laut den Bauordnungen der Länder eingehalten werden. Darin heißt es: »Bauliche Anlagen müssen so beschaffen sein, dass Gefahren durch chemische, physikalische oder biologische Einflüsse nicht entstehen.«
Verschimmelte Wände müssen saniert werden, um Gesundheitsgefahren durch Pilzsporen in der Luft zu vermeiden. / Foto: Imago Images/Funke Foto Services
Laut einer Informationsseite des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) kommen Schadstoffe in der Innenraumluft vor allem aus Baumaterialien, Putzmitteln und Möbeln, können aber auch durch Feuchtigkeit und bei Verbrennungsprozessen wie Kochen oder Rauchen entstehen. Chemische Schadstoffe wie Formaldehyd, polychlorierte Biphenyle (PCB), polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), flüchtige organische Verbindungen (VOC) oder auch Asbest stammen dabei überwiegend aus (alten) Bausstoffen. Das radioaktive Edelgas Radon findet sich vor allem im Boden, kann über Fugen oder Risse in Gebäude eindringen und sich dort in Erdgeschoss- oder Kellerräumen anreichern, da es schwerer ist als Luft. Abgase und Feinstaub entstehen einerseits durch Verbrennungen in Innenräumen, gelangen andererseits aber auch beim Lüften nach drinnen, insbesondere wenn sich das Gebäude an einer vielbefahrenen Straße befindet und der Raum im Erdgeschoss. Allergene wie Hausstaubmilben oder Tierhaare, aber auch Schimmelsporen sind in der Luft zu finden, wenn sie aufgewirbelt wurden. Infektiöse Aerosole können sich in schlecht gelüfteten Räumen anreichern, in denen sich mehrere Menschen aufhalten.
Eine Gruppe um Dr. Wolfram Birmili vom Umweltbundesamt veröffentlichte 2018 im Bundesgesundheitsblatt einen Übersichtsartikel zu Schadstoffen in Innenräumen, deren Hauptquellen und Möglichkeiten der Vermeidung (DOI: 10.1007/s00103-018-2737-8). Für den schnellen Überblick eignet sich eine Tabelle aus diesem Artikel, die hier zu finden ist. Zu Radon stellt das Bundesamt für Strahlenschutz auf seiner Website ausführliche Informationen bereit.
Welches sind nun aber die Gesundheitsgefahren, die von belasteter Innenraumluft ausgehen können? Das BMG listet auf:
Alles in allem seien Erkrankungen, die direkt auf die Innenraumluft zurückzuführen sind, in Deutschland allerdings selten.
Auf andere Länder insbesondere mit niedrigem oder mittlerem Durchschnittseinkommen trifft das dagegen nicht zu. Dort ist eine schlechte Luftqualität in Innenräumen, etwa durch offene Feuerstellen, die zum Kochen genutzt werden, ein sehr relevanter Sterblichkeitsfaktor. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist etwa ein Drittel der Weltbevölkerung (2,4 Milliarden Menschen) auf solche Petroleum-, Biomasse- oder Kohlefeuer beziehungsweise -öfen angewiesen. Die Folge: Im Jahr 2020 starben laut WHO-Angaben weltweit 3,2 Millionen Menschen vorzeitig an Krankheiten wie Schlaganfall, koronare Herzkrankheit, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und Lungenkrebs, die durch schlechte Innenraumluft verursacht wurden, darunter 237.000 Kinder unter fünf Jahren. Die Zahl an vorzeitigen Todesfällen infolge von verschmutzter Innenraumluft lag damit in einer Größenordnung mit der Anzahl der vorzeitig Gestorbenen infolge von Schadstoffen in der Außenluft.
Auch jenseits der offenkundigen Gesundheitsgefahren, die von Feuerstellen in Innenräumen ausgehen, müsse der Erforschung und Verbesserung der Innenraumluftqualität mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, forderten im Februar 2023 drei Kommentatoren um den medizinischen Chefberater der britischen Regierung, Professor Dr. Christopher Whitty, im Fachjournal »Nature«. Es sei wichtig, noch besser zu verstehen, welche Stoffe schädlich sind, wie diese gebildet werden und akkumulieren, welchen Einfluss lokale Unterschiede ausüben und wie die Qualität der Innenraumluft am geeignetsten zu verbessern ist. Bei all diesen Fragestellungen sei unbedingt wissenschaftliche Expertise zu berücksichtigen.