Kardiovaskuläres Risiko ist generell erhöht |
Annette Rößler |
30.08.2022 10:30 Uhr |
Bei der Betreuung insbesondere von jungen Patienten mit Autoimmunerkrankung sollte verstärkt auch das kardiovaskuläre Risiko zur Sprache kommen. / Foto: Adobe Stock/Dan Race
Alle Autoimmunerkrankungen haben eines gemeinsam: dass bestimmte körpereigene Substanzen oder Strukturen vom Immunsystem fälschlicherweise als fremd angesehen und angegriffen werden. Zwar unterscheiden sich die einzelnen Krankheiten darin, welche Gewebearten das Ziel der selbstzerstörerischen Attacken sind und wie diese genau ablaufen. Viele Wissenschaftler sind aber der Auffassung, dass stets eine chronische, systemische Entzündung am pathologischen Geschehen beteiligt ist.
So hält auch ein Autorenteam um Dr. Nathalie Conrad von der Universität Leuven in Belgien diese sogenannte Inflammationshypothese für eine wahrscheinliche Erklärung des Zusammenhangs zwischen Autoimmunerkrankungen und kardiovaskulärem Risiko, über den es aktuell im Fachjournal »The Lancet« berichtet. Die Forscher hatten unter Verwendung mehrerer großer Datenbanken 446.449 Personen in Großbritannien identifiziert, bei denen in den Jahren 2000 bis 2017 eine Autoimmunerkrankung neu diagnostiziert worden war, und diese mit insgesamt 2.102.803 Kontrollen ohne entsprechende Diagnose gematcht. Über einen Beobachtungszeitraum von median 6,2 Jahren wurde das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erfasst.
Berücksichtigt wurden insgesamt 19 Autoimmunerkrankungen, darunter rheumatoide Arthritis (RA), Psoriasis, systemischer Lupus erythematodes (SLE), multiple Sklerose (MS), chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Zöliakie, Vitiligo, Hashimoto-Thyreoiditis und Typ-1-Diabetes. Zu den zwölf erfassten kardiovaskulären Erkrankungen zählten Aortenaneurysma, Vorhofflimmern und -flattern sowie andere Herzrhythmusstörungen, nicht infektiöse Myo- und Perikarditis, Herzinsuffizienz, ischämische Herzkrankheit sowie venöse Thromboembolie und Schlaganfall.
Die Patienten mit Autoimmunerkrankungen waren bei der Erstdiagnose durchschnittlich 46,2 Jahre alt und die Mehrheit von ihnen (60,8 Prozent) waren Frauen. Insgesamt entwickelten 68.413 Patienten aus dieser Gruppe während der Studie eine Herz-Kreislauf-Erkrankung (15,3 Prozent), während es in der Kontrollgruppe 231.410 Personen waren (11,0 Prozent).
Die Analyse ergab für jede einzelne Herz-Kreislauf-Erkrankung ein erhöhtes Risiko bei autoimmun erkrankten Patienten, wobei das Risiko bei Patienten mit mehreren solcher Erkrankungen noch zunahm (Risikoerhöhung um 41 Prozent bei Vorliegen einer Autoimmunerkrankung, um 163 Prozent bei Vorliegen von zwei und um 279 Prozent bei Vorliegen von drei Autoimmunerkrankungen). Bei jüngeren Patienten fiel der Risikoanstieg dabei größer aus als bei älteren. Von den einzelnen Autoimmunerkrankungen waren die systemische Sklerose (Sklerodermie), Morbus Addison, SLE und Typ-1-Diabetes mit den stärksten Risikoanstiegen verbunden (jeweils plus 259 Prozent, 183 Prozent, 182 Prozent beziehungsweise 136 Prozent).
Damit sei eine Autoimmunerkrankung als kardiovaskulärer Risikofaktor vergleichbar mit Typ-2-Diabetes (Risikoanstieg um 62 Prozent) und sogar gewichtiger als ein Anstieg des systolischen Blutdrucks um 20 mmHg (Risikoanstieg um 26 Prozent) oder ein um 5 kg/m2 erhöhter BMI (Risikoanstieg um 21 Prozent), ordnen die Autoren ein. Sie fordern als Konsequenz gezielte Präventionsmaßnahmen insbesondere für junge Autoimmunpatienten und weitere Forschung zu den pathophysiologischen Mechanismen.
Sie betonen, dass der beobachtete Risikoanstieg sich nicht mit klassischen Risikofaktoren wie Alter, sozioökonomischer Status, Blutdruck, BMI, Rauchen, Typ-2-Diabetes oder Cholesterol erklären lasse, denn diese waren bei der Auswahl der gematchten Kontrollen bereits berücksichtigt worden. Der Einfluss der Autoimmunität auf das Herz und Gefäßsystem sei offenbar viel breiter als bislang vermutet, wahrscheinlich aufgrund von Effekten auf das Bindegewebe und kleine Gefäße, die Kardiomyozyten sowie womöglich auch der bei Autoimmunerkrankungen eingesetzten Arzneistoffe wie Corticosteroide, nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) und Biologika. Diese Zusammenhänge seien komplex.
Speziell erwähnen die Autoren die Wirkstoffgruppe der Statine, für die etwa in der JUPITER-Studie pleiotrope antientzündliche Effekte jenseits der Lipidsenkung gezeigt worden seien (»New England Journal of Medicine« 2008, DOI: 10.1056/NEJMoa0807646). Auch wenn sie selbst für eine weitere Erforschung dieses Ansatzes in klinischen Studien plädierten, könne man argumentieren, dass allein diese Studie den Einsatz von Statinen in dieser Patientengruppe rechtfertige, zumal in ihrer Untersuchung nur wenige Patienten mit Autoimmunerkrankungen ein Statin eingenommen hätten. Gerade erst hat eine Metaanalyse gezeigt, dass Statine generell besser vertragen werden als vielfach vermutet.