Kämpfer für die Sozialmedizin |
Der Schwerpunkt der Medizin liegt traditionell auf einem individualistischen Ansatz. Virchow hatte aber die Gesundheit der Gruppe, der Stadt, des ganzen Volkes im Blick. Für ihn war es offensichtlich, dass Krankheit oft das Ergebnis der Lebensumstände ist. Schon seine Erfahrungen in Oberschlesien haben ihm gezeigt, dass sich Gesundheit nur entwickeln kann, wenn Bildung, Freiheit und gute Ernährung für alle Bürger zugänglich sind.
Rudolf Virchow, Fotografie aus dem Jahr 1900 / Foto: akg-images
Virchows sozialer Blick auf eine Medizin, die nicht nur die Gesundheit Einzelner, sondern die der ganzen Gesellschaft im Blick hatte, drehte sich im Dritten Reich ins Negative. Das Individuum zählte nicht mehr, das Volk stand im Mittelpunkt. Dass nach dem Krieg die Individualmedizin wieder dominierte und Virchows Errungenschaften zunächst in den Hintergrund traten, verwundert deshalb nicht.
Erst seit den 1990er-Jahren entwickelt sich auch in Deutschland ein Forschungszweig, der über das öffentliche Gesundheitswesen hinausgeht und sich in den angelsächsischen Ländern schon deutlich früher etabliert hat: »Public Health« analysiert die hinter individuellen Erkrankungen liegenden Risikostrukturen sowie die Möglichkeiten, sie zu beeinflussen. Wie soziale Rahmenbedingungen und das Risiko zu erkranken interagieren, führen uns die hohen Corona-Infektionszahlen in Ländern vor Augen, in denen Menschen kaum Zugang zu funktionierenden Gesundheitssystemen haben. Mit seinem Blick für die ganze Gesellschaft war Virchow einer der Vordenker von Public Health.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.