Iod-Hamsterkäufe zu Kriegsbeginn |
Daniela Hüttemann |
01.06.2023 07:00 Uhr |
Hoch dosierte Notfallmedikamente für den atomaren Ernstfall wie das vorderste auf dem Bild werden zentral gelagert und im Ernstfall regional ausgegeben. Es gilt nicht als sinnvoll, sich privat zu bevorraten, auch wenn das gezeigte Präparat nicht verschreibungspflichtig ist. / Foto: imago/Eibner
Direkt nach Russlands Angriff auf die Ukraine Ende Februar 2022 nahm auch in die Deutschland die Angst vor einem Atomwaffeneinsatz oder Unfall durch einen Angriff auf ein AKW zu. Notfallpläne für einen solchen Ernstfall sehen die Austeilung von hoch dosierten Kaliumiodid-Tabletten an die Bevölkerung vor. Die Bundesregierung hält dafür 189,5 Millionen solcher Tabletten auf Lager.
Das Iod aus den Tabletten soll kurz vor oder unmittelbar nach einer Strahlenexposition eingenommen davor schützen, dass sich radioaktives Iod in der Schilddrüse ansammelt. Offensichtlich wollten aber viele Bürger selbst vorsorgen, indem sie in Apotheken (und vermutlich auch im Internet) Iod-Tabletten kauften. Das DAPI hat nun untersucht, wie sich der Kriegsbeginn in der Ukraine auf die Kaliumiodid-Abgabezahlen in Deutschland ausgewirkt hat. Die Ergebnisse wurden vor Kurzem in der Fachzeitschrift »Die Pharmazie« veröffentlicht.
Die Notfall-Tabletten enthalten 65 mg Kaliumiodid pro Tablette, was 50 mg Iodid entspricht. Es gibt auch ein nicht verschreibungspflichtiges Präparat (Kaliumiodid »Lannacher« 65-mg-Tabletten). Völlig anders in der Dosierung sind herkömmliche Iod-Präparate zur Substitution bei Schilddrüsenerkrankungen. Sie enthalten in der Regel 100 bis 200 Mikrogramm (µg) Iodid – die Dosierung ist also um den Faktor 500 bis 250 niedriger.
Für eine Iodblockade nach Strahlenexposition benötigen Personen im Alter von 13 bis 45 Jahre eine einmalige Dosis 130 mg Kaliumiodid, was zwei Notfalltabletten entspricht. Um eine solche Dosis zu erreichen, müsste man 1000 der herkömmlichen 100-µg-Tabletten schlucken. Der Kauf der Substitutions-Präparate ist also nicht sinnvoll, um sich auf den atomaren Ernstfall vorzubereiten.
Normalerweise geben die deutschen Apotheken im Schnitt schätzungsweise rund 75.000 OTC-Packungen Kaliumiodid ab, ohne große Schwankungen. Von Februar bis März stieg der OTC-Absatz jedoch um 144 Prozent an, auf mehr als 200.000 Packungen. Ein eher kleiner Teil bezog sich dabei auf das hoch dosierte Präparat: Im Februar 2022 wurden davon gemäß Insight-Health-Zahlen 930 OTC-Packungen von den öffentlichen Apotheken abgegeben. Im März waren es dann 6500 Packungen – ein Anstieg um das Siebenfache. Hinzu kamen etwas mehr als 500 dispensierte Packungen des hoch dosierten Kaliumiodids auf Rezept zulasten der GKV (plus 32 Prozent) und PKV (plus 43 Prozent). Im Vormonat waren es weniger als 50 Packungen gewesen.
Vermehrte Meldungen unerwünschter Arzneimittelwirkungen an die Behörden traten dagegen nicht auf. Daraus schließen die DAPI-Autoren, dass es sich um Hamsterkäufe aus Angst gehandelt haben müsse, die dann nicht appliziert wurden. Sie sehen ein Informationsdefizit oder gar Misstrauen in der Bevölkerung für den Fall eines atomaren Ernstfalls. Es brauche intensivere und proaktive Informationen über die Versorgung mit Iodtabletten.
Detaillierte Informationen zur Einnahme von Iodtabletten als Schutzmaßnahme bietet die Website www.jodblockade.de des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Hier finden sich auch die Dosierangaben. Die Website riet im März 2022 davon ab, Iodtabletten in Eigenregie zu nehmen. »Die Iodtabletten können nur wirken, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt eingenommen werden«, mahnt die Behörde.