Inzwischen ein inländisches Geschehen | 
| Christina Hohmann-Jeddi | 
| 05.03.2020 17:06 Uhr | 
				
		
	
		Das RKI schätzt die Dunkelziffer der SARS-CoV-2-Infizierten derzeit als gering an. Das belegen Stichproben aus den Sentinel-Praxen. / Foto: Getty Images/PS3000
Der Erreger SARS-CoV-2 breitet sich in Deutschland weiter aus. »Nicht nur die Fälle der Infektionen nehmen zu, sondern auch die Regionen, in denen sie auftreten«, sagte der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Professor Dr. Lothar Wieler, bei der täglichen Pressekonferenz heute in Berlin. Insgesamt 349 laborbestätigte SARS-CoV-2-Infektionen wurden dem Institut bis Donnerstagmorgen gemeldet, aus insgesamt 15 Bundesländern. Nur aus Sachsen-Anhalt ist bislang kein Fall bekannt. Besonders stark betroffen ist immer noch der Landkreis Heinsberg mit mehr als 100 bestätigten Covid-19-Fällen. Die Patienten in Deutschland seien zwischen 2 und 91 Jahren alt, im Mittel etwa 40, berichtete Wieler. Es sind zum jetzigen Zeitpunkt mehr Männer als Frauen betroffen.
Inzwischen sei zu beobachten, dass die Mehrzahl der neuen Infektionen nicht in Zusammenhang mit einer Auslandsreise stehen, sondern mit inländischen Kontakten. Es handele sich inzwischen also um ein inländisches Geschehen, so Wieler. Dies bedeute, dass man eine gute Chance habe, das Geschehen auch in Deutschland eindämmen zu können. Die Strategie des Containments müsse weitergefahren werden.
Der Pandemieplan, der für eine mögliche Influenzapandemie entwickelt worden war, wurde inzwischen angepasst, berichtete Wieler. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte am Mittwochabend mitgeteilt, dass sich die Gesundheitsministerkonferenz auf eine entsprechende Ergänzung zum Pandemieplan geeinigt habe. Diese war nötig, da der Pandemieplan ursprünglich für ein neu auftretendes Influenzavirus entwickelt worden war. Es gibt jedoch deutliche Unterschiede zwischen den Infektionen.
Die Ergänzung enthält vor allem drei Unterschiede zum Influenza-Pandemieplan, betonte der RKI-Präsident. Erstens sind gegen das Coronavirus, anders als bei der Grippe, in absehbarer Zeit keine Impfstoffe verfügbar. An einem Impfstoff werde zwar weltweit intensiv auch in supranationalen Kooperationen geforscht, mit einer wirksamen Vakzine sei aber wegen der nötigen klinischen Prüfung erst im Laufe des nächsten Jahres zu rechnen, so Wieler.
Der zweite Punkt sei, dass anders als bei der Grippe gegen das Coronavirus auch keine etablierten Therapeutika zur Verfügung stehen. »Die gute Nachricht ist, dass hier viele klinische Studien laufen, vor allem in China, bei denen Medikamente experimentell eingesetzt werden.« Er sei optimistisch, »dass solche Medikamente auch in Deutschland in den nächsten Wochen eingesetzt werden können«. Um welche Wirkstoffe, es sich dabei handelt, sagte er nicht. Eventuell kommen unter anderem das gegen Ebola entwickelte Remdesivir, das gegen Influenza in Japan und China zugelassene Favilaprevir oder die bereits zugelassene HIV-Kombination Lopinavir/Ritonavir (Kaletra®) infrage.
Der dritte Unterschied zum bisherigen Influenza-Pandemieplan sei, dass die Phasen des Pandemieplans weniger stark abgegrenzt sind. Wie Wieler ausführte, folgt auf die erste Phase der Eindämmung (Containment) bei zunehmender Verbreitung die zweite Phase Schutz (Protection), bei der sich der Schutz auf besondere Risikogruppen konzentriert. Diese geht dann in dritte Phase der Folgeminderung (Mitigation) über, bei der vor allem schwere Krankheitsverläufe und eine Überlastung des Gesundheitssystems vermieden werden sollen.
»Bei Influenza sind diese Phasen klar abgegrenzt«, sagte der RKI-Präsident. Bei SARS-CoV-2 mit seiner deutlich niedrigeren Verbreitungsgeschwindigkeit als bei der Grippe gebe es aber gute Chancen, die Verbreitung noch eingrenzen zu können oder zumindest zeitlich zu verzögern. »Deshalb werden wir mit aller Kraft des öffentlichen Gesundheitssystems dafür Sorge tragen, dass wir die Eindämmungsstrategie weiterlaufen lassen, auch wenn wir gleichzeitig schon in der Schutzphase sind«, so Wieler.
Gute Chancen für eine Eindämmung sehe er auch, weil die Dunkelziffer bislang gering ausfalle. Es gebe bisher keinen Anlass zu glauben, dass es eine weite unentdeckte Verbreitung des Erregers in Deutschland gebe. Denn seit der Kalenderwoche 8 testet die AG Influenza des RKI die von ausgewählten Arztpraxen eingeschickten Proben von Patienten mit akuten Atemwegsinfekten auch auf SARS-CoV-2. In keiner wurde der Erreger bislang nachgewiesen. Im aktuellen Wochenbericht der AG Influenza heißt es: »20 Proben, die in der 8. Kalenderwoche entnommen worden waren, und 185 Proben aus der 9. Kalenderwoche sind auf SARS-CoV-2 negativ getestet worden.«
Insgesamt teste man in Deutschland viel auf das Coronavirus, laut Wieler sogar zu viel. Er appellierte an die Bevölkerung und an die Ärzteschaft, nicht jeden Patienten mit Atemwegsinfekt, der sich wegen einer Coronavirus-Infektion sorge, auch auf SARS-CoV-2 zu testen. »Die Testkapazität ist in Deutschland sehr groß«, betonte Wieler. Dennoch sollte man nur bei begründetem Verdacht testen, um das System nicht zu überlasten. Zum Vorgehen bei einem Verdachtsfall hat das RKI Empfehlungen erarbeitet.