Interdisziplinäre orale Therapie |
Dank oraler Tumortherapien können Krebspatienten ihre Medikamente eigenständig zu Hause einnehmen und sind flexibler im Alltag. / © Getty Images/Fly View Productions
In Deutschland erkranken jährlich etwa 70.000 Frauen und 700 Männer an Brustkrebs. Ist die Erkrankung heilbar beziehungsweise nicht metastasiert, spricht man von frühem Brustkrebs. Dies trifft auf die große Mehrheit der Mammakarzinomerkrankungen zu. Rund 17.500 Frauen erhalten jährlich die Diagnose im metastasierten Stadium (1).
Hormonrezeptoren und HER2-Rezeptoren bestimmen wesentlich die Prognose, aber auch die zielgerichteten Therapiemöglichkeiten. Die häufigste Form des Mammakarzinoms ist hormonrezeptorpositiv (HR+) und HER2-negativ (HER2–). Diese Tumorart wird in der klinischen Praxis seit vielen Jahren mit oralen Medikamenten wie Tamoxifen und Aromataseinhibitoren wie Anastrozol, Exemestan oder Letrozol, bei prämenopausalen Patientinnen gegebenenfalls zusätzlich mit GnRH-Analoga behandelt.
Die Einnahme von oralen Antitumortherapeutika erfordert ein hohes Maß an Eigenverantwortung. / © Getty Images/Guido Mieth
In den letzten Jahren haben sich die Therapiemöglichkeiten für das metastasierte Mammakarzinom erheblich erweitert, insbesondere durch die Einführung neuer oraler Antitumortherapeutika. Dazu zählen unter anderem orale Zytostatika wie Capecitabin oder Vinorelbin, PARP-Inhibitoren sowie Kinase-Inhibitoren oder auch Elacestrant als selektiver Estrogenrezeptor-Downregulator (Tabelle 1).
HR+/HER2– Tumoren sprechen zudem auf zielgerichtete, endokrinbasierte Therapien an. Diese Therapie beruht auf hormonellen Mechanismen, zum Beispiel einer antihormonellen Therapie bei Brustkrebs. Dazu gehören insbesondere CDK4/6-Inhibitoren in Kombination mit Aromataseinhibitoren oder Fulvestrant (2). Ergänzend kommen auch der mTOR-Inhibitor Everolimus und die PI3K-Inhibitoren Alpelisib, Inavolisib und Capivasertib zum Einsatz (2, 3). Diese Wirkstoffe verlängern signifikant das progressionsfreie Überleben (PFS) und zeigen häufig auch positive Effekte auf das Gesamtüberleben.
CDK4/6- und PARP-Inhibitoren haben darüber hinaus inzwischen auch einen festen Platz in der adjuvanten Therapie des frühen HR+/HER2– Mammakarzinoms bei hohem Rückfallrisiko gefunden. Berechnungen gehen hier von circa 25 Prozent der Primärfälle aus. Abemaciclib erhielt im April 2022 die Zulassung für die zweijährige adjuvante Therapie des frühen, HR+/HER2– Mammakarzinoms mit hohem Rezidivrisiko (2).
Es folgte die Zulassungserweiterung von Olaparib für Patientinnen mit HER2-negativem, frühem Mammakarzinom, hohem Rückfallrisiko und nachgewiesener BRCA1/2-Keimbahnmutation für eine adjuvante Therapie von einem Jahr (2). Eine adjuvante Therapie über drei Jahre mit dem CDK4/6-Inhibitor Ribociclib ist ebenfalls seit 2024 anwendbar. Neratinib ist zugelassen für die erweiterte adjuvante Behandlung erwachsener Patientinnen mit HR+/HER2+ überexprimiertem oder -amplifiziertem Mammakarzinom im frühen Stadium (2).
Tabelle 1: orale Tumortherapie beim Mammakarzinom (Stand: August 2025) / © Franziska Henze/Rachel Würstlein
Ein Teil der zielgerichteten Therapien setzt voraus, dass spezifische Biomarker im Blut oder Liquor nachgewiesen wurden. / © Getty Images/Tek Image/Science Photo Library
Ein Teil dieser zielgerichteten Therapien setzt den Nachweis spezifischer prädiktiver Biomarker wie gBRCA, PIK3CA oder ESR1 voraus. Diese Biomarker werden an den Tumorzellen der Metastasenbiopsie oder aus dem Blut (Liquid Biopsy) molekularpathologisch analysiert. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer umfassenden molekularen Diagnostik sowie einer spezialisierten Expertise hinsichtlich Indikation und Management.
Auch Checkpoint Inhibitoren (CPI), Chemotherapeutika und weitere Substanzklassen sind bereits für die orale Applikation in Entwicklung. Aktuelle Therapiealgorithmen bei frühem (EBC) und metastasiertem (MBC) hormonpositivem Mammakarzinom werden jährlich von der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) aktualisiert (Abbildung 1 und 2).
Über lange Zeit wurde die Mehrzahl der Patientinnen mit der Erstdiagnose eines fortgeschrittenen oder metastasierten HR+/HER2– Mammakarzinoms mit intravenöser Chemotherapie behandelt. Eine endokrine Therapie, zum Beispiel mit Tamoxifen, Aromataseinhibitoren oder Fulvestrant, dient im Anschluss häufig der Therapieerhaltung.
Das intravenöse Therapieschema folgt einer standardisierten Abfolge: Indikationsstellung, Verordnung, Zubereitung in der Krankenhausapotheke, sowie Prä- und Begleitmedikation. Die intravenöse Verabreichung erfolgt in festen Intervallen über einen definierten Zeitraum. Durch die bekannten Nebenwirkungsprofile, standardisierte unterstützende Maßnahmen und die regelmäßige Vorstellung in onkologischen Einrichtungen ist und war eine engmaschige Überwachung der Chemotherapie hinsichtlich Adhärenz, Persistenz, Nebenwirkungen und Allgemeinzustand gewährleistet (4).
Mit der zunehmenden Verfügbarkeit oraler Antitumortherapeutika stellt sich nun ein Paradigmenwechsel ein, der mit neuen Vorteilen und Herausforderungen für Patientinnen verbunden ist. Die orale Tumortherapie (OTT) bietet den Vorteil der bequemen Einnahme zu Hause und einer größeren Flexibilität im Alltag, da weniger Krankenhausaufenthalte und Arztbesuche notwendig sind. Dies ermöglicht eine bessere Lebensqualität. Allerdings erfordert die OTT auch ein hohes Maß an Wissen und Eigenverantwortung und einen sorgfältigen Umgang mit Medikamenten. Es können Nebenwirkungen und Symptome im Alltag auftreten.
Am besten gelingt die Patientenbetreuung, wenn die involvierten Fachrichtungen zusammenarbeiten. / © Getty Images/jacoblund
Orale Therapien werden nach einem onkologischen Rezept in der öffentlichen Apotheke ausgegeben. Die Einnahmeschemata oraler Tumortherapien variieren erheblich: Manche Präparate werden einmal, andere zweimal täglich appliziert, entweder kontinuierlich, nach einem 21/7-Zyklus (Einnahme an 21 Tagen und Pause an sieben Tagen im Vierwochenrhythmus) oder einem 4/3-Zyklus (Einnahme an vier Tagen, gefolgt von drei Tagen Pause im Wochenrhythmus). Unterschiedliche Dosierungsstufen und Kombinationen erhöhen zusätzlich die Komplexität bei der Tabletteneinnahme.
Bei prä- und perimenopausalen Patientinnen wird die endokrine Therapie häufig durch ein GnRH-Analogon ergänzt, das alle 28 Tage subkutan verabreicht wird (2). Subkutane oder intramuskuläre Injektionen, zum Beispiel bei osteoonkologischer Begleittherapie (Denosumab) oder Fulvestrant, sind ebenfalls Bestandteile der Behandlung, ebenso intravenös applizierte oder orale Bisphosphonate und Vitamin-D-Substitution. Eine regelmäßige Therapievorstellung in der onkologischen Abteilung ist Voraussetzung für die Symptomkontrolle und Prognoseverbesserung. Darüber hinaus bedarf es einer präzisen Koordination von Kontroll- und Nachsorgeterminen, Laborwertkontrollen, EKG- und weiteren Untersuchungen sowie Medikationsüberwachung durch das behandelnde Team.
Insbesondere in den ersten drei bis vier Monaten sind regelmäßige onkologische Vorstellungen entscheidend, um Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen, Fragen zu klären und die individuell optimale Dosierung festzulegen (5). Mit zunehmender Therapiedauer nimmt die Intensität dieser Kontakte üblicherweise ab. Viele Patientinnen nehmen neben der oralen Tumortherapie auch ihre Eigenmedikation weiter ein. Hinzu kommt die Komplementärmedikation. Es können Symptome gelindert und Lebensqualität verbessert werden. Um Wechselwirkungen vorzubeugen, sollten Patientinnen daher vorab ausreichend über den Einsatz der verschiedenen Arten von Medikation in Abstimmung mit dem gesamten Behandlungsteam informiert und beraten werden.
Aufklärung ist die Basis einer sicheren oralen Therapie. / © Adobe Stock/Siphosethu F/peopleimages.com
Einige Substanzen wie CDK4/6-Inhibitoren oder PARP-Inhibitoren, die beim metastasierten Mammakarzinom zugelassen sind, haben seit Kurzem eine Zulassungserweiterung für das frühe Mammakarzinom mit hohem Rückfallrisiko, definiert durch Tumorgröße, Lymphknotenstatus und die tumorbiologischen Eigenschaften. Die Nachsorge von frühen Mammakarzinomen und antihormonellen Monotherapien erfolgt in der Regel leitliniengerecht und individuell durch niedergelassene Gynäkologen. Durch Rezepte aus der onkologischen Praxis beziehungsweise Klinik kommen in den öffentlichen Apotheken alle Fragen der Gesamtmedikation zusammen.
Sowohl Patientinnen als auch Ärzte bevorzugen die OTT gegenüber anderen Anwendungsformen (6). Allerdings erfordert die OTT eine höhere Eigenverantwortung, die insbesondere in den ersten drei bis vier Monaten der Therapie eine intensive medizinische Begleitung notwendig macht (7). Die oftmals lange Therapiedauer beansprucht das Durchhaltevermögen der Patientinnen. Sie müssen nicht nur auf die regelmäßige Einnahme achten, sondern mögliche Nebenwirkungen korrekt einordnen und mitteilen.
Eine OTT kann auch finanziell eine große Herausforderung für die Patientinnen darstellen: Insbesondere bei privaten Krankenversicherungen belasten die oftmals teuren Medikamente. Außerdem kommt es auch bei onkologischen Substanzen zur Verknappung durch Lieferengpässe.
Damit die fachgerechte Versorgung auch bei OTT problemlos erfolgt, ist eine enge Zusammenarbeit aller beteiligten Behandlungsteams erforderlich, um eine kontinuierliche und zuverlässige Patientenbetreuung sicherzustellen.
Die besonderen Herausforderungen, denen Patientinnen in der OTT gegenüberstehen, erfordern auch eine besondere Herangehensweise bei der Betreuung. Diese beginnt bei der ärztlichen Indikationsstellung und reicht bis zur Begleitung und Nachsorge der Therapie. Die Indikationsstellung für eine OTT sowie die Aufklärung zu Wirkmechanismus, potenziellen Nebenwirkungen, deren Management, zur Dosierung, zu möglichen Therapieunterbrechungen und zum Therapieende erfolgen durch die behandelnden Ärzte.
Eine Therapieentscheidung erfolgt in der Regel im Rahmen einer Tumorkonferenz im zertifizierten Brustzentrum, in dem alle beteiligten Fachrichtungen bei der Behandlung von Patientinnen zusammenarbeiten. Die Patientinnen werden dabei von Haus- oder Frauenärzten zugewiesen. An der Tumorkonferenz nehmen unter anderem Gynäkologen, Radiologen, Pathologen, Strahlen- und Hämatoonkologen sowie medizinisches Pflegepersonal und gegebenenfalls weitere Berufsgruppen oder Disziplinen teil.
Die Therapie ist abhängig von Tumorstadium, -biologie sowie weiteren Patientenfaktoren, wie Alter, Vorerkrankungen, Vortherapien und Patientenpräferenzen. Die Therapie kann dann in der Klinik/Ambulanz oder in einer hämatoonkologischen Praxis erfolgen. Regelmäßige Vorstellungen in der onkologischen Abteilung sind die Voraussetzung für eine optimale Therapiebegleitung, Symptomkontrolle, Prognoseverbesserung und Lebensqualität der Patientinnen. Ergänzend zu den ärztlichen Aufklärungs- und Verlaufsgesprächen werden vertiefende Informationen und individuelle Fragestellungen in Pflegesprechstunden aufgegriffen, in denen speziell qualifizierte onkologische Pflegeexperten, Onko-Coaches oder Advanced Practice Nurses die kontinuierliche Versorgung über längere Zeit sicherstellen.
Die standardisierte Pflegeberatung ist bei den Patientinnen sehr angesehen und stellt eine sinnvolle Ergänzung zur ärztlichen Betreuung dar (8, 9). Im Rahmen einer strukturierten, pflegerischen Anamnese – die allgemeine, somatische, soziale, psychische und familiäre Aspekte umfasst – werden relevante Informationen erfasst, die eine individualisierte und fortlaufende Therapiebegleitung ermöglichen (Tabelle 2) (10).
Tabelle 2: Wichtige und praktische Informationen zur OTT aus Sicht der onkologischen Abteilung / © PZ
Dabei unterstützt auch das standardisierte Patiententrainingsprogramm MOATT, welches geeignet ist, um Therapieabbrüche zu senken und die Prognose zu verbessern und in vielen Studien zur OTT zum Einsatz kommt (11). Die Anbindung an Unterstützungsangebote wie Psychoonkologie, Ernährungsberatung, Bewegungsangebote, Sozialberatung, Komplementärmedizin und Informationsangebote können Patientinnen dabei helfen, ihre Therapietoleranz und -wirkung zu verbessern. Patientinnen erhalten umfassende Informationen zur sachgerechten Lagerung oraler Antitumortherapeutika, wie dem Schutz vor Hitze, Sonnenlicht und Feuchtigkeit. Zudem werden potenzielle Wechselwirkungen thematisiert, zum Beispiel zwischen CDK4/6-Inhibitoren und Grapefruitprodukten oder mit begleitender Medikation wie Antibiotika.
Das Verhalten bei therapieassoziierten Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Fatigue, Diarrhö oder Fieber wird ausführlich erläutert (12).
Bestimmte pflanzliche Präparate und Nahrungsmittel können potenziell mit der Medikation interagieren, etwa grapefruithaltige Produkte. / © Getty Images/Gabriela D Costa
Eine unkomplizierte, interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Patientinnen, Ärzten, Pflegefachpersonen und Apothekenteams ist dabei essenziell, um Adhärenz und Arzneimitteltherapiesicherheit zu gewährleisten. Nur durch einen engen Austausch lassen sich Nebenwirkungen frühzeitig erkennen und adäquat managen. Dadurch lassen sich auch potenzielle Wechselwirkungen mit Eigenmedikation oder komplementär eingesetzten Präparaten vermeiden und so die Patientensicherheit und Lebensqualität erhöhen (Abbildung 3). Auch allgemeine und produktbezogene Unterstützungsmaterialien können so gedruckt, digital oder als App individuell und optimal eingesetzt werden.
Im Verlauf der Therapie werden in regelmäßigen Abständen Verlaufsgespräche mit dem onkologischen Team geführt, um die Adhärenz und Persistenz zu fördern und die Therapiebedürfnisse individuell zu begleiten. Apotheker und PTA stehen Patientinnen und dem Behandlungsteam über die gesamte Therapiedauer hinweg beratend zur Seite. Sie nehmen in der Betreuung der Patientinnen eine wichtige Funktion ein.
Abbildung 3: Interdisziplinäre, interprofessionelle und sektorübergreifende Zusammenarbeit in der OTT / © PZ
Krankenhaus- und öffentliche Apotheken sind ein zentraler Anlaufpunkt für Patientinnen. Ihr fachliches Wissen und ihre oft langjährige Nähe zu den Patientinnen machen sie zu wichtigen Ansprechpartnern bei der Unterstützung der onkologischen Sicherstellung von Arzneimitteltherapiesicherheit, Therapietreue und Lebensqualität. Dabei spielen neben Apothekern auch PTA eine bedeutende Rolle, die primäre Ansprechpartner sind.
Da OTT langfristig angewendet werden, unterstützen Apotheken Patientinnen oft über Jahre. Dabei kann die regelmäßige Dokumentation des subjektiven Befindens durch die Patientinnen wichtige Hinweise, zum Beispiel zur Verträglichkeit und zu unerwünschten Nebenwirkungen, liefern. Apotheker erkennen optimalerweise potenzielle Nebenwirkungen oder Risiken frühzeitig und besprechen diese mit dem ärztlichen Behandlungsteam.
Es gibt viele Beispiele, bei denen die Wechselwirkung von Medikamenten eine sehr wichtige Rolle spielt. Daher achten auch die Apotheker darauf, diese zu verhindern. Sie bieten gezielte Medikationsanalysen, strukturierte Beratungsgespräche und eine engmaschige Patientenbetreuung an. Apotheker erstellen individuelle Gesamtmedikationspläne, die neben der strukturierten Darstellung der Medikation auch Therapiepausen und Empfehlungen zur zeitlichen Trennung der Einnahme abbilden. Auch durch den gezielten Einsatz der Komplementärtherapie leisten Apotheker einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung des interprofessionellen Behandlungsteams.
Im Rahmen von berufsgruppenübergreifenden Fachvorträgen und Webinaren werden praxisnahe Inhalte vermittelt, um eine fachgerechte Begleitung und Beratung onkologischer Patientinnen zu gewährleisten. Fortbildungen und Qualifikationen ermöglichen allen Fachkräften nicht nur eine hohe Fachkompetenz, sondern auch die Übernahme von Verantwortung durch die Delegation bestimmter Tätigkeiten. Dabei müssen Vorbehalte und Hierarchien im Team abgebaut und alle Leistungen angemessen vergütet werden (13).
Der zunehmende Bedarf an medizinischer Versorgung unterstreicht die Relevanz digitaler Unterstützungssysteme. In diesem Kontext gewinnen E-Health-Anwendungen zunehmend an Bedeutung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert E-Health als die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) im Gesundheitswesen. E-Health umfasst sämtliche IKT-gestützten Anwendungen zur elektronischen Erfassung, Verarbeitung und sicheren Übermittlung gesundheitsbezogener Informationen. Ziel ist es, die Versorgungskontinuität zu verbessern, die Kommunikation zwischen Behandelnden und Betroffenen zu erleichtern sowie Behandlungs- und Betreuungsprozesse effizient zu gestalten (14).
In der onkologischen Betreuung ermöglichen E-Health-Lösungen die strukturierte Erfassung von Nebenwirkungen, die Übertragung labor- oder therapiebezogener Daten sowie den direkten Austausch im multiprofessionellen Team. Darüber hinaus können Telefon- oder Videosprechstunden insbesondere bei Patientinnen in stabilen Behandlungen ergänzend zu Präsenzterminen eingesetzt werden.
Digitale Unterstützungsangebote können Patientinnen während der Therapie begleiten. / © Getty Images/andreswd
Ein Beispiel für digitale Unterstützung ist »CANKADO« – eine App- beziehungsweise webbasierte Plattform (www.cankado.com), die zur interprofessionellen Begleitung und zum Empowerment von Patientinnen während einer oralen Tumortherapie eingesetzt werden kann. CANKADO ist ein digitales Patiententagebuch, das eine tägliche Dokumentation des Gesundheitszustands ermöglicht und über eine Erinnerungsfunktion zur Einnahme der Medikation verfügt. Darüber hinaus bietet es die Möglichkeit, Patientinnen mit ihrem medizinischen Behandlungsteam zu vernetzen, und trägt so aktiv zur strukturierten Vorbereitung ärztlicher Visiten bei. In der multizentrischen, randomisierten Phase-IV-Studie PreCycle konnte gezeigt werden, dass durch die Nutzung des Programms die Zeit bis zum Auftreten einer Verschlechterung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität signifikant verlängert und die Zahl der schwerwiegenden Ereignisse reduziert werden konnte (15).
Ein weiteres Beispiel für digitale Therapiebegleitung ist »PINK! Coach«, eine digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) in Form einer App, die auf der Website des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte gelistet wurde und als Begleiter für Brustkrebspatientinnen zur Verfügung steht (www.pink-brustkrebs.de). Auch produktspezifische Apps wie »Sidekick« für das Medikament Abemaciclib werden angeboten.
Der demografische und epidemiologische Wandel führt zu einer allgemein zunehmenden qualitativen und quantitativen Steigerung des onkologischen Versorgungsbedarfs bei gleichzeitigem Mangel an Fachkräften und wachsendem Patientenanspruch. Durch die stetige Zunahme neuer, oraler zielgerichteter Tumortherapien und die langjährigen Therapieverläufe beim Mammakarzinom werden onkologische Teams vor neue Herausforderungen gestellt. Diese Entwicklung ist für alle Beteiligten in vielen Wirkungsbereichen relevant, da eine Anpassung aus Sicht der Patientinnen, Pflegefachkräfte, Ärzte und Apotheker und aus Sicht des Gesundheitssystems ständig erneuert werden muss.
Um die Therapiewirksamkeit und die Sicherheit der Patientinnen sicherzustellen, muss der Ablauf der Therapieanordnung, Durchführung, Begleitung und Nachsorge kontrolliert werden. Zusätzlich wird die individuelle Medikation von vielen Apotheken in enger Abstimmung mit dem Behandlungsteam unterstützt, um arzneimittelbezogene Probleme gemeinsam mit den Patientinnen zu erkennen und zu lösen. Die aktive Einbindung in Patientenberatung, Medikationsmanagement und digitale Versorgungsangebote macht die Apotheke zu einem wichtigen Partner in der modernen onkologischen Versorgung.
Fachinformationen
Patientenunterstützung
Informationen zu zertifizierten Brustzentren
Außerdem können neue Hilfsmittel, beispielsweise E-Rezept, E-Health und Apps mit Erinnerungsfunktion oder zur Dokumentation der Wechsel- und Nebenwirkungen, in die Therapieführung eingebunden werden. Auch in der Patientenedukation, durch Bereitstellung von Informationen, Coaching und Unterstützung beim Selbstmanagement, kommt allen Beratenden eine zunehmend zentrale Rolle zu.
Durch gemeinsame Aus- und Weiterbildungen aller Berufsgruppen sowie die interdisziplinäre, verbesserte Forschung kann die zukünftige Gesundheitsversorgung verbessert werden. Eine interdisziplinäre und interprofessionelle Weiterbildung, wie sie etwa beim Jahreskongress der Arbeitsgemeinschaft Supportive Maßnahmen in der Onkologie (AGSMO) im Juni 2025 in Berlin oder beim Pharmacon-Kongress in Schladming im Januar 2025 eindrucksvoll gezeigt wurde, ist ein wichtiger Schritt, um die Zusammenarbeit zwischen den Kliniken und Apotheken zu optimieren. Das Netzwerk LMU Klinikum München (OTT) tauscht sich beispielsweise vor Ort mit den lokalen Apotheken aus.
Die erfolgreiche Umsetzung einer oralen Tumortherapie erfordert ein interprofessionelles Miteinander anstelle eines multiprofessionellen Nebeneinanders. Entscheidend ist, dass die Therapie der Patientin mit Brustkrebs wirkt und im Alltag umsetzbar ist. Dieses Ziel ist nur durch das abgestimmte Zusammenspiel von Ärzten, Apothekern, PTA und Pflegefachpersonal effektiv und möglichst ressourcenschonend zu erreichen.
Seit zehn Jahren beschäftigt sich die Arbeitsgruppe Orale Tumortherapie des Brustzentrums LMU Klinikum München (Leitung: Professor Dr. Nadia Harbeck) mit den Herausforderungen und Chancen der zunehmenden Tablettentherapien beim Mammakarzinom.
Das interprofessionelle Team um Professor Dr. Rachel Würstlein befasst sich insbesondere mit Strukturveränderungen durch diese Therapieform, dem Einsatz von Patient-Reported Outcomes (PRO) seitens Patientinnen und Angehörigen, Patientenpräferenzen und den Schnittstellen der Onkologie. Auch die Aus- und Weiterbildung verschiedener Berufsgruppen sowie die Information von Patientinnen inklusive Implementierung neuer Kommunikationsmöglichkeiten werden weiterentwickelt und evaluiert. In den letzten Jahren setzte die Arbeitsgruppe zahlreiche Projekte und Studien regional, national und international um und erhielt Auszeichnungen. Aus der Arbeitsgruppe entstanden mehrere erfolgreiche Promotionsarbeiten sowie viele Publikationen und Vortragsarbeiten. Aktuelle Projekte beschäftigen sich mit der Schnittstelle von Onkologie und Apotheke.
Dieser Artikel entstand unter Mitwirkung von Nadia Harbeck, Franziska Henze, Alexander König und Julia Novotny.