Individuelle Therapie ist ein Muss |
Hypoglykämien, Demenz oder demenzielle Syndrome sowie eine Depression beeinträchtigen die kognitive Leistungsfähigkeit (13). Demenz und Depression kommen bei Menschen mit Diabetes häufiger vor als in der gleichaltrigen Normalbevölkerung. Die Unterscheidung fällt nicht immer leicht; es gibt jedoch einige grundlegende Unterschiede (Tabelle 4).
Parameter | Demenz | Depression |
---|---|---|
Beginn | schleichend | schnell |
Auffassungsgabe | gestört | erhalten |
Alltagskompetenz | eingeschränkt | erhalten |
Sprache | oft gestört | ungestört |
Reaktion auf Antidepressiva | Persistieren der kognitiven Symptome bei Rückbildung der Depression | parallele Remission von kognitiven und depressiven Symptomen |
Da beide Diagnosen eine negative Auswirkung auf Lebensqualität, Autonomie, Bewegungsverhalten und Adhärenz zur Therapie haben, muss rasch eine therapeutische Entscheidung getroffen werden. Bei einer Depression bei geriatrischen Patienten sind selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) die erste Wahl. Das Nutzen-Risiko-Profil dieser Substanzklasse ist im Vergleich zu anderen Antidepressiva vorteilhaft, vor allem bezüglich kardialer und kognitiver Nebenwirkungen.
Bei ärztlich diagnostizierter, beginnender Demenz sollte möglichst bald parallel zu anderen Maßnahmen ein »advanced care planning« stattfinden. Der Begriff stammt aus der Palliativmedizin und beschreibt die individuelle weitere Versorgungsplanung, um im Sinne des Patienten entscheiden zu können, wenn dieser dazu nicht mehr in der Lage ist. Dies umfasst die medizinische, pflegerische, psychosoziale und seelsorgerische Betreuung.
Herr K. ist 81 Jahre alt. Seine Frau berichtet von einer gehäuft auftretenden Müdigkeit und Abgeschlagenheit ihres Mannes. Dieser erhält außer Ramipril (Hypertonie) keine weiteren Medikamente. Da der in der Apotheke gemessene Blutzucker deutlich erhöht ist, rät der Apotheker zur weiteren Abklärung beim Arzt. Die dortige Blutanalyse ergibt außer einem HbA1c von 8,0 Prozent keine Auffälligkeiten. Herr K. wird auf Metformin eingestellt, das langsam auf 2 x 1000 mg hochtitriert wird. Abgeschlagenheit und Müdigkeit bessern sich daraufhin stetig.
Nach sechs Monaten liegt der HbA1c immer noch bei 7,4 Prozent. Auf Nachfrage geben Herr K. und seine Frau keine Hypoglykämien oder verwandte Symptome an. Aufgrund der guten Allgemeinverfassung verordnet der Arzt leitlinienkonform Empagliflozin 1 x 10 mg. Dadurch sinkt der HbA1c auf 6,8 Prozent.
Zwei Jahre später fällt bei einer Routinekontrolle ein erhöhter Laktatwert bei einer GFR von 58 ml/min auf. Metformin wird reduziert und dann ganz abgesetzt. Die Feinmotorik des Patienten erlaubt keine Injektionstherapie. Daher wird Linagliptin 1 x 5 mg peroral angesetzt.
Während des jährlichen Neuropathie-Screenings wird eine Dranginkontinenz diagnostiziert. Unter der Therapie mit Solifenacin 1 x 5 mg täglich sistieren die Beschwerden. Frau K. erkennt frühzeitig eine Rötung mit eingerissener Haut am Fußballen; nach der Wundversorgung erhält Herr K. podologisches Schuhwerk.
Viele Diabetes-Patienten leiden an einer Depression. Meist sind selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) die Mittel der ersten Wahl. / Foto: Getty Images/Deagreez
Im Folgejahr klagt der Patient über Antriebslosigkeit und Schlafstörungen. Da der Arzt keine Beeinträchtigung im Mini-Mental-Status-Test (MMST) feststellt, vermutet er eine Depression und verordnet nach Abklärung Citalopram 1 x 10 mg. In der routinemäßigen Medikationsanalyse wird Citalopram aufgrund des Nebenwirkungsprofils als gut gewählte Substanz beurteilt und zur Sicherheit Solifenacin gegen Trospium 1 x 60 mg retard ausgetauscht, um zentrale anticholinerge Nebenwirkungen zu vermeiden. Der Apotheker empfiehlt Empagliflozin und Linagliptin als Kombinationspräparat, um die tägliche Tablettenzahl zu senken.
Herr K. ist mittlerweile 85 Jahre alt. Die Depression ist in Remission und Citalopram wurde abgesetzt. Er hat keine kognitiven Einschränkungen oder Hypoglykämien. Der HbA1c liegt stabil bei 7,0 Prozent.
Das Fallbeispiel demonstriert, wie eine optimale interdisziplinäre Versorgung in der Geriatrie aussehen kann. Neben anderen Professionen leisten Apotheker einen unverzichtbaren Part in der Patientenbetreuung und können sich mit ihrem Fachwissen konstruktiv in die Behandlung einbringen.
Literatur beim Verfasser
Christopher Waxenegger studierte von 2011 bis 2017 Pharmazie an der Universität Wien. Von 2018 bis 2019 absolvierte er das pharmazeutisch-praktische Jahr in der Apotheke Altmannsdorf. Anschließend folgten Weiterbildungen, vor allem im Bereich Medikationsanalyse, die er bei freiwilliger Mitarbeit in einer Arztpraxis vertiefte. Seit 2020 verfasst Waxenegger zusätzlich freiberuflich Artikel für pharmazeutisch-medizinische Fachzeitschriften. Parallel dazu ist er als Miliz-Offizier beim österreichischen Bundesheer tätig.