Individuelle Therapie ist ein Muss |
Rund 4 Prozent der Bevölkerung in Deutschland leiden an chronischen Schmerzen. Bei an Diabetes erkrankten Menschen ist speziell die Polyneuropathie eine gefürchtete Komplikation. Etwa die Hälfte der Patienten leidet daran; rund 30 Prozent beklagen dadurch verursachte Schmerzen mit stark eingeschränkter Lebensqualität (12). Als Ursache wird der dauerhaft erhöhte Glucosespiegel im Blut und damit einhergehende Ablagerungen von »advanced glycation endproducts« (AGE) angenommen.
Das sind Konglomerate von Lipiden, Proteinen oder Nukleinsäuren, die ohne enzymatische Beteiligung mit Kohlenhydraten reagieren. Betroffen sind insbesondere die kleinen peripheren Nervenstränge an Händen und Füßen. Die Symptome äußern sich durch Missempfindungen, Taubheitsgefühl, Kribbeln und Brennen bis hin zu plötzlich einschießenden Schmerzen. Sekundär kann es dadurch zu Gangunsicherheit und Stürzen, Schlafstörungen und Depressionen kommen.
Missempfindungen, Taubheitsgefühl, Kribbeln und Brennen können eine diabetische Polyneuropathie begleiten. / Foto: Adobe Stock/toa555
Die Behandlung erfolgt nach ausführlicher Anamnese und hat eine mindestens 50-prozentige Verbesserung der Beschwerden als Ziel. Zugelassen zur Behandlung der diabetischen Polyneuropathie sind Gabapentin, Pregabalin, Amitriptylin und Duloxetin. Off-label kommen unter anderem auch Tramadol sowie topisches Amitriptylin und Ambroxol in unterschiedlichen Konzentrationen zum Einsatz.
Der gemeinsame Wirkmechanismus dieser heterogenen Substanzklassen ist die hemmende Wirkung auf plötzlich auftretende Spontanaktivitäten von peripheren Nervenfasern.
Parallel zum Neuropathie-Screening sollte immer die Blasenfunktion überprüft werden. Miktionsbeschwerden bis hin zur Harninkontinenz sind typische Diabetes-assoziierte Sekundärkomplikationen. Bis zu 87 Prozent der geriatrischen Patienten leiden unter einer diabetischen Zystopathie, die eng mit der Neuropathie verbunden ist. Bei bis zu 80 Prozent ist die Funktion des Detrusors eingeschränkt.
Oft sind Apotheker die ersten Ansprechpartner, wenn es um diese Thematik geht. Sie sollten die Betroffenen dazu ermuntern, mit dem Arzt über ihre Probleme zu sprechen und können die Medikationsliste auf potenziell Inkontinenz fördernde Arzneimittel durchsuchen (Tabelle 3).
Medikament | Ursache |
---|---|
Alpha-adrenerge Substanzen | Erhöhung des Muskeltonus |
Alphablocker | Abnahme des Muskeltonus |
Anticholinergika | Blasenentleerungsstörung, Obstipation, eingeschränkte kognitive Funktion |
Diuretika | vermehrte Harnanflutung |
Calciumkanalblocker | Zunahme von Ödemen, vor allem der Beine |
Gabapentin, Glitazone, nicht-steroidale Antirheumatika | Wassereinlagerung |
ACE-Hemmer | ACE-Hemmer-Husten kann Inkontinenz verstärken |
Benzodiazepine, Antipsychotika, Hypnotika | Verwirrtheitszustände und Bewegungseinschränkung verstärken Inkontinenz. |
Antidepressiva (SSRI), Antidementiva | verstärkte cholinerge Aktivität |
Immobilisierte Patienten erhalten eine pflegerische Versorgung mit körpernahen und -fernen Inkontinenzprodukten. Bei guter Beweglichkeit oder Teilimmobilisation lohnt sich ein medikamentöser Behandlungsversuch mit Parasympatholytika wie Trospium, Solifenacin, Darifenacin und Tolterodin unter Beachtung peripherer und zentraler anticholinerger Nebenwirkungen. Dabei ist das nicht ZNS-gängige Trospium in der Geriatrie zu bevorzugen. Alternativ kommt bei Unverträglichkeit der Anticholinergika oder Glaukom der β3-Agonist Mirabegron zum Einsatz. Vorteilhaft ist auch die Entleerung der Blase alle drei bis fünf Stunden unabhängig vom Harndrang (Toilettentraining).