Kein Sanierungsfall |
13.08.2001 00:00 Uhr |
Das weltweite Aufsehen und das zuweilen alles andere als störungsfreie Krisenmanagement der Leverkusener Bayer AG hat dem Renommee des Vorzeigeunternehmens nicht nur in der Finanzwelt schwer geschadet. Nach dem Debakel mit dem Arzneimittel Lipobay erwägt der Bayer-Konzern, seine angeschlagene Pharma-Sparte unter Umständen von einem Konkurrenten führen zu lassen.
Von den bisherigen Vorstellungen im Pharmageschäft müssten Abstriche gemacht werden, sagte Vorstandschef Manfred Schneider am Montag in Leverkusen. Er schloss erstmals nicht mehr aus, dass die Bayer AG bei einer möglichen Pharmafusion auch die unternehmerische Führung abgibt. Zu einem Verkauf des Bereichs werde es aber nicht kommen. Zuvor hatte Schneider - wie auch seine Vorstandskollegen - mit einer prinzipiellen Absage an enge Partnerschaften oder gar Fusionen reagiert. Doch die Entwicklungen der vergangenen Tage ließen dem Konzernchef keine Wahl. Nach den erheblichen Kursstürzen an der Börse erholte sich das Papier, das zu den stabilen und wichtigen Werten im Deutschen Aktienindex DAX zählt, leicht.
Vor dem Vermarktungsstopp für den Cholesterin-Senker Lipobay/Baycol am vergangenen Mittwoch hatte Bayer bereits Probleme mit seinem Blutgerinnungsmittel Kogenate. Mit diesen Medikamenten seien gleich zwei Grundpfeiler der Pharma-Sparte für einen gewissen Zeitraum weggebrochen, erläuterte Schneider.
Der vom Markt genommene Cholesterin-Senker Lipobay/Baycol wird inzwischen mit weltweit 52 Todesfällen in Verbindung gebracht. Fünf Fälle davon entfielen auf Deutschland. "Unser Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen all jener Menschen, deren Tod möglicherweise mit der Einnahme unserer Medikamente in Verbindung stehen soll", sagte der Konzernchef. Gleichzeitig betonte er, dass es dafür allerdings derzeit keine Beweise gebe.
Bei den Meldungen fehlten häufig Hinweise, ob von den Patienten zugleich auch andere Medikamente eingenommen wurden. Der freiwillige Vermarktungsstopp sei erfolgt, als klar geworden sei, dass bestimmte Risiken nicht ausgeschlossen werden könnten. Auch die Ärzte und Apotheker habe Bayer so schnell wie möglich informiert, verteidigte Schneider die Informationspolitik des Unternehmens. Die Reaktionen seitens Apotheker- und Ärzteschaft waren zunächst sehr deutlich ausgefallen (siehe auch "Kritik an Bayers Informationspolitik").
Die Rücknahme des Medikaments hat Folgen sowohl für die Belegschaft als auch für die Aktionäre: Zu den 4000 Stellen, die Bayer ohnehin abbauen will, komme ein weiterer Arbeitsplatzabbau im Konzernbereich Gesundheit hinzu. Genaue Zahlen nannte Schneider nicht. Der Stellenabbau solle sozialverträglich erfolgen.
Für die Aktionäre bedeute der Vermarktungsstopp eines der wichtigsten Arzneimittel von Bayer sowie der Gewinneinbruch im ersten Halbjahr 2001 eine geringere Gewinnausschüttung. Die Dividende des Vorjahres von 1,40 Euro je Aktie müsse reduziert werden. Gleichzeitig machte Schneider den Aktionären Hoffnung auf bessere Zeiten: In der Pharmaentwicklungs-Pipeline befänden sich 42 Produkte, davon 18 schon in der klinischen Prüfung. Die technischen Probleme mit Kogenate würden bis Anfang nächsten Jahres gelöst.
Deutsche Aktionärsschützer fordern unterdessen vom Bayer-Vorstand ein Maßnahmepaket zur Stärkung des Konzerngewinns. "Bayer ist für viele Kleinaktionäre ein Renten- und Waisen-Papier", sagte die Geschäftsführerin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, Jella Benner-Heinacher gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Deshalb erwarteten die Geldanleger nach dem Bayer-Gewinneinbruch im ersten Halbjahr 2001 zeitnah konkrete Aussagen. Die Ankündigung eines Stellenabbaus im Ausland sei ein erster Schritt in diese Richtung. Aber auch zur Zukunft der Pharmasparte müsse es klare Worte geben.
Analysten sind uneinsdpa Nach den Lipobay-Geschehnissen und der Bayer-Gewinnwarnung sind Analysten in ihrer Einschätzung für die Aktien des Chemie- und Pharmakonzerns gespalten.
BNP-Paribas senkte seine Empfehlung für das Bayer-Papier von neutral auf underperform. Demnach dürfte sich der Titel um mindestens 5 Prozent schlechter entwickeln als der DAX-Index. Die Helaba Trust Investment bewertete Bayer dagegen weiterhin als neutral und ging damit von einer Entwicklung auf einem Niveau mit dem Markt aus. Auch Merrill Lynch stufte die Titel kurzfristig auf neutral hoch.
BNP-Paribas Analyst Guy Phillips begründete die Herabstufung unter anderem mit den Produktproblemen und den Folgen der weltweiten Konjunkturflaute. Auswirkungen auf die Pharmasparte befürchte er aber nicht, sagte er dpa-AFX. Die Gewinnaussichten für Bayer für das laufende Jahr senkte er um 1 Milliarde Euro auf 2 Milliarden Euro.
Helaba-Analyst Jörg-Andre Finke sieht derzeit die Produktfamilie der Cholesterin-Senker mit einem geschätzten weltweiten Umsatz von rund 16 Milliarden US-Dollar auf dem Prüfstand. Bei Bayer steige der Druck, die Pharmasparte neu zu ordnen. Dies könnte dem Kurs wieder Aufschwung geben.
Recht positiv äußerte sich James Knight, Analyst bei Merrill Lynch. Das Investmenthaus sieht den Wert mit 36 Euro als fair bewertet. Der Kurs sei bereits deutlich gesunken, sagte Knight. Zudem dürften im kommenden Quartal keine weiteren Belastungen auftreten.
Bayer hatte am Donnerstag mitgeteilt, das operative Ergebnis vor Sonderposten sei im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 23 Prozent auf knapp 1,5 Milliarden Euro gesunken.
Im Quartalsbericht gebe es keine Aussagen dazu, wie der Umsatzausfall durch den Vertriebsstopp für Lipobay aufgefangen werden soll. "Es ist zu überlegen, ob die Lücke mit der Übernahme anderer Pharmaunternehmen gefüllt werden kann", meinte die Aktionärsschützerin. Die Projekte in der eigenen Pipeline reichten offenbar nicht aus, um Lipobay kurzfristig zu ersetzen. Der Rückruf des Medikamentes zeige einmal mehr, wie hoch die Risiken in dem Bereich seien. "Für Bayer kommt viel Pech zusammen", schilderte sie mit Blick auf technischen Probleme bei dem Medikament Kogenate.
Nach Ansicht der Schutzvereinigung sollte außerdem der Termin des Börsengangs in New York überdacht werden. "Der Börsengang in den USA ist erheblich belastet", sagte Benner-Heinacher. Dazu gehörten auch Bestrebungen zu Schadenersatzforderungen in den USA. "Unter diesen Vorzeichen wird die Bayer AG nicht den Preis erzielen, den sich der Vorstand vorstellt", warnte sie. Auf der anderen Seite müsste dann nach Alternativwegen für die Finanzierung von Unternehmenszukäufen gesucht werden. Auch beim Thema Imagepflege gebe es Handlungsbedarf nach dem Kursrutsch: "Da muss etwas außer der Reihe gemacht werden."
Die Bayer-Aktie verlor nach den schlechten Nachrichten in den vergangenen fünf Tagen rund 20 Prozent an Wert. Am Montag erholte sich das Papier wieder. Bis zum Mittag kletterte die Aktie um knapp 2 Prozent auf 36,70 Euro.
"Bayer ist kein Sanierungsfall", unterstrich Schneider am Montag. Jetzt zeige sich die Stärke der Vier-Säulen-Strategie des Konzerns, die einige Analysten und Investoren in der Vergangenheit kritisiert hatten. Derzeit würden nur zwei Säulen, die Landwirtschaft und die Chemie, eine insgesamt stabile Ergebnisentwicklung aufweisen. Die Pharma-Sparte, die zum Gesundheitsbereich des Konzerns gehört, belegte bislang im weltweiten Vergleich den 16. Platz. Ziel war es, unter die Top 10 der Branche vorzustoßen.
KOMMENTAR
Mit ruhiger Hand
Bayer hat Pech gehabt. Das mag sarkastisch klingen für Patienten, die möglicherweise an von Lipobay ausgelösten Nebenwirkungen leiden oder für die Angehörigen möglicher Todesopfer. Doch rein wirtschaftlich betrachtet - und dies diese Betrachtung ist nicht weniger legitim als eine rein medizinische und/oder pharmazeutische - hat der Leverkusener Konzern Pech.
Noch im März stand Vorstandschef Schneider strahlend vor den Journalisten und verkündete wachsende Umsätze und steigende Gewinne. Das bewährte Vier-Säulen-Modell und ein straffes Kostenmanagement sollte die imageträchtige Bayer-Marke global wettbewerbsfähig machen. Von Fusionen und engen Kooperationen keine Spur. Im Gegenteil. Bayer wollte keinen Partner.
Seit Mittwoch vergangener Woche ist das alles Makulatur, mutet die jüngste Entwicklung wie ein Horrorszenario an. Das zumindest verkaufen uns Analysten, Medien, Fachleute und manchmal auch Bayer selbst. Der letzte Schritt: Schneider preist die bisherige Cash-Cow, die Pharmasparte, öffentlich an.
Jenseits von Lipobay und einer weiteren Gewinnwarnung wird übersehen: Der Konzern schreibt keine roten Zahlen. Er schreibt schwarze Zahlen. Und die wird er trotz Lipobay-Skandals, trotz der Produktionsprobleme bei Kogenate, trotz Konjunkturflaute schreiben. Die Gewinne der ertragreichen Pharmasparte sind zwar deutlich eingebrochen. Aber unter Berücksichtigung der Kostenreduktionen der kommenden Jahre und deren nun anstehender Verschärfung, kann sich Bayer am eigenen Schopf aus der Misere ziehen.
Die öffentliche Partnersuche signalisiert zweierlei. Zum einen: Wir sind stark genug, um uns einen Partner nach Wahl zu besorgen. Und: Unsere Pharmasparte bekommen wir nicht so ganz in den Griff. Beides klingt nach Aktionismus, ist aber tiefsinnige Taktik.
Schneider wusste, dass die Analysten auf die Ankündigung einer Partnersuche zu Beginn der Börsenwoche positiv reagieren würden, sich der Kurs Stück um Stück erholen wird. Er weiß auch, dass ein möglichst hoher Kurs den Bayer-Konzern zu einem kaum fassbaren Übernahmekandidaten macht.
Also: Nach den deftigen Kursabschlägen wird Schneider versuchen, den Konzern mit ruhiger Hand zu manövrieren. Sollten ihm nicht Sammelklagen möglicher Opfer den Weg verbauen, könnte sich der Kurs erholen, Bayer dürfte sich wieder aufs Geschäft konzentrieren und der Vorstand die Partnersuche in die Warteschleife verlegen.
Der Lipobay-Rückzug hat Bayer schwer geschadet. Aber das Unternehmen ist stark genug und gut positioniert, um dieses Tief alleine durchzustehen.
Thomas Bellartz
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