Politik

Die Diskussion um die Gentechnik hat sich verändert. Sie wird heute
wesentlich differenzierter geführt als noch vor wenigen Jahren. Als
Teufelswerk wird sie heute nur noch von wenigen Menschen verdammt. Am
deutlichsten ist der Sinneswandel bei gentechnisch hergestellten
Arzneimitteln, die heute von der überwiegenden Mehrheit grundsätzlich
akzeptiert werden. Gleichzeitig haben aber auch viele Menschen Angst vor
Eingriffen in die Keimbahn.
In der öffentlichen Meinung spiegelt sich dieser Stimmungsumschwung ebenfalls
wider. Nach einer aktuellen Studie, die das Institut Polis im Auftrag der hessischen
Landesregierung in Hessen durchgeführt hat, glauben immerhin rund 75 Prozent der
Befragten, daß mit Hilfe der Gentechnik Krankheiten wie Krebs oder Aids besiegt
werden können. Gleichzeitig stimmen fast 60 Prozent der Aussage zu, daß
Gentechnik die Technologie der Zukunft ist. Befragt wurden 1500 Hessen über 18
Jahren.
Doch diese Zahlen dürfen nicht als uneingeschränkte Zustimmung zu der neuen
Technologie interpretiert werden. Immerhin 73 Prozent der Befragten äußerten
nämlich auch, daß Gentechnik in Dinge eingreife, in die der Mensch nicht eingreifen
sollte, und 75 Prozent befürchten unabsehbare und irreversible Folgen für die Natur.
Nach Auffassung der hessischen Landesregierung kann diesen Ängsten nur dadurch
begegnet werden, wenn Wissenschaftler ihre Forschungsvorhaben und -ergebnisse
öffentlich machen und den Dialog mit der Bevölkerung suchen. Auf einer
Veranstaltung der Landesregierung zur Gentechnik am 11. und 12. November in
Frankfurt sagte Ministerpräsident Hans Eichel: "Die Menschen haben gerade bei
diesen hochkomplexen Sachverhalten den Anspruch auf Information und
Transparenz, um sich ein eigenes Urteil bilden zu können." Ein demokratischer
Dialog sei auch deshalb unverzichtbar, weil die Gentechnik in Hessen bereits jetzt
einen hohen wirtschaftlichen Stellenwert habe.
Eichel unterstrich, daß die Landesregierung an guten wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen für innovative Unternehmen interessiert sei. Mit den Regionen
Rhein-Main und Mittelhessen sowie den zum Rhein-Neckar-Dreieck zählenden
Firmen Südhessens verfüge das Bundesland bereits über drei Spitzenstandorte der
Bio- und Gentechnik.
Von einer grundsätzlichen Ablehnung der Gentechnik sind mittlerweile auch die
Grünen abgerückt, zumindest in der Medizin. In einem Statement während der
Frankfurter Veranstaltung sagte die hessische Umweltministerin Margarete Nimsch,
daß eine grundsätzliche Diskussion über medizinische Gentechnik obsolet geworden
sei. In weiten Teilen der Bevölkerung sei sie mit Hoffnungen auf die Heilbarkeit
todbringender Krankheiten verbunden, diese Hoffnung könne auch Kritiker der
Gentechnik nicht kalt lassen.
Gleichzeitig warf die Ministerin jedoch der Industrie vor, "Heilsprognosen"
abzugeben, die bei näherer Betrachtung unrealistisch sind. Auch deshalb bedürfe die
Gentechnik in jedem ihrer Anwendungsgebiete einer realistischen Betrachtung.
Einen verantwortungsvollen Umgang mit der Gentechnik fordert auch der Präsident
der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau, Professor Dr. Peter Steinacker. Die
DNA sei zwar keine Tabuzone für menschliche Eingriffe, die Anwendung der
Gentechnik erfordere aber eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem jeweiligen
Anwendungsgebiet, sagte er auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen der
Veranstaltung.
Eingriffe in die menschliche Keimbahn sind in Deutschland ohnehin zur Zeit kein
Streitpunkt. Sie werden von allen Bundestagsparteien abgelehnt, ein Verbot wurde
parteiübergreifend verabschiedet. Und auch bei der überwiegenden Mehrheit der
Bevölkerung gelten Manipulationen an Eizellen als unethisch.
Professor Dr. Wolfgang van den Daele vom Berliner Wissenschaftszentrum glaubt
allerdings nicht, daß dieser Konsens auf Dauer bestehen wird. Bislang sei keine
einzige praktikable therapeutische Anwendung für Keimbahneingriffe zu erkennen.
Sobald es jedoch die Möglichkeit gebe, Erbkrankheiten auf diese Weise zu
behandeln, werde der Konsens fallen. Hinzu komme, daß in anderen Staaten, etwa
den USA, solche Eingriffe wesentlich positiver beurteilt würden.
Da die Globalisierung auch vor der Gentechnik nicht haltmacht, stellt sich ohnehin
die Frage, inwieweit nationale Gesetze, auch wenn sie auf einem gesellschaftlichen
Konsens beruhen, eine ausreichende Sicherheit bieten. Was in Deutschland verboten
ist, wie Eingriffe in die menschliche Keimbahn, ist in anderen Staaten erlaubt und
wird dort intensiv beforscht.
Eine weltweite verbindliche Regelung erscheint wenig realistisch, wie der ehemalige
Bundesforschungsminister Professor Dr. Heinz Riesenhuber ausführte. Schon
innerhalb der Europäischen Union sei ein Konsens über die Grenzen der Gentechnik
kaum möglich. Riesenhuber: "Während die Iren das meiste verbieten wollen, ist in
England fast alles erlaubt." Globale Absprachen seien angesichts unterschiedlicher
Wertvorstellungen undenkbar: "Wir werden keine einheitliche Weltkultur
bekommen."
Gentherapie: Anwendung in Sicht?
Im Gegensatz zur Keimbahntherapie hat die somatische Gentherapie viele
Befürworter. Hier ist der Nutzen greifbarer, da Behandlungsmethoden für bislang
unheilbare Krankheiten in Aussicht stehen. Ziel der somatischen Gentherapie ist es,
ein defektes, krankheitsrelevantes Gen durch ein von außen zugeführtes Analogon zu
ersetzen. Wissenschaftler gehen davon aus, daß um die Jahrtausendwende erste
gentherapeutische Behandlungsmethoden bei Krebserkrankungen möglich werden.
Bislang ist die somatische Gentherapie zwar noch auf klinische Studien beschränkt.
Die Zahl der Wissenschaftler, die an einen möglichen Durchbruch dieser
Therapieform glauben, wächst jedoch.
Einig waren sich die Referenten darin, daß die Rahmenbedingungen für Gen- und
Biotechnik in Deutschland mittlerweile fast ideal sind. Die langen
Genehmigungsverfahren, die in der Vergangenheit viele Unternehmen zum
Auswandern veranlaßten, sind seit der Novellierung des Gentechnikgesetzes passé.
Auf den Punkt brachte es Dr. Helmut Schühsler, der bei der Techno Venture
Management GmbH in München Investoren für neue Biotech-Firmen sucht: "Bei
Neubauten dauert die brandschutztechnische Abnahme häufig länger als die
Genehmigung der gentechnischen Anlagen."
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Eschborn


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