Hysterie |
24.10.2005 00:00 Uhr |
Die Vogelgrippe ist eine Tierkrankheit. Der Erreger, das Influenza-A-Virus vom Subtyp H5N1, ist für den Menschen nur schwach infektiös. Das derzeitig kursierende Virus stellt somit keine Gefahr für die Bevölkerung dar. Problematisch könnte es erst werden, wenn das Virus lernt, von Mensch zu Mensch überzuspringen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dem Virus das irgendwann gelingt, ist groß, bis dahin können aber noch Jahre vergehen. Experten warnen schon seit einiger Zeit vor einem Pandemie-Virus, das durch Vereinigung von menschlichem und Vogelgrippeerreger entstehen könnte. Doch wie neueste Untersuchungen zeigen, ist das gefährlichste Grippevirus der Weltgeschichte, der Erreger der Spanischen Grippe von 1918, an der weltweit mehr als 50 Millionen Menschen gestorben sind, nicht durch eine Fusion entstanden. Vielmehr war der Erreger ein reines Vogelgrippevirus, das sich durch Mutationen langsam an den Menschen angepasst hat (siehe hier).
Das jetzt in Europa aufgetauchte Vogelgrippevirus H5N1 weist einige dieser Veränderungen auf, aber noch nicht alle es passt sich also ebenfalls dem Menschen an. Daher sind staatliche Vorbereitungen auf eine Pandemie sinnvoll, private Vorsorge ist es aber auf Grund des nicht abzuschätzenden Zeitraums nicht. Im Gegenteil, sie ist sogar schädlich, denn der Vakzinevorrat ist erschöpft. Obwohl die Vakzine gar nicht gegen Vogelgrippe schützt, existieren bereits Wartelisten für die normale Grippeimpfung. Risikopatienten können sich nicht mehr vor der normalen Grippe schützen. Dadurch wird die Hysterie lebensbedrohlich.
Irrational ist auch, dass sich Gesunde aus Angst vor der Vogelgrippe mit Tamiflu bevorraten. Der Neuraminidasehemmer ist ausverkauft, das Medikament wurde in England sogar bereits für 150 Euro bei Ebay angeboten (siehe hier). Wenn nun die jedes Jahr wiederkehrende Grippewelle kommt, steht für die Erkrankten kein Tamiflu zur Verfügung. Der Hersteller Roche hat dem nun vernünftigerweise einen Riegel vorgeschoben und die Auslieferung des Neuraminidasehemmers vorübergehend eingestellt. Das Medikament sei ein Grippemittel, und derzeit gebe es in Deutschland keine Grippeaktivität, begründet das Unternehmen seine Entscheidung. Erst wenn die Grippewelle komme, würden die Lieferungen wieder aufgenommen.
Natürlich geht von H5N1 eine gewisse Bedrohung aus, diese ist aber heute nicht größer als noch vor einem Jahr. Apotheker sollten hier sachlich aufklären und ihre Kunden überzeugen, dass individuelle Prophylaxe wenig hilfreich ist. Vielmehr sind nun die Staaten gefordert, sich auf einen Notfall vorzubereiten und vor allem die Impfstoffforschung voranzutreiben. Außerdem muss das Virus auf internationaler Ebene streng auf mögliche Veränderungen hin kontrolliert werden, um eine möglicherweise auftretende Pandemie schnell und effektiv bekämpfen zu können.
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