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Mehr Engagement für die Arzneimittelsicherheit

26.09.2005  00:00 Uhr

Deutscher Apothekertag 2005

Pharmakovigilanz

Mehr Engagement für die Arzneimittelsicherheit

Hervorragende Qualifikation und drei Millionen Kundenkontakte pro Tag: Die verstärkte Einbindung der Apotheker bei der Pharmakovigilanz forderte Regierungsdirektor Dr. Horst Möller, Leiter des Referats Arzneimittelsicherheit im Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung, im Arbeitskreis 2. Die Delegierten unterstrichen die Bereitschaft der Apotheker zur intensiven Mitarbeit.

Möller hatte zuvor die Entwicklung der Pharmakovigilanz in Deutschland geschildert. Definitionsgemäß beinhaltet diese alle Aktivitäten, die zu Entdeckung, Beurteilung, Verständnis und Vorbeugung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) oder anderen Problemen in Verbindung mit Arzneimitteln dienen. Prägnanter gesagt: Pharmakovigilanz umfasst das Analysieren und vor allem Abwehren von Arzneimittelrisiken. Sie ist somit ein Instrument zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit nach der Markteinführung.

Die Reduktion von UAWs durch deren Erkennung und Bewertung erfolgt derzeit über ein Spontanmeldesystem, das unverzichtbar, aber nicht frei von Mängeln sei. Möller nannte »Underreporting«, erschwerte Kausalitätsbewertung und extreme Industrielastigkeit als Problemfelder. Er plädierte für die Optimierung des Systems durch elektronische UAW-Meldungen, die Einrichtung eines nationalen Webtools für Firmen und Fachkreise sowie Aufbau und Nutzung der europäischen Datenbank Eudra-Vigilance, vor allem aber durch Sensibilisierung der Kollegen und Ärzte.

Sechs nationale Pharmakovigilanz-Zentren dienen zurzeit ­ ergänzend zum Spontanmeldesystem ­ der aktiven standardisierten Erfassung und Bewertung von UAWs. Ihre Zahl soll in den nächsten zwei bis drei Jahren verdoppelt werden. Parallel dazu, so Möller, sollen pharmakoepidemiologische Datenbanken zur Signalgenerierung und -verifizierung sowie zur Evaluierung regulatorischer Maßnahmen aufgebaut werden.

Weiterhin sei eine Verbesserung der Studienlage nötig, zum Beispiel durch Langzeitstudien zur Verifizierung von Risikosignalen bei Arzneimitteln, durch vergleichende Nutzen-Risiko-Bewertung von Arzneimitteln in wichtigen Indikationsgruppen (Beispiel Antidiabetika), durch methodische Modelluntersuchungen sowie Studien zur Charakterisierung der Risikosituation in Deutschland.

Ganz entscheidend sei die Umsetzung der Kenntnisse über UAWs in die Praxis, die durch eine entsprechende Rechtssetzung gewährleistet sein müsse. Möller plädierte für eine verstärkte »Risikokommunikation«; Apotheker hätten dafür eine gute Ausgangsposition gegenüber Ärzten und Patienten.

Meldungen an die AMK

Apotheker müssen sich stärker in die Pharmakovigilanz einbringen und ihre Verantwortung für eine sichere Arzneitherapie auch auf diesem Gebiet wahrnehmen, war die einhellige Meinung auch der Diskutanten auf dem Podium. Bislang wird jedoch nur ein Bruchteil der beobachteten UAWs gemeldet, stellte die Moderatorin und ABDA-Geschäftsführerin Dr. Christiane Eckert-Lill fest.

Etwa 6500 Meldungen gehen jährlich bei der Arzneimittelkommission (AMK) der Deutschen Apotheker ein. Sie beziehen sich auf Qualitätsmängel und UAWs. Viele Kollegen setzten sich vehement dafür ein, Arzneimittel-bezogene Probleme ihrer Patienten zu erkennen und zu lösen, seien sich aber nicht im Klaren darüber, wie wichtig es ist, dies zu dokumentieren und zu melden, sagte BAK-Präsidentin Magdalene Linz. Das Hausapothekenmodell und die technische Ausstattung der Apotheke böten heute gute Möglichkeiten, Probleme und Risiken frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden. Andererseits sei es Aufgabe der Politik, den Apothekern Freiräume für die Pharmakovigilanz zu geben.

»Wir müssen Verantwortung für das Medikationsmanagement übernehmen, gerade an Schnittstellen der Versorgung«, forderte Simone Melzer, Leiterin Patientenorientierte Arzneimittelversorgung im Allgemeinen Krankenhaus St. Georg in Hamburg. Der Apotheker auf Station leiste hier wertvolle Arbeit, da er »nah am Patienten dran« sei und im Austausch mit den Ärzten stehe.

Was bringen Consumer-Reports?

Ob Consumer-Reports, also die direkte Meldung von UAWs durch den Patienten an die Behörden, die Risikoerfassung verbessern könnten, wird derzeit diskutiert. Nach Ansicht der WHO könnten diese das Spontanmeldesystem sinnvoll ergänzen. Die Apotheker müssen hier Position beziehen und eventuell ein Modellprojekt starten, forderte Möller. Bereits heute teilen viele Menschen ihre Erlebnisse direkt den Pharmafirmen mit, sagte Dr. Rainer Schmeidl, Leiter Global Drug Safety der Merck KG. Meist werde der Patient aufgefordert, sein Problem mit dem Arzt zu besprechen, der dieses dann gegebenenfalls präzisiert und meldet.

Ein Direktmeldesystem der Patienten könne zu einer übersteigerten Wahrnehmung aller im Beipackzettel aufgelisteten Nebenwirkungen verleiten, warnte Professor Dr. Dietrich Höffler, stellvertretender Vorsitzender der AMK der deutschen Ärzteschaft. Apotheker hätten hier eine wichtige Funktion, da sie meist erste Anlaufstelle für klagende Patienten sind. Dies sieht auch Professor Dr. Volker Dinnendahl, Leiter der AMK der Apotheker, so. Der Apotheker solle die Patientenberichte aufnehmen, konkretisieren und dann melden. Er warnte jedoch vor einer Bewertung von UAWs, da der Apotheker in der Regel weder Diagnose noch nähere Befunde kenne.

Risiken im Vorfeld vermeiden

Vielen Berichten zufolge sind 30 bis 50 Prozent der UAW vermeidbar. Wie können Apotheker dazu beitragen, fragte Eckert-Lill Podium und Zuhörer. Gute Möglichkeiten bieten Interaktions-Checks und die individuelle Beratung in der Apotheke, hieß es aus dem Auditorium, das einen vermehrten Einsatz für die Pharmakovigilanz im Selbstmedikationsbereich forderte.

Im Krankenhaus habe sich seit zehn Jahren ein EDV-gestütztes Verordnungssystem bewährt, das sämtliche Patienten- und Verordnungsdaten enthält, berichtete Melzer. Damit könnten Wechselwirkungen, Medikationsänderungen und -fehler rasch entdeckt werden. Solche Systeme, die vom Fachmann Apotheker auszuwerten sind, werden künftig Standard sein, prognostizierte die Fachapothekerin für Klinische Pharmazie.

Die bessere und intensivere Kommunikation zwischen Arzt und Apotheker diene ebenfalls der Arzneimittelsicherheit, sagte Linz. »Wir Apotheker wollen die Ärzte nicht kontrollieren, sondern bei der bestmöglichen Therapie der Patienten unterstützen.« Die Apotheker sollten besonders auf die Sicherheit in der Selbstmedikation achten, zumal dies die Apothekenpflicht für Arzneimittel unterstreicht.

Antrag angenommen

In einem mit deutlicher Mehrheit angenommenen Antrag bekundeten die Delegierten ihr Votum für die Pharmakovigilanz. Darin werden die Beteiligten im Gesundheitswesen aufgefordert, die Apotheker stärker in Konzepte zur Intensivierung der Pharmakovigilanz aktiv einzubinden. Als Schnittstelle zwischen Arzt und Patient biete der Berufsstand ausdrücklich seine Bereitschaft zu intensivierter Mitarbeit an, insbesondere durch Anwendungsbeobachtungen im apotheken- und im verschreibungspflichtigen Bereich.

 

Keine Muffel Heilberufler, die die Pharmakovigilanz ernst nehmen, erhöhen die Arzneimittelsicherheit für die Patienten. Dies ist also eine originäre Aufgabe der Apotheker. In der Praxis ist das spröde Thema allerdings ungeliebt, da viele es nur mit Dokumentation und Meldebögen assoziieren.

Aus der vergleichsweise geringen Zahl der Meldungen, die bei der Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker pro Jahr eingehen, eine pauschale Kritik abzuleiten, ist jedoch nicht angebracht. Die Apotheker sind keine Muffel in Sachen Arzneimittelsicherheit.

Viele tragen durch aufmerksames und fachkundiges Beobachten, Nachfragen und Beraten dazu bei, Medikationsfehler und -risiken von vornherein zu vermeiden oder zu lösen, bevor der Patient Probleme bekommt. Das Interesse konzentriert sich dabei wohl auf verschreibungspflichtige Produkte. Gerade in der Selbstmedikation ist verstärkte Aufmerksamkeit nötig, denn Apotheker sind die einzigen Fachleute, die der Bürger konsultiert, wenn er sich selbst behandeln will. Wenn Apotheker hier schlampen, könnten die Kunden ihre Medikamente ja auch im Supermarkt holen.

Wie Pharmakovigilanz im Offizinalltag umgesetzt werden kann, hätte im Arbeitskreis noch prägnanter und konkreter dargelegt werden können. Immerhin haben die Delegierten ihr Interesse in einem Antrag ausdrücklich unterstrichen. Jetzt ist es nötig, die Kollegen vor Ort aufmerksam zu machen und zu motivieren, tätig zu werden. Ein gutes Thema auch für die Fortbildung.

Brigitte M. Gensthaler

 

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