Risiko am Steuer vermeiden |
12.06.2018 09:29 Uhr |
Von Nicole Schuster / Beim Autofahren sind gutes Sehvermögen, schnelle Reaktion und aufmerksames Verhalten wichtig. Manche Krankheiten und Medikamente können diese Fähigkeiten beeinträchtigen. Sind Patienten aber gut auf ihre Arzneimittel eingestellt und haben ihre Beschwerden unter Kontrolle, steht einer aktiven Teilnahme am Straßenverkehr meist nichts im Weg.
Viele chronisch Kranke und Patienten, die ständig auf Medikamente angewiesen sind, bangen um ihre Mobilität. »An einer Erkrankung zu leiden, bedeutet aber nicht automatisch, ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs zu sein«, beruhigt Dr. Christian Buric, Unternehmenssprecher des Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC) in München gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung.
Rechtlich gesehen ist es so, dass Personen mit körperlichen oder geistigen Erkrankungen nur dann am Straßenverkehr teilnehmen dürfen, wenn sie selbst vorsorgen, andere nicht zu gefährden (§ 2 Absatz 1 Fahrerlaubnis-Verordnung, FeV) (1). Beim Erstantrag zum Führen eines privaten Pkw, eines Mopeds oder Fahrzeugs zur gewerblichen Nutzung muss jeder angeben, ob eine körperliche oder geistige Einschränkung vorliegt. Basierend auf den Angaben entscheidet die Führerscheinstelle, ob sie ein fachärztliches Gutachten, eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) oder ein technisches Gutachten anfordert (2).
Auch für Mofa- und Fahrradfahrer gilt Absatz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung; sie müssen ebenfalls sicherstellen, dass andere Menschen durch ihr Verhalten nicht gefährdet werden. Andernfalls drohen laut § 315c Strafgesetzbuch strafrechtliche Konsequenzen (3). Der Versicherungsschutz kann im Schadensfall gefährdet sein (4).
Zwei Gruppen von Fahrerlaubnissen
Um sicher als Autofahrer am Straßenverkehr teilnehmen zu können, ist ein Zusammenspiel von kognitiven, visuellen und motorischen Fertigkeiten erforderlich. Diese können sowohl krankheitsbedingt als auch durch zahlreiche Medikamente vorübergehend oder dauerhaft beeinträchtigt sein.
Eine Auflistung und Bewertung von Krankheiten, bei denen die Fahreignung gefährdet sein kann, präsentiert die Anlage 4 zu § 11 FeV (5). Nähere Erläuterungen zur Fahrtauglichkeit bei den einzelnen Erkrankungen aktualisiert laufend die Bundesanstalt für Straßenwesen (6).
Gemäß des jeweils gültigen Anhangs III der EU-Führerscheinrichtlinie und der Anlage 4 der FeV lassen sich Fahrerlaubnisse in zwei Gruppen aufteilen. In Gruppe 1 fällt vor allem die Nutzung von privaten und landwirtschaftlichen Fahrzeugen (entspricht den Führerscheinklassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T), während Gruppe 2 den gewerblichen Güter- und Personenverkehr umfasst. Dies entspricht den Führerscheinklassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E sowie der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung (FzF) (6).
Um in Deutschland ein Kraftfahrzeug führen zu dürfen, müssen Personen »befähigt« sein, das heißt die theoretische und praktische Fahrprüfung bestanden haben und zum anderen »geeignet« sein. Ob die Eignung vorliegt, prüfen die Behörden nur dann, wenn Zweifel daran vorliegen. Neben allgemein bekannten Gründen wie Trunkenheit am Steuer oder Erreichen von acht Punkten im Fahreignungsregister können körperliche Gebrechen ein weiterer Grund für Zweifel an der Eignung sein. Um diese zu klären, ist ein Gutachten aus einer Medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) erforderlich.
Die MPU setzt sich aus drei Teilen zusammen: Verkehrsmedizin, Verkehrspsychologie und Leistungstests. Für chronisch Kranke oder Menschen, die regelmäßig Medikamente einnehmen, ist in der Regel die größte Hürde, nachzuweisen, dass sie mit den Fahraufgaben nicht überfordert sind. Der verkehrspsychologische Teil spielt vor allem dann eine große Rolle, wenn die Person wegen regelwidrigem Verhalten auffällig wurde.
Der TÜV SÜD Life Service erklärt auf seinen Internetseiten anschaulich, wie der Test abläuft. Teilnehmer sollten für die Untersuchung ausreichend Zeit einplanen und zu Hause normal frühstücken, wichtige Dokumente wie Ausweis und eventuell Bescheinigungen mitnehmen, (falls vorhanden) eine Lesebrille und gegebenenfalls eine Kleinigkeit zum Essen. Nach der Anmeldung und Prüfung der Personalien sowie der Zahlung – die im Einzelfall anfallenden Kosten sind in der Anlage 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) festgelegt – müssen die Teilnehmer einige Fragebögen ausfüllen. An einem Computertestgerät wird geprüft, ob die in den Bereichen Wahrnehmung, Konzentration und Reaktion erforderlichen Fähigkeiten vorliegen.
Es folgt die medizinische Untersuchung, die je nach Grund für die MPU aus verschiedenen Teilen besteht. Auf eine allgemeine körperliche folgt eine neurologische Untersuchung der Reflexe und Nervenfunktionen und anlassbezogen beispielsweise eine Untersuchung von alkohol- oder drogenspezifischen Befunden.
Schließlich ist ein psychologisches Gespräch von etwa einer dreiviertel Stunde fällig. Nach etwa zwei Wochen erhält der Prüfling ein schriftliches Gutachten mit dem endgültigen Untersuchungsergebnis.
Quellen: (22, 23)
Anfallsfrei Auto fahren
Ein epileptischer Anfall am Steuer eines Kraftfahrzeugs ist vermutlich der Albtraum eines jedes mobilen Epilepsie-Patienten. Dauerhaft auf die Selbstständigkeit verzichten, die das Autofahren bringt, wollen die Patienten aber verständlicherweise nicht. Das ist in vielen Fällen auch nicht erforderlich. Nur wer gefährdet ist, Anfallsrezidive zu erleiden, muss zur eigenen Sicherheit und zur Sicherheit anderer das Steuer meiden. Ansonsten gilt: Wenn Patienten mit Epilepsie medikamentös gut eingestellt sind, dürfen sie auch aktiv am Straßenverkehr teilnehmen.
Erleiden sie einen Anfall, dem ein konkreter und vermeidbarer Auslöser, etwa extremer Schlafentzug, vorausgegangen ist, müssen sie allerdings für ein Intervall von drei Monaten für Gruppe 1 oder sechs Monate für Gruppe 2 anfallsfrei sein, bevor sie wieder ein Kraftfahrzeug führen dürfen. Zudem gilt, dass Betroffene nach Diagnosestellung mindestens ein Jahr ohne Anfall gelebt haben müssen, um eine Kraftfahreignung erlangen zu können (6).
Zuckerkrank am Steuer?
Etwa jeder zehnte Inhaber einer Fahrerlaubnis in Deutschland leidet an Diabetes, das sind fast sechs Millionen Menschen. Dürfen sie trotz ihrer Krankheit Auto fahren? Oder ist die Unfallgefahr zu groß? Die Aussage in der im März 2018 veröffentlichten neuen Leitlinie »Diabetes und Straßenverkehr« ist eindeutig (7): »Fast alle Diabetespatienten können am Straßenverkehr teilnehmen, sowohl im Privat-Pkw als auch beruflich als Busfahrer, im Lastwagen oder Taxi.«
Professor Dr. Reinhard Holl, Experte der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Epidemiologe an der Universität Ulm, bekräftigte auf einer Pressekonferenz der DDG anlässlich der Vorstellung der Leitlinie: »Ein hoher HbA1c-Wert an sich ist kein Grund für ein Fahrverbot, eine Insulintherapie auch nicht.«
Ausnahmen definierten Experten auf der Pressekonferenz ebenfalls. Sie stellten fest, dass eine Fahreignung vor allem bei wiederholten schweren Unterzuckerungen oder dem Schlaf-Apnoe-Syndrom nicht mehr gegeben sein kann. Das Risiko für Hypoglykämien ist besonders groß bei Patienten, die Sulfonylharnstoffe und Analoga oder Insulin anwenden. Symptome wie Kontrollverlust, Verhaltens- oder Bewusstseinsstörungen beeinträchtigen die Reaktionsfähigkeit und das Funktionieren im Straßenverkehr. Das Gleiche gilt bei Schlafmangel, bedingt durch ein unbehandeltes Schlaf-Apnoe-Syndrom. Das Risiko lässt sich mit einer Medikamenten-Umstellung, mit Wahrnehmungsschulungen oder einer kontinuierlichen Glucosemessung mit akustischer Warnfunktion senken. Holl gab praktische Tipps: »Jeder Insulinpatient sollte vor Fahrtantritt den Blutzucker messen und schnell wirkende Kohlenhydrate, etwa in Form von Traubenzucker, im Auto griffbereit haben.«
Oft erfährt der Patient schon bei der Aufklärung, beispielsweise für eine Darmspiegelung mit leichter Narkose, dass er danach nicht alleine nach Hause fahren darf und sich abholen lassen oder öffentliche Verkehrsmittel benutzen soll. Diese Regelung spiegelt sich in den Fachinformationen zahlreicher Lokalanästhetika wie Lidocain, Mepivacain, Articain, Bupivacain oder Prilocain wider. Dort steht, dass der Arzt/Zahnarzt im Einzelfall entscheiden muss, ob der Patient nach der Gabe noch aktiv am Straßenverkehr teilnehmen darf.
Fragen gibt es auch nach einer Blutspende. Allgemein gilt, dass die Fahrtauglichkeit gesunder Erwachsener durch eine Blutspende in der Regel nicht leidet. Es empfiehlt sich aber, mit dem Autofahren mindestens 30 Minuten zu warten, bis sich der Kreislauf wieder reguliert hat und Zeichen wie Schwindel, Übelkeit oder Schwächegefühl abgeklungen sind. Viel trinken und eine Kleinigkeit essen helfen dem Körper dabei. Halten die Symptome zwei Stunden nach der Blutspende noch an, muss ein Arzt diese abklären.
Quellen: (15, 19, 20, 21)
Eine vorübergehende Fahruntauglichkeit müssen Patienten bei schweren Stoffwechselentgleisungen, während der Einstellung auf Insulin oder größeren Therapieumstellungen oder Dosisänderungen in Kauf nehmen (7, 8). Als Voraussetzung für die erneute Teilnahme am Straßenverkehr gilt, dass der Blutzuckerstoffwechsel wieder stabil ist. Diabetiker sollten zudem an regelmäßige augenärztliche Kontrolluntersuchungen denken, da bei ihnen das Risiko für Retinopathien bis hin zur Erblindung erhöht ist.
Mobilität bei Demenz gefährdet
Bei Patienten mit Demenz muss ein Facharzt festlegen, ob die geistigen Einschränkungen das Führen eines Fahrzeugs noch zulassen. Bei beginnender Demenz oder bei milden kognitiven Einbußen (Mild Cognitive Impairment, MCI) ist die Fahreignung meistens noch gegeben. Besondere Vorsicht gilt bei Patienten mit einer frontotemporalen Demenz (FTD). Betroffene agieren auch im Straßenverkehr aggressiv und risikofreudig. Allgemein gilt: Das Autofahren auf dem Land und auf gewohnten Strecken ist den Patienten meist länger möglich als in fremder Umgebung oder hektischen Großstädten. Fahrten im Dunklen, zu Hauptverkehrszeiten, bei widrigen Wetterbedingungen oder bei Müdigkeit sollten die Betroffenen meiden (9).
Kritisch wird es, wenn Beeinträchtigungen zunehmen, die die Gedächtnisleistung, Aufmerksamkeit, Urteilsfähigkeit, Konzentration sowie das Wahrnehmungs- und Orientierungsvermögen betreffen. Angehörige können gemäß einem Informationsblatt der Deutschen Alzheimer Gesellschaft an verschiedenen Zeichen erkennen, dass der Patient im Straßenverkehr vermutlich überfordert ist (9):
Laut ADAC-Verkehrsmedizinern sind kleinere Unfälle ein drastisches Warnzeichen für eine mögliche Einschränkung der Verkehrstüchtigkeit. Buric vom Automobilclub rät: »Wichtig ist es, den Betroffenen stets in die Kommunikation mit einzubinden und gegebenenfalls Mobilitätsalternativen zu besprechen.«
Das Apothekenteam sollte Patienten darauf hinweisen, dass Benzodiazepine als Schlafmittel nur kurzzeitig anzuwenden sind. Zu bevorzugen ist die kleinste wirksame Dosis. Werden lang wirksame Substanzen eingenommen, hält die Wirkung noch bis in den folgenden Tag hinein an, sodass die Fahrtauglichkeit 24 Stunden lang aufgehoben sein kann. Zu bevorzugen sind daher kurz oder höchstens mittellang wirksame Präparate wie Brotizolam oder Triazolam. Das Apothekenteam sollte die Patienten daran erinnern, diese rechtzeitig abends vor dem Schlafengehen einzunehmen.
Patienten, die längere Zeit ein Benzodiazepin eingenommen haben, dürfen es nicht abrupt absetzen. Ein langsames Ausschleichen ist wichtig, um ein Entzugsdelir mit Symptomen wie Ängstlichkeit, Verwirrtheit oder Krampfanfällen zu vermeiden (10, 14, 15, 16). Die Auswirkungen auf das Autofahren könnten bei Z-Substanzen in niedriger Dosis günstiger sein (10).
Was tun, wenn der Patient nicht aufs Fahren verzichten mag? Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft rät zu einfachen, aber wirkungsvollen Tricks: den Fahrzeugschlüssel verstecken, die Batterie vorübergehend abklemmen oder Ausreden benutzen, warum das Auto gerade nicht zur Verfügung steht. Wichtig zu wissen: Kommt es bei Fahren trotz fehlender Fahreignung zu einem Unfall, kann sich nicht nur der Betroffene strafbar machen. Unter bestimmten Bedingungen können auch seine Angehörigen haftbar gemacht werden (9).
Auch Patienten mit anderen neurodegenerativen Erkrankungen bangen um ihre Fahrerlaubnis. Beispiel Parkinson: Betroffene, deren Leistungs- und Belastungsfähigkeit durch die Krankheit bereits beeinträchtigt ist und die Auffälligkeiten im Bewegungsbild zeigen, dürfen in der Regel keine Fahrzeuge der Gruppe 2 führen. Ob sie ein Fahrzeug der Gruppe 1 führen dürfen, hängt davon ab, wie schwer die Krankheit ist und wie gut die Patienten medikamentös eingestellt sind (9).
Alter allein ist kein Grund, auf das Auto verzichten zu müssen: »Langjährige Fahrer können besonders durch ihre Fahrerfahrung altersspezifische Leistungseinbußen kompensieren«, so der Sprecher des ADAC.
Arzneimittel | Die Fahrtauglichkeit beeinflussende Nebenwirkungen (Auswahl) |
---|---|
Benzodiazepine | verlängerte Reaktionszeit, Kopfschmerzen, Tagessedierung, Müdigkeit, Benommenheit, Schwindel, eingeschränkte Aufmerksamkeit/Konzentration, Sehstörungen, Muskelschwäche, beeinträchtigte motorische Kontrolle |
Antihistaminika | Müdigkeit, Schwindel, Sedierung bei erster Generation und – wenn auch schwächer ausgeprägt – bei der zweiten Generation, vor allem bei Cetirizin |
Sulfonylharnstoffe | Hypoglykämie mit Symptomen wie Kopfschmerzen, Schläfrigkeit, Ängstlichkeit, Unsicherheit der Bewegungen, vorübergehende neurologische Ausfallerscheinungen |
Antihypertensiva | verstärkter Blutdruckabfall, Synkopen, Müdigkeit, Schwindelgefühl, Benommenheit, Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Nervosität |
Opioid-Analgetika | Somnolenz, Erschöpfung, Schwindel, Kopfschmerzen, Krampfanfälle, verminderter Bewusstseinsgrad, Angstzustände, Verwirrtheit, verschwommenes Sehen, Halluzinationen |
nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) | Kopfschmerzen, Schwindel, Schlaflosigkeit, Erregung, Reizbarkeit, Müdigkeit, Sehstörungen |
Serotonin-Wiederaufnahme-hemmer (SSRI) | Nervosität, Erregung, Somnolenz, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Tremor, Aufmerksamkeitsstörung, orthostatischer Schwindel, Synkopen, Sehstörungen |
Trizyklische Antidepressiva (TZA) | Müdigkeit, Schwindel, Benommenheit, Kopfschmerzen, Verwirrtheitszustände, motorische Störungen, Krampfanfälle, Hypotonie und orthostatische Dysregulation, Akkommodationsstörungen |
Antiepileptika | Fatigue, Konzentrationsstörungen, Verwirrtheit, Desorientierung, Reizbarkeit, aggressives Verhalten, Unruhe, Nervosität, Angstzustände, Schlafstörungen, Somnolenz, verlängerte Reaktionszeit, verminderter Muskeltonus, Schwindel, Kopfschmerzen |
Antiparkinsonmittel | Somnolenz und/oder plötzlich auftretende Schlafattacken, Verwirrtheit, innere Unruhe, Ängstlichkeit, Halluzinationen, Schwindel, Kopfschmerzen, hypotone orthostatische Kreislaufregulationsstörungen |
Antipsychotika | Sedierung, Müdigkeit, Hypotonie oder orthostatische Dysregulation, Akkommodationsstörungen |
Einschätzung der Fahreignung
Wer mit Herzinsuffizienz Fahrzeuge der Gruppe 2 führen will, muss jährliche kardiologische Kontrolluntersuchungen einplanen. Die Herzschwäche muss zudem nach der New York Heart Association als NYHA I oder II einzuordnen sein, und die Ejektionsfraktion (EF) muss größer als 35 Prozent sein. Fahrzeuge der Gruppe 1 dürfen auch Herzkranke mit stabiler NYHA III führen (6).
Bei Hörstörungen oder Gehörlosigkeit ist die Fahrtauglichkeit in der Regel gegeben, und sogar einer Fahrgastbeförderung steht nichts im Wege. Die Patienten dürfen allerdings nicht unter anderen gravierenden Beschwerden, zum Beispiel Gleichgewichtsstörungen, leiden (6).
Zur Beurteilung der Fahrfähigkeit – nicht aber, um eine medizinische Einschätzung vorzunehmen – bietet der ADAC den FahrFitnessCheck an. Interessierte können eine Fahrprobe im eigenen Pkw mit einem speziell qualifizieren Fahrlehrer absolvieren. »Der FahrFitnessCheck ist in jedem Fall nur eine Momentaufnahme und ersetzt nicht die ärztliche Einschätzung«, stellt Buric klar.
Mit Medikamenten am Steuer
Bestimmte Krankheiten wie eine Epilepsie schließen zwar an sich das Autofahren aus, die Fahreignung kann aber mithilfe von Arzneimitteln wiederhergestellt werden. Gleichwohl bergen Medikamente auch das Risiko, dass ihre erwünschten oder unerwünschten Wirkungen, etwa die Sedierung bei Hypnotika oder die Muskelerschlaffung bei Benzodiazepinen, ein sicheres Verhalten im Straßenverkehr beeinträchtigen.
Vielen Patienten ist gar nicht bewusst, dass sie aufgrund einer Arzneimitteleinnahme möglicherweise nicht mehr sicher Auto fahren können und sich am Steuer eventuell sogar im Bereich einer Verkehrsstraftat bewegen. »Generell sind Ärzte aller Fachrichtungen zur Aufklärung behandlungsbedingter Fahrunsicherheit verpflichtet. Sollte der behandelnde Arzt Zweifel an der Fahreignung haben, wird er mit dem Patienten das weitere Prozedere besprechen«, erklärt Buric.
Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei stets zu Beginn einer Arzneitherapie oder bei Dosisänderung. Danach ist eine regelmäßige Überwachung durch den Arzt erforderlich. Begleitend sollte das Apothekenteam über mögliche Nebenwirkungen aufklären, die die Verkehrssicherheit beeinflussen können.
Um die Fahrtauglichkeit abzuschätzen, muss ein Parallelkonsum von Alkohol oder Drogen ausgeschlossen sein. Andernfalls kann es zu gefährlichen Wechselwirkungen oder Wirkungsverstärkungen kommen.
Opioide machen müde
Zahlreiche Medikamentengruppen (Tabelle) können Fähigkeiten beeinträchtigen, die für eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr erforderlich sind. Starke Schmerzmittel wie Opioide, unter anderem Morphin, Buprenorphin, Fentanyl und Methadon, wirken zentral dämpfend. Vor allem zu Beginn können Müdigkeit und Schwindel auftreten. Das Gleiche gilt für die Einnahme von mittelstarken Opioiden wie Tilidin und Tramadol. Selten kommt es bei der Anwendung von Opioiden zu Sehstörungen, die oft auch bei längerer Therapie bestehen bleiben, während andere unerwünschte Wirkungen meist nachlassen (10,11). Nicht nur im Straßenverkehr sollte der Patient einen Opioid-Ausweis mit sich führen (Vorlage: http://schmerzliga.de/downloads.html).
Gut ist es, einen Schritt weiter zu denken. So sollte das Apothekenteam bei Hustenpräparaten und mittelstarken Schmerzmitteln mit dem Wirkstoff Codein darauf hinweisen, dass daraus im Körper zum Teil Morphin mit den entsprechenden Nebenwirkungen entsteht.
Nicole Schuster studierte zwei Semester Medizin in Bonn, dann Pharmazie und Germanistik in Bonn und später in Düsseldorf. Während ihres Studiums machte sie Praktika bei verschiedenen wissenschaftlichen Verlagen. Nach dem zweiten Staatsexamen und der Approbation 2010 absolvierte Schuster ein Aufbaustudium in Geschichte der Pharmazie in Marburg und wurde 2016 mit ihrer Dissertation »Traditionelle pflanzliche Febrifuga als moderne Phytopharmaka« zum Doktor der Naturwissenschaften promoviert. Die PZ-Leser kennen Dr. Schuster als Autorin zahlreicher Fachbeiträge.
Dr. Nicole Schuster
Zimmererstraße 9
92318 Neumarkt
E-Mail: nicole.m.schuster@gmx.de
Benzodiazepine verdoppeln das Unfallrisiko
Unter Antihypertonika kann es bei einer zu starken Senkung des Blutdrucks zu Symptomen wie Schwindel, Benommenheit, Kopfschmerzen oder sogar Ohnmacht kommt. Das gilt vor allem in der initialen Einstellungsphase sowie bei Dosierungsänderungen (12).
Andere Medikamente mindern schon von sich aus die Vigilanz. Dazu zählen Hypnotika, Sedativa, sedierend wirksame Antidepressiva und Anxiolytika. Benzodiazepine und Z-Substanzen, die ältere Menschen nicht selten auch langfristig einnehmen, führen leicht zu einem Hang-Over-Effekt mit Schläfrigkeit, verringerter Aufmerksamkeit und längerer Reaktionszeit. Auch beeinträchtigte Muskelfunktionen, Gleichgewichts- und Sehstörungen gehören zu den möglichen Nebenwirkungen. Bei längerem Gebrauch und Kumulation sind Koordinationsstörungen, Verlangsamung der Reflexe oder Verwirrtheit häufige Begleiterscheinungen. Eine amerikanische Untersuchung für den Zeitraum 2002 bis 2005 ergab, dass Patienten, die Benzodiazepine einnehmen, ein mindestens doppelt so hohes Risiko haben, in einen Unfall verwickelt zu werden (13).
Vor allem Antihistaminika der ersten Generation wie Diphenhydramin, Doxylamin oder Hydroxyzin, die sowohl als rezeptfreie Schlafmittel als auch gegen Allergien zum Einsatz kommen, beeinträchtigen ebenfalls die Vigilanz. Das Apothekenteam sollte Patienten nahelegen, die Substanzen nicht zu spät abends einzunehmen, um einen Hang-over zu vermeiden. Vor allem zu Beginn der Therapie ist erhöhte Vorsicht im Straßenverkehr geboten. Antihistaminika der zweiten Generation wie Loratadin sollten als Antiallergikum bevorzugt werden, da sie weniger müde machen (14).
Vorteil für SSRI und SSNRI?
Auch Patienten mit Psychosen müssen im Straßenverkehr aufpassen. Die Einnahme von Antipsychotika wirkt dämpfend; zudem können extrapyramidale motorische Störungen, Verwirrtheit, Orthostase und Sehprobleme auftreten (10, 17).
Vor allem bei tri- und tetrazyklischen Antidepressiva sind eine begleitende Sedierung sowie anticholinerge Nebenwirkungen, zum Beispiel eine mögliche orthostatische Dysregulation mit Symptomen wie Schwindel, Herzrasen, Übelkeit und Schwäche, ein Problem für die Fahrtauglichkeit. Das Apothekenteam sollte den Patienten raten, in der initialen Einstellungsphase sowie bei jeder Dosisanpassung auf das Autofahren zu verzichten.
Bei selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und selektiven Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SSNRI) scheint das Risiko für eine Beeinträchtigung der Fahreignung geringer zu sein (18, 10).
Sehstörungen: Nicht nur bei Ophthalmika
Eine gute Sehfähigkeit ist für sicheres Autofahren extrem wichtig. Vorsicht ist geboten, wenn Arzneimittel den Visus einschränken. Das trifft in erster Linie auf Ophthalmika zu, die entweder bei einer augenärztlichen Untersuchung wie die pupillenerweiternden Wirkstoffe Tropicamid oder Cyclopentolat oder therapeutisch wie Latanoprost oder Timolol gegen Glaukom eingesetzt werden. Nebenwirkungen am Auge reichen von Trockenheit über Augentränen, Augenjucken, Konjunktivitis und verschwommenes Sehen bis hin zu Entzündungen. Wer Gele, Salben oder ölige Lösungen am Auge anwendet, muss damit rechnen, einige Zeit nur noch verschwommen sehen zu können (15).
Aber auch diverse andere Arzneimittelgruppen können als unerwünschte Wirkung den Visus beeinträchtigen. Die Analgetika Ibuprofen und Naproxen bringen beispielsweise als gelegentliche oder häufige Nebenwirkung Sehstörungen mit sich. Corticosteroide können gelegentlich eine Katarakt oder ein Glaukom verursachen und Bisphosphonate selten eine Uveitis, Skleritis oder Konjunktivitis. Besondere Vorsicht gilt beim Estrogenrezeptormodulator Tamoxifen. Der gegen Brustkrebs eingesetzte Arzneistoff verursacht häufig eine Katarakt oder Netzhautveränderungen (14). /
Literatur