Glaubenskrieg um Globuli |
27.08.2013 16:37 Uhr |
Von Eugen J. Verspohl / Bei der Homöopathie handelt es sich um ein schwieriges, da emotionsgeladenes Spannungsfeld zwischen Gegnern und Befürwortern. In diesem Artikel wird der Versuch unternommen, die Homöopathie und ihren Begründer, den Arzt Samuel Hahnemann, aus der Historie zu begreifen und die Widersprüche zum heutigen, teilweise abweichenden homöopathischen Therapieverständnis aufzuzeigen. Daraus ergeben sich einige offene Fragen.
In Diskussionen zwischen Gegnern und Anhängern der Homöopathie stoßen häufig unüberbrückbare Gegensätze aufeinander. Verfechter der Homöopathie werfen deren Kritikern Unkenntnis, überhebliche Ablehnung und eine rein wissenschaftliche Betrachtung vor, gegen die die therapeutische Erfahrung (Empirie) spreche. Homöopathie-Gegner kritisieren dagegen Mystizismus und romantischen Glauben an eine Heilmethode, deren Erfolg sich mit wissenschaftlichen Methoden nicht belegen lasse.
Die antike Medizin basierte auf der Säftelehre. Behandlungen konnten für Patienten sehr gefährlich werden.
Foto: Artcolor/dpa
Von offizieller Seite wird die Homöopathie zumindest teilweise akzeptiert. So hat das Homöopathische Arzneibuch als Teil des Deutschen Arzneibuchs amtlichen Charakter. Homöopathie ist zudem Prüfungsstoff in Staatsexamina der Pharmazie und Medizin, Apotheker- und Ärztekammern machen entsprechende Weiterbildungs-Angebote und mit der homeopathic medicinal products working group (HMP-WG) der europäischen Arzneimittelagentur EMA existiert auf europäischer Ebene ein gegenseitiges Anerkennungsverfahren.
Geschichtliche Einordnung
Das Konzept der Humoralmedizin, die sogenannte Säftelehre, wurde von Hippokrates von Kos (460 bis 377 v. Chr.) begründet. Alle Fehlfunktionen waren demnach Ausdruck einer einzigen großen Krankheit, nämlich dem falschen Denken und der fehlerhaften Mischung der vier Körpersäfte Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle. Ursache war eine Überfüllung, venös wie auch arteriell, die durch ausleerende Methoden beseitigt wurde.
Alle berühmten Ärzte bis ins 19. Jahrhundert waren Humoralmediziner. Ihr Ziel war es, durch säftereinigende, stoffwechselentlastende und ausleitende Verfahren Krankheits- und Symptombilder zu behandeln. Hahnemann (gestorben 1843, siehe Kasten) war gebildet, konnte vier Sprachen und kannte daher die überlieferten Texte im Original sehr gut. Die von ihm entwickelte Homöopathie fußte auf der Symptomorientiertheit der antiken Heilkunst und dem Vitalismus. Dieser besagt, dass Krankheit und Heilung immaterielle Prozesse darstellen.
1755: geboren in Meißen, später Arzt, Apotheker und Chemiker
1796: formuliert Simile-Prinzip
1810: Buch »Organon« in erster Auflage
1811: habilitiert für Homöopathie in Leipzig
1821: praktiziert und dispensiert in Anhalt-Köthen, nebenbei gründet er eine private Irrenanstalt (er konnte die mittelalterliche Verwahrung von Patienten nicht ertragen); wäre beinahe ein berühmter Psychiater geworden und hätte dann die Homöopathie wohl vernachlässigt
1835: starke Dissidentengruppen, Übersiedelung nach Paris (Sorbonne)
1843: Tod in Paris
Erst kurz darauf kam die Zellularmedizin hinzu: Die Betrachtungsweise von Rudolf Virchow (1821 bis 1902) stellte einen Paradigmenwechsel dar. Er betrachtete die Zelle als geschlossenes System der lebendigen Erscheinungen; Fehlfunktionen von Zellen galten nun als das pathologische Substrat und Ursache von Krankheiten; Körpersäfte wie Galle, Schleim und Blut traten in den Hintergrund.
Beginn der Homöopathie
Im Zeitalter der Aufklärung war die Medizin aus Antike und Mittelalter in Misskredit geraten, da ihre Nutzlosigkeit augenscheinlich wurde. Patienten wurden zu Hahnemanns Zeiten zu Tode »kuriert«. Traktiert wurden sie unter anderem mit ausleitenden Verfahren, Aderlässen, Quecksilber-Diuretika zur Entschlackung, Brechmitteln, Auflegen von spanischen Fliegen und Hauteiterungen.
Hahnemann war demgegenüber modern. Er weigerte sich, diese Vergiftungstherapie anzuwenden, war sogar so angewidert, dass er das Therapieren aufgab (»bevor ich schade, tue ich lieber gar nichts«). Dann erfolgte der Eklat: 1812 war der große Hörsaal der Leipziger Universität voll besetzt wegen der Ankündigung eines medizinhistorischen Vortrags von Hahnemann. Nach anfänglichen Ausführungen zu Themen wie Lepra, Pest und Syphilis wetterte er plötzlich gegen Aderlass, Purgieren und Arznei-Vielmischerei, was erste Unruhe im Raum hervorrief. Er bedachte die Anwesenden mit dem Ausdruck »Mediziner der Schule« und schmetterte ihnen entgegen: »Es gibt einen Weg, diesem Unfug Einhalt zu gebieten. Dieser Weg war schon unseren Vorfahren bekannt. Doch niemand hat ihn bisher konsequent beschritten. Nicht contraria contrariis ist der Stein der Weisen, sondern similia similibus …« Dies kann als Beginn der Homöopathie angesehen werden.
Getrocknete Rinde des Roten Chinarindenbaums (Cinchona pubescens). Das enthaltene Alkaloid Chinin ist das älteste bekannte Antimalariamittel.
Foto: imago/Arco images
1796 bereits hatte Hahnemann in »Hufeland’s Journal« über einen Selbstversuch mit einer höheren Dosis Chinarinde berichtet, die bei ihm die gleichen Symptome hervorrief wie ein Malariaanfall. Als er jedoch eine Verdünnung davon anwendete, traten nach seinen Angaben Malaria-ähnliche Symptome nur anfänglich auf, bis er dann letztlich eine Reduzierung der Symptome (Heilung) beobachtete. Hahnemann schloss aus dieser Erfahrung, das Ähnliches mit Ähnlichem geheilt werden könne (Simile-Prinzip: »similia similibus curentur«) und nannte diese Art der Therapie später Homöopathie. Der Name leitet sich ab von den griechischen Begriffen homoios für gleich und pathos für Leiden.
Das Simile-Prinzip beinhaltet also einen verblüffenden Umkehreffekt: Substanzen, die Gesunde krank machen, können bei Kranken, wenn verdünnt angewendet (in der homöopathischen Fachsprache: potenziert), die Beschwerden beseitigen. Das Prinzip stammt allerdings nicht von Hahnemann, denn schon Hippokrates sagte: »Durch das Ähnliche entsteht die Krankheit und durch die Anwendung des Ähnlichen wird die Krankheit geheilt«. Hahnemann hat immer nur »similia similibus curentur«, also den Konjunktiv verwendet, nie »curantur« wie zum Beispiel Paracelsus.
Der Selbstversuch mit Chinarinde wurde von Hahnemann offenbar falsch beschrieben beziehungsweise interpretiert: Hohe Dosen von Chinarinde erzeugen eigentlich immer eine Fiebersenkung; die gegenteilige Beobachtung ist schwer nachvollziehbar. Es kann eventuell Schüttelfrost hervorgerufen worden sein (vielleicht aufgrund einer Chinin-Allergie), den er als Fieberbeginn missdeutet haben könnte und der bei Anwendung des verdünnten Homöopathikums zufällig aufhörte. Fieber konnte allerdings nicht objektiv gemessen werden, da das Fieberthermometer erst nach Hahnemanns Tod erfunden wurde
Wirksame Arznei oder bloß Zuckerkügelchen? Ob homöopathische Globuli tatsächlich mit einer geistigen Arzneikraft imprägniert sind, wie es die Imprint-Hypothese besagt, konnte weder bewiesen noch widerlegt werden.
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Das Ergebnis des Chinarindenversuchs konnte bisher nicht reproduziert werden und muss daher als Grundlage für das Simile-Prinzip abgelehnt werden. Dennoch kann im Prinzip eine Therapie zielführend sein, auch wenn die dahinterstehende Theorie falsch oder unbewiesen ist. Ein Beispiel hierfür ist die erfolgreiche Bekämpfung der Malaria in einer Zeit, als die Mücke als Überträger noch nicht bekannt war. Die Menschen legten damals Sümpfe trocken, weil sie glaubten, dass Miasma (aufsteigende Dämpfe) die Krankheit auslösten. Unwissentlich entzogen sie damit der Überträgermücke die Lebensgrundlage.
Grundpfeiler der Homöopathie
Ein Grundsatz der Homöopathie ist, dass sie Arzneimittelbilder identifiziert, also Symptome, die bestimmte Arzneimittel beim gesunden Menschen hervorrufen, und eine Übereinstimmung mit dem Krankheitsbild herstellt. Diese Bilder können in Repetitorien nachgeschlagen werden.
Schütteln und Verdünnen werden als eine Potenzierung (Dynamisation, Dynamisieren oder Energetisierung), also Wirkungssteigerung betrachtet: »Diese merkwürdige Veränderung in den Eigenschaften der Naturkörper durch mechanische Einwirkung auf ihre kleinsten Teile durch Reiben und Schütteln – während sie durch Dazwischentreten einer indifferenten Substanz trockener oder flüssiger Art voneinander getrennt sind, entwickelt die latenten, vorher unmerklich wie schlafend in ihnen verborgen gewesenen dynamischen Kräfte ...« Niedrigpotenzen werden eher bei akuten Leiden angewendet, Hochpotenzen eher bei chronischen Erkrankungen.
Methode | Frage |
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Schüttelmethode | Wodurch ist als Notwendigkeit nachgewiesen, dass man gegen den Erdmittelpunkt schütteln muss? Unterscheidet sich das Ergebnis der Dynamisierung, wenn diese von automatisch arbeitenden Schüttelmaschinen oder von Menschen durchgeführt wurde? |
Dynamisierung | Wieso wird durch das Schütteln nur die Hauptwirkung, nicht aber die Nebenwirkungen einer Urtinktur potenziert? Wieso werden die Spuren von Verunreinigungen im Lösungsmittel nicht potenziert? |
Hypothesenprüfung | Warum werden gebildete Hypothesen, beispielsweise zum notwendigen Potenzierungsgrad oder der Zahl der Globuli, nicht in einem dialektischen Prozess von Infragestellung und Verifizierung ihrer Richtigkeit überprüft? |
Reproduzierbarkeit | Hat ein Homöopathikum einen Heilerfolg unabhängig von der behandelnden Person? |
Dosisfindung | Wie werden die Dosen bei einer bestimmten Potenzierung gewählt, wie wird also zum Beispiel die Entscheidung getroffen, ob zwei, fünf oder zehn Globuli angewendet werden müssen? Gibt es eine Untergrenze für die Globulimenge? |
Wirksamkeit | Zu welchem Prozentsatz ist die Wirksamkeit gesichert, also das Erreichen eines klar definierten Therapieziels? |
Statistik | Warum wird eine Dokumentation von überprüfbaren Erfolgsraten nicht geliefert, sondern nur von einzelnen, unbestrittenen Heilerfolgen berichtet? Es kann nicht zugelassen werden, dass sich die Homöopathie hinter der Aussage versteckt, Patienten mit nie ganz gleichen Symptomen könnten nicht zusammengefasst betrachtet werden. Eine gewisse Erfolglosigkeit ist zugestanden, sie existiert auch in der Allopathie, zum Beispiel bei Non-Respondern auf H 2 -Blocker. |
Dekontamination | Nach Verreibungen bleiben Restmengen an der Gefäßwand übrig. Besitzen diese keine Wirkung oder sind diese für einen Gesunden eventuell schädlich? |
Regression zur Mitte
Der Ausspruch »Wer heilt, hat Recht« ist populistisch, denn er verhindert, dass man sich der Anstrengung des Herausfindens beziehungsweise Verstehens der rationalen Grundlage einer Therapie unterzieht. Heilung ist zudem ein schwammiger Begriff, da es sich dabei nicht um einen klar definierten Endpunkt handelt, sondern um eine subjektive (gefühlte) Besserung. Zu vermeiden ist eine selektive Wahrnehmung, also das Schönreden eines Ergebnisses, die intuitive Überbewertung gerade von solchen Wahrnehmungen, die die eigene Hypothese bestätigen.
Das Phänomen der Spontanheilungen und auch außergewöhnlicher Therapieerfolge ist am besten mit dem Begriff Regression zur Mitte zu beschreiben. Er wurde zum ersten Mal 1886 von dem Anthropologen Sir Francis Galton beschrieben und sei an einem modernen Beispiel verständlich gemacht.
Immer wieder wird kolportiert, dass Menschen ohne spezifische Ausbildung, beispielsweise Putzfrauen, erfolgreich eine Multiple-Choice-Prüfung bestehen würden. Wenn es sich um eine einfache Prüfung mit nur Ja- und Nein-Antworten handelt, stimmt das sogar, denn nach der Normalverteilung beantworten sie zu 50 Prozent die Fragen korrekt. Mit 5-prozentiger Wahrscheinlichkeit befinden sie sich durch Zufall sogar im Besten-Bereich der Gauß-Verteilungskurve. Wenn man dann aber diese 5 Prozent Besten erneut einer Ja-Nein-Multiple-Choice-Aufgabe unterzieht, werden sie den Erfolg nicht wiederholen können. Sie werden statistisch zu 50 Prozent falsch und zu 50 Prozent richtig antworten, aber nur zu einem sehr geringen Teil wieder zu den besten 5 Prozent gehören. Trotz eines auffälligen Einmalerfolgs bewegen sie sich wie alle auf das Mittelmaß zu, was als Regression zur Mitte bezeichnet wird.
Das Prinzip Regression zur Mitte entlarvt statistisch außergewöhnliche Einzelergebnisse als wenig reproduzierbar. Die Gefahr geht von überinterpretierten Einzelbeobachtungen aus, weil echte und zufällige Wirkung vermischt werden. Solche angeblichen Therapieerfolge wiederholen sich höchst selten und können kein Maßstab für eine wissenschaftliche Betrachtung sein.
Eine zweite Erklärung eines extremen Therapieerfolgs kann in der Fluktuation der Erkrankung gesehen werden. So sind beispielsweise Rückenschmerzen mal stärker, mal schwächer. Ein Patient wird bevorzugt in der Phase stärkerer Schmerzen eine Therapie beginnen. Das bedeutet aber, dass automatisch bald wieder eine Phase der vorübergehenden Besserung eintritt. Der wahre Erfolg einer Therapie kann daher nur durch häufige, methodisch einwandfreie, allseits transparente Wiederholungen verifiziert werden.
Kritikpunkt | Erläuterung |
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Vitalismus | Die Auffassung, dass eine Symptom- und Krankheitsbehandlung einen immateriellen Prozess darstellt, ist längst überholt. Leben, Krankheit und sogar psychosomatische Vorgänge sind an biochemisch-materielle Prozesse gebunden. |
Symptomorientiertheit | Anders als zur Zeit Hahnemanns können wir heute zwischen Symptom und Krankheit unterscheiden. |
Offenhalten einer Hintertür | Der Erfolg der Reiz- und Regulationstherapie ist abhängig von der Ausgangslage (Reaktionsbereitschaft, Mithilfe des Organismus). Korrekt wäre die transparente Benennung einer gewissen Erfolglosigkeit wie in der Allopathie. Mit der sogenannten Erstverschlimmerung hält man sich dagegen alle Optionen offen: Wie der Zustand der Patienten sich auch entwickelt, der Homöopath hat in seinen Vorhersagen gefühlt immer Recht. |
Verdünnung | Das Verdünnen (Potenzieren) war zu Hahnemanns Zeiten gerechtfertigt, um Vergiftungen zu vermeiden. Heute ist die unbegrenzte Teilbarkeit von Stoffen/Materie aber wissenschaftlich widerlegt. Ein Mol enthält 6,022 x 10 23 Moleküle. Die Erkenntnis der Nichtteilbarkeit von Atomen blieb ohne Einfluss auf Hahnemann. |
Imprint-Hypothese | Warum hält man an dieser Hypothese fest, obwohl alle Beweise fehlschlugen? |
Dogmatismus | In der aufgeklärten Welt ist der dialektische Prozess von Hypothesenbildung und Beweis, von Versuch und Irrtum fester Bestandteil. Dies stellt immer noch das beste Verfahren dar, auch wenn Daten schon mal unterdrückt oder durch Bias und Confounder verfälscht werden. Demgegenüber ist die Homöopathie beharrend und sehr dogmatisch. |
Empirie | Erfahrung wird in der Homöopathie überbewertet. Empirie und Intuition sind wichtig; sie können aber Wissenschaftlichkeit nicht ersetzen. Empirie kann schnell durch eine selektive Wahrnehmung verfälscht werden. |
Patientenabhängigkeit | Homöopathika können nur dann gut verschrieben werden, wenn der Patient erzählt. Ein Schulmediziner kann aber auch bei einem bewusstlosen Patienten eine Diagnose stellen und ihn erfolgreich behandeln. |
Wirkung und Wirksamkeit
Die Bedeutung der Begriffe Wirkung und Wirksamkeit wird häufig vermischt. Wirken tut praktisch jede Maßnahme. Wirksamkeit geht aber über Wirkung hinaus, indem zielgerichtet und mit einer prozentual bestimmbaren Reproduzierbarkeit ein vorher definiertes Therapieziel erreicht wird.
Im »Organon der Heilkunst« (5. Auflage 1833, Seite 7) ist zu lesen: »Es sind nicht die körperlichen Atome dieser hochdynamisierten Arznei, noch ihre physische oder mathematische Oberfläche, vielmehr liegt unsichtbarer Weise in dem so befeuchteten Kügelchen oder in seiner Auflösung eine aus der Arzneisubstanz möglichst enthüllte und frei gewordene, spezifische Arzneikraft, welche schon durch Berührung der lebenden Thierfaser auf den ganzen Organismus dynamisch einwirkt und zwar desto stärker, je feiner und immaterieller sie durch die Dynamisation ... geworden war.«
Angenommen wird eine geistige Arzneikraft, die auf das Verdünnungsmedium übertragen und gespeichert wird in Form einer physikalisch-chemischen Veränderung. Man spricht von einer Aufprägung auf das Trägermedium, Imprint-Hypothese genannt.
Alle Versuche zum Beweis der Imprint-Hypothese sind im Sande verlaufen. Verworfen werden mussten als Erklärung die Bildung von H2O-Polymeren, Veränderung der Wasserstruktur, ein Wechsel der sterischen Wasser-Anordnung, Bildung von Wasserclustern, eine Fulleren-Bildung, Dissoziation zu Hydronium- und Hydroxid-Ionen, eine Veränderung der elektromagnetischen oder Photonenfelder und Magnetresonanz-Effekte. Einige dieser Effekte existieren; sie spielen sich aber nur im Nanosekundenbereich ab und sind daher ohne Relevanz. Vom wissenschaftlichen Standpunkt muss man aber auch zugestehen, dass eine Falsifizierung der Imprint-Hypothese nicht gelungen und wahrscheinlich gar nicht möglich ist.
Die Wissenschaft muss entgegenkommend einräumen, dass sie eventuell (noch) nicht über die geeigneten Detektionssysteme verfügt. Folgendes Beispiel dient zur Anschauung: Wenn wir mit einer chemisch-analytischen Methode die Zusammensetzung einer CD bestimmen, kennen wir nicht den aufgeprägten Informationsgehalt; Außerirdische würden nach dem Untergang der Menschheit die Bedeutung einer aufgefundenen CD nicht erkennen, falls sie nicht das dazugehörige Abspielgerät fänden.
Placebo-Effekt als Ausweg?
Es ist wissenschaftlich unhaltbar, unaufgeklärte arzneiliche Einflüsse der Einfachheit halber einem Placebo- Effekt zuzuschreiben. Das gilt sowohl für die Homöopathie als auch für die Allopathie. Der Placebo-Effekt ist nutzbar und in der Allopathie zum Teil wissenschaftlich im Detail erforscht. Untersuchungen fehlen allerdings, in denen auch bei Homöopathika der Placebo-Anteil reproduzierbar gemessen wurde. Dieser besteht beispielsweise aus der gleichzeitigen Umstellung der Ernährung, dem Absetzen bisheriger Arzneistoffe und rituellen Maßnahmen.
Für Hahnemann als gutem Arzt der damaligen Zeit ist positiv zu vermerken, dass er gewechselt hat zwischen Verum- und Nichtbehandlung. Einzelne Placebo-Studien haben später eine Überlegenheit eines Homöopathikums gegenüber Placebo gezeigt, aber sie waren häufig mit methodischen Unzulänglichkeiten behaftet wie fehlerhafte Randomisierung und Verblindung, was übrigens leider auch in der evidenzbasierten Medizin vorkommt. Nicht immer waren methodische Details so vollständig angegeben, dass man beurteilen kann, ob methodische Fehler vorlagen. Eine groß angelegte, 2005 im Fachjournal »The Lancet« veröffentlichte Metaanalyse unter Einbeziehung von 110 Studien ergab keinen Hinweis, dass der Homöopathikum-Effekt größer ist als der Placebo-Effekt (doi: 10.1016/S0140-6736(05)67177-2).
Fragen und Kritikpunkte
Eine Reihe von Fragen und Kritikpunkten richtet sich an die heutigen Verfechter der Homöopathie (Tabellen 1 und 2). Dabei geht es darum, ob diese die Lehren Hahnemanns korrekt anwenden und ob sie neue Erkenntnisse, die Hahnemann vor 200 Jahren nicht haben konnte, verarbeitet haben. Er selbst korrigierte das »Organon« immer wieder und merzte aus, was nicht funktionierte (nicht den Naturgesetzen entsprach). Demgegenüber beharren heutige Homöopathen dogmatisch auf der Gültigkeit der Prinzipien und lassen sich durch biologischen, medizinischen und physikalischen Wissensfortschritt nicht beeinflussen.
Gut zuhören, den Patienten mit all seinen Problemen wahrnehmen und nicht nur einzelne Symptome behandeln: Das können heutige Schulmediziner von der Homöopathie lernen.
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Hahnemann war in seiner Zeit ein Revolutionär und ein begnadeter Arzt, der die Schulmedizin der damaligen Zeit zu Recht ablehnte. Wir können heute von ihm lernen, die Symptome des Patienten gut zu beobachten und sich dafür auch die nötige Zeit zu nehmen. Die heutige Homöopathie muss aber lernen, ihr dogmatisches Verhalten zu hinterfragen und sich der Überprüfung zu stellen, wie es Hahnemann zu seiner Zeit vorgemacht hat. Die Homöopathie hatte eine längere Zeit als andere Therapieverfahren zur Bewährung, hat diese aber forschungstechnisch nicht genutzt.
Viele Menschen haben gesundheitliche Probleme, gegen die die evidenzbasierte Medizin wenig zu bieten hat. Homöopathie darf aber nicht als Ersatz für allopathische Mittel eingesetzt werden, wenn diese eventuell aufgrund von in Hetze durchgeführten Behandlungsgesprächen nicht wirken. Der allopathische Medizinbetrieb mit seinen offensichtlichen Grenzen kann nicht als Grund herhalten für unbewiesene, vielleicht unbeweisbare Alternativmethoden einschließlich der Homöopathie.
Trotz aller Erfolge bleibt der Stand der Wissenschaft der Stand unseres Nichtwissens. Dennoch bedeutet Therapiefreiheit nicht Therapiebeliebigkeit. Jeder Patient hat Anspruch darauf, mit nachweislich wirksamen Arzneimitteln behandelt zu werden. Umgekehrt ist der Arzt verpflichtet, auch die Richtigkeit seines Tuns transparent unter Beweis zu stellen. /
Literatur beim Verfasser
Eugen J. Verspohlstudierte Pharmazie in Münster bis 1971 und wurde 1973 am Pharmakologischen Institut der Universität Düsseldorf promoviert. Für seine Doktorarbeit erhielt er den Edens-Preis. 1982 erfolgte die Habilitation im Fach Pharmakologie und Toxikologie am Lehrstuhl Pharmakologie für Naturwissenschaftler in Tübingen und 1984 die Ernennung zum Professor. Längere Auslandsaufenthalte führten ihn an die University of California in San Francisco. 1991 bis 2012 leitete Professor Verspohl die Abteilung Pharmakologie am Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie, Münster.
Professor Dr. Eugen J. Verspohl E-Mail: verspoh(at)uni-muenster.de