Impfung als Infarktprophylaxe |
Elke Wolf |
06.11.2018 15:04 Uhr |
Immunologisch gesehen, beginnt das Alter bereits ab 50 Jahren. Sowohl die zellvermittelte Immunität als auch die Antikörperbildung gehen dann zurück. »Diese einsetzende Immunseneszenz ist auch der Grund für eine reduzierte Impfeffektivität. Diese liegt dann nur noch bei 50 bis 60 Prozent, im Vergleich zu 70 bis 90 Prozent bei den Unter-65-Jährigen«, erklärt Leischker gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung.
Dass die Strapazen einer Influenza tatsächlich einen Herzinfarkt triggern können, ist seit einer im Frühjahr publizierten Studie im »New England Journal of Medicine« gesichert. Dieser lange vermutete Zusammenhang wurde dabei mit labordiagnostischen Methoden bestätigt, die Diagnose Influenza beruhte nicht allein auf der klinischen Symptomatik. »Danach stieg das Erkrankungsrisiko während der ersten Woche der Influenza um das Sechsfache. Besonders gefährlich waren Infektionen mit Influenzaviren vom Typ B. Diese erhöhten das Myokardinfarktrisiko gar um das Zehnfache«, informiert Leischker.
Könnte eine Grippe-Impfung daher indirekt vor einem Herzinfarkt schützen? Leischker ist sich ganz sicher, dass dem so ist. »Für die Prävention des Herzinfarkts hat sie ähnliche Effekte wie der Stopp des Nikotinkonsums oder die Einnahme von Cholesterin- und Blutdrucksenkern.« Der Mediziner zitiert eine Metaanalyse der Cochrane Collaboration aus dem Jahre 2015, wonach die Influenza-Impfung das Myokardinfarktrisiko um 55 Prozent senkt. Wie erklärt man sich die pathophysiologischen Zusammenhänge? »Stressereignisse können von Infizierten, deren Koronararterien mit Plaques belegt sind, weniger gut weggesteckt werden. Während einer Influenza-Erkrankung steigt der Stresspegel, und der Körper reagiert mit einer Entzündung. Das lässt vorhandene Plaques an den Arterien leichter aufbrechen.«
»Wir brauchen für ältere Menschen stärkere Impfstoffe als für junge«, fordert Leischker. Es gebe zwei Möglichkeiten, die Ansprechrate bei älteren Personen zu erhöhen: »Entweder man impft adjuvantierte Vakzinen oder solche mit erhöhter Antigenmenge. Doch beide Strategien sind derzeit in Deutschland nicht umsetzbar.«
Der einzige in Deutschland für Personen ab 65 Jahre zugelassene Impfstoff, der wirkverstärkt ist, ist das trivalente Fluad®. Einen tetravalenten adjuvantierten Influenza-Impfstoff gibt es derzeit nicht, so Leischker. Die zweite Möglichkeit, die Immunisierung bei Senioren effektiver zu machen, sei die Strategie der Amerikaner: »In den USA verwendet man seit 2009 für über 65-Jährige einen Impfstoff mit vierfachem Antigengehalt (60 µg statt 15 µg, Fluzone® High-Dose). Das ist nach Studienlage die noch bessere Variante als die adjuvantierten Impfstoffe. Besonders Menschen über 85 Jahre profitieren davon: Sie haben im Vergleich zum Präparat mit dem niedrigeren Antigengehalt niedrigere Pneumonie- und Hospitalisierungsraten. Allerdings ist dieser Impfstoff hierzulande noch nicht verfügbar.« Leischker hofft im nächsten Winter auf die Zulassung eines tetravalenten Hochdosis-Impfstoffs in Deutschland.
Für die Über-65-Jährigen klafft also derzeit in Deutschland eine gewisse Lücke, fasste Leischker zusammen. »Aber besser wir haben jetzt von der Ständigen Impfkommission die Empfehlung für die Vierfachimpfstoffe, der auch die zirkulierenden B-Linien mit abdeckt, als einen adjuvantierten Impfstoff, der nicht die Viren abdeckt, die auch zirkulieren.«
Da Sekundärinfektionen mit Pneumokokken gerade bei alten Menschen häufig sind, sollte bei ihnen an eine kombinierte Impfung gegen Pneumokokken und Influenza gedacht werden. Die Kombination beider Impfungen wirkt synergistisch. Sie senkt die Gesamtmortalität noch stärker.
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