Hochsensibel und lange unterschätzt |
Isoliertes Faszientraining gibt es nicht. Hartschaumrollen können hilfreich sein, man sollte es mit dem Druck aber nicht übertreiben. / © Adobe Stock/Printemps
Sie sind fein, wenige Millimeter dünn und durchziehen unseren gesamten Körper wie ein Netz: die Faszien. Lange Zeit galten sie als bloßes Verpackungsmaterial für unsere Muskeln, doch neuere Studien zeigen etwas anders. Diese oft übersehenen Strukturen können eine große Rolle für Rückenschmerzen und Sportverletzungen, Biomechanik und Beweglichkeit spielen. Selbst der Muskelkater könnte eigentlich ein Faszienkater sein, sagt ein deutscher Experte.
»Faszien sind sensorisch unglaublich wichtig«, betont Jan Wilke, Sportwissenschaftler und Faszienforscher an der Universität Bayreuth. Zum einen enthielten sie Propriozeptoren, die Informationen über Bewegung, Druck und Spannung in verschiedenen Geweben lieferten. Zum anderen würden sie auch Schmerzwahrnehmungen verursachen.
»Tatsächlich sind Faszien vermutlich schmerzsensibler als Muskeln«, so Wilke – eine Aussage, die durch mehrere Studien der vergangenen Jahre gestützt wird, darunter eine experimentelle Arbeit im Fachjournal »Pain«, die schon 2013 zeigte, dass die Injektion schmerzauslösender Substanzen in die Faszie unangenehmer ist als die Injektion in den Muskel. Diese Erkenntnis könnte laut Wilke bedeuten, dass ein Teil der bis dato als unspezifisch diagnostizierten Rückenschmerzen auf Probleme im Fasziengewebe zurückzuführen sind.
Ein weiteres überraschendes Ergebnis betrifft den Muskelkater. »Wir haben lange gedacht, dieser entstünde durch Mikroverletzungen, Entzündungen oder Laktatansammlungen im Muskelgewebe«, so Wilke. Doch neue Studien legen nahe, dass es sich eher um eine Verdickung und Versteifung der schmerzempfindlichen Faszien handelt. »Es ist wahrscheinlich sinnvoller, von einem ›Faszienkater‹ zu sprechen«, bemerkt der Sportwissenschaftler.
Neben ihrer sensorischen Rolle haben Faszien auch eine entscheidende mechanische Funktion im Bewegungssystem. Wilke erläutert, dass Faszien nicht nur Muskeln umschließen, sondern sie auch verbinden und somit ein spannungsreiches Netzwerk im Körper bilden. Entfernt man dieses Bindegewebe, verliert der Muskel bis zu 50 Prozent seiner Spannung, wie eine im Fachblatt »Journal of Ultrasound« veröffentlichte, japanische Studie 2023 zeigte – eine deutliche Demonstration der Bedeutung von Faszien für die Stabilität des Körpers. Modellierungen aus Kanada von Ibrahim El Bojairami und Mark Driscoll legen darüber hinaus nahe, dass die passive Stabilität der Lendenwirbelsäule mindestens ebenso stark durch die große Rückenfaszie beeinflusst wird wie durch aktive Muskelanspannung.
Für Jan Wilke sind vor allem die Verbindungen, die Faszien zwischen Muskeln schaffen, interessant. Eben jene Verbindungen könnten auch bislang unerklärliche Zusammenhänge erklären. »Wir wissen, dass oft bei Läufern und Läuferinnen vorkommenden Schmerzen an der Fußsohle beispielsweise mit einer Verhärtung am hinteren Oberschenkel zusammenhängen«, sagt er. »Dadurch, dass die Muskeln teilweise von Kopf bis Fuß durch das fasziale Bindegewebe miteinander verbunden sind, könnte es theoretisch sein, dass eine Problematik im Körper an einer anderen, weit entfernten Stelle nach Wochen Beschwerden bereiten kann.« Einen entsprechenden Nachweis für eine Kraftübertragung über Faszienketten erbrachte der Sportwissenschaftler 2020 in einer im Fachblatt »Frontiers in Physiology« veröffentlichten Studie.