Hinweis bei jeder Abgabe |
Daniela Hüttemann |
16.08.2021 18:00 Uhr |
Bekommt eine Frau im gebärfähigen Alter ein Arzneimittel mit hohem teratogenen Risiko verordnet, sollte das pharmazeutische Personal bei jeder Abgabe einen entsprechenden Hinweis geben. / Foto: Getty Images/Westend61/Florian Küttler
Dem neuesten Barmer-Arzneimittelreport zufolge bekamen im Jahr 2018 fast 154.000 Mädchen und Frauen zwischen 13 und 49 Jahren ein potenziell kindschädigendes Arzneimittel verordnet – zum Teil wurden die Medikamente trotz bestehender Schwangerschaft weiterverordnet. Das kann im Einzelfall notwendig sein, die Barmer ist jedoch überzeugt davon, dass die risikoreichen Medikamente deutlich zu häufig (weiter) verschrieben wurden. Denn die Absetzquoten bei den besonders kritischen Präparaten lagen bei Schwangerschaftseintritt lediglich zwischen 31 und 60 Prozent.
»Ungeborene Kinder werden aufgrund einer unzureichend sicheren Organisation der Arzneimitteltherapie der werdenden Mutter einem vermeidbaren Missbildungsrisiko ausgesetzt«, sagte Professor Dr. Daniel Grandt, Facharzt für Innere Medizin, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken und Autor des Arzneimittelreports. Jeder vermeidbare Missbildungsfall sei einer zu viel. Er forderte: »Arzneimitteltherapiesicherheit, auch die des ungeborenen Kindes, muss Priorität bei der Organisation und Digitalisierung von Behandlungsprozessen erhalten.« Die PZ fragte bei ihm nach: Was können Apotheken hier beitragen?
»Unsere Vermutung ist, dass die Teratogenität bestimmter Arzneimittel bei der Verordnung an Mädchen und Frauen nicht ausreichend thematisiert wird«, so Grandt zur PZ. »Wir waren erstaunt, wie groß das Problem ist.« Die Aufklärung über die Folgen bei einer möglichen Schwangerschaft erfolge mitunter vielleicht auch nur bei der Erstverschreibung. Die Gefahr werde bei Folgeverordnungen möglicherweise nicht noch einmal aufgegriffen und gerate in Vergessenheit.
Im besten Fall planen chronisch kranke Frauen mit Kinderwunsch die Schwangerschaft mit ihrem Facharzt und besprechen frühzeitig, ob und wie die Medikation umgestellt werden muss. Die Einnahme eines teratogenen Arzneimittels werde aber manchmal erst beim Gynäkologen entdeckt, wenn sich eine Frau aufgrund einer Schwangerschaft vorstellt – das ist laut Befragung der Barmer im Schnitt in der siebten Woche und damit zu spät, um Schäden bei der Organentwicklung des Embryos zu verhindern.
Zu bedenken ist laut Grandt auch, dass sich ein bedeutender Teil der Schwangerschaften ungeplant einstelle. »Die Frauen müssen vorher wissen, was mit ihren Medikamenten zu tun ist, wenn sie eine Schwangerschaft feststellen«, betont der Arzt. So sollten die Betroffenen ihr Medikament aus Angst vor Schäden beim Kind nicht einfach eigenmächtig absetzen. Denn auch die Grunderkrankung selbst kann sich negativ auf die Entwicklung des Ungeborenen auswirken.
Grandt plädiert dafür, dass das Apothekenpersonal bei jeder Abgabe eines Teratogens der Risikoklassen 2 oder 3 (siehe folgende Aufzählung) an Frauen im gebärfähigen Alter diese noch einmal auf das Risiko hinweist und fragt, ob Patientin und Arzt über Verhütung gesprochen haben. Apotheker sollten dazu die häufigsten teratogenen Arzneimittel im Hinterkopf haben – »das sind nicht allzu viele«, so Grandt.
Das Risiko für grob strukturelle Fehlbildungen im ersten Trimenon liegt ohne Arzneimitteltherapie bei etwa 3 Prozent – drei von hundert Kindern kommen also rein statistisch mit einer Fehlbildung auf die Welt. Bei den Teratogenen werden nun drei Risikoklassen unterschieden:
Genauere Angaben finden Apotheker in der Datenbank Embryotox des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie der Charité in Berlin. Grandt empfiehlt zudem die Lektüre eines umfassenden Review-Artikels zum Gebrauch von Arzneimitteln in der Schwangerschaft von Privatdozentin Dr. Katarina Dathe und Professor Dr. Christof Schaefer, die dort arbeiten, der 2019 im »Deutschen Ärzteblatt« publiziert wurde.
Die Barmer fordert als Reaktion auf ihren Report, dass künftig jede Frau im gebärfähigen Alter bereits ab einem dauerhaft verordneten Medikament einen Rechtsanspruch auf einen bundeseinheitlichen Medikationsplan haben soll. Auch hier könnte die Apotheke mithelfen, auf Vollständigkeit und Aktualität zu achten.
Zudem plant die Barmer ein Projekt namens eRIKA, bei dem Ärzte bereits beim Ausstellen eines Rezepts mehr Transparenz zur Gesamtmedikation erhalten sollen und bei dem auch Apotheken mitwirken sollen. Das Projekt soll vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert werden, wird aber wohl frühestens im kommenden Jahr starten. Weitere Details sind noch nicht bekannt.