Hersteller fordern Änderung der MDR |
Jennifer Evans |
29.08.2023 14:30 Uhr |
MDR erneut in der Kritik: Die Medizintechnik-Branchenverbände haben heute in Berlin Änderungen an der EU-Medizinprodukteverordnung gefordert. / Foto: Adobe Stock/ LIGHTFIELD STUDIOS
Die neuen Anforderungen der EU-Verordnungen Medical Device Regulation (MDR) sowie der In-vitro-Diagnostika-Verordnung (IVDR), die das Inverkehrbringen von Medizinprodukten und Labortests in Europa regeln, haben immer wieder für Wirbel gesorgt. Die beiden Branchenverbände BVMed und VDGH haben in Sachen Kritik am heutigen Dienstag noch einmal nachgelegt und bezeichneten das EU-Regelwerk als »handwerklich schlechtgemacht, zu kompliziert und bürokratisch«, wie es in ihrem 64-Seiten starken Whitepaper heißt. Die Umsetzung der MDR und IVDR gefährde Patienten, die Anwendersicherheit sowie den Binnenmarkt. Das Hauptargument ist nicht neu: Würden die Hersteller die neuen Verfahrensanforderungen anwenden, komme es zu weiteren Engpässen bei Medizinprodukten und In-Vitro-Diagnostika, heißt es.
Ein Drittel der Produkte drohe vom Markt zu verschwinden, andere seien bereits weg, heben die Verbände hervor. Damit nicht genug: Knapp 90 Prozent der Firmen priorisierten inzwischen den US-amerikanischen Markt für die Zulassung ihrer Produkte. Hinzu kämen neben dem Brexit der starke Preisdruck, was die Attraktivität einer CE-Kennzeichnung zusätzlich verringere. Am liebsten wäre den MedTech-Unternehmen ohnehin, das Ansehen der CE-Kennzeichnung wiederherzustellen.
Zur Erinnerung: Eigentlich ist die MDR bereits seit dem 25. Mai 2017 in Kraft. Für Hersteller endeten die Übergangsfristen sogar schon im Mai 2021. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie hatte es aus Brüssel jedoch ein weiteres Jahr Aufschub gegeben. Damit war aber im Mai 2022 auch Schluss.
Um die Situation zu entspannen, forderten BVMed und VDGH in ihrem neuen Whitepaper nun unter anderem die beschleunigte Zulassung, das sogenannte Fast-Track-Verfahren, so ablaufen zu lassen, wie es etwa für Orphan Drugs oder Nischenprodukte funktioniert. Gerne abschaffen wollen sie den fünfjährigen Re-Zertifizierungszyklus. Stattdessen soll sich eine erneute Zertifizierung am Risiko des Produkts messen. Der Grund: Viele Hersteller haben Schwierigkeiten, Kapazitäten bei Benannten Stellen zu finden, um ihre Produkte gemäß der neuen MDR- und IVDR-Kriterien auf den Markt zu bringen. Eine Überwachung beziehungsweise Notifizierung könnte daher künftig besser europaweit zentralisiert stattfinden, meinen die Verbände.
Darüber hinaus präsentierten BVMed und VDGH in ihrem Paper noch weitere Vorschläge. Sie erwarten in Zukunft beispielsweise mehr Effizienz im System. Das soll durch »planbare Fristen und berechenbare Kosten der Regulierungsverfahren« gelingen. Mehr Transparenz für die Zertifizierungsprozesse erhoffen sie sich mithilfe von Digitalisierung. Und auch insgesamt dürfte es nach dem Willen der beiden Branchenverbände in Europa koordinierter zugehen. Um doppelte Arbeit zu vermeiden sei es sinnvoll, die Prüfanforderungen über die EU-Grenzen hinweg anzugleichen. Auch sollte die EU die Zulassungsbedingungen der Schweiz sowie der UK anerkennen – und umgekehrt.
»Wir wollen gemeinsam mit allen Beteiligten Europa wieder zu einem wettbewerbsfähigen MedTech-Standort machen und überzogene Strukturen aufbrechen sowie gute regulatorische Rahmenbedingungen schaffen – mit Mut und Zuversicht«, beschreiben BVMed und VDGH ihre Motivation für das Paper.
Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der Christdemokraten im Europäischen Parlament (EVP), verteidigte am heutigen Dienstag auf der einen Seite die neue MDR mit den Worten: »Es war und bleibt richtig, dass wir die Medizinprodukterichtlinie in eine Verordnung umgewandelt haben und als Reaktion auf Skandale wie zum Beispiel mit Brustimplantaten unangemeldete Kontrollen in den Betrieben vorschreiben sowie eine stärkere Überwachung der Benannten Stellen (in Deutschland zum Beispiel TÜV) beschlossen haben.«
Auf der anderen Seite bekräftigte er die Kritik an der Re-Zertifizierung. Sie bedeute einen »erheblichen bürokratischen Aufwand und bringt praktisch keinen Gewinn an Sicherheit, da diese Produkte oft seit vielen Jahren gut erprobt sind.« Der Europapolitiker hatte in der Vergangenheit ebenfalls bereits »gezielte Lösungen« für Nischenprodukte gefordert – analog zu Regelungen, wie sie zum Beispiel auch bei Arzneimitteln für die Behandlung von Kinderkrankheiten existieren.
Der zunehmende Zertifikatestau als Folge der neuen EU-Medizinprodukte-Verordnung hatte bereits im vergangenen Jahr hohe Wellen geschlagen. Angesichts zunehmender Versorgungsengpässe hatten im Oktober 2022 schließlich auch die Länder mit einer Entschließung im Bundesrat die Bundesregierung unter Zugzwang gesetzt. Ende Oktober signalisierte die EU-Kommission dann, sich dem Problem anzunehmen.
Zum Hintergrund: Weil mit der MDR die Anforderungen an Studien, Dokumentationen und Audits gestiegen sind, müssen viele Medizinprodukte eine neue Zertifizierung erhalten oder landen zum Teil in höheren Risikoklassen. Da diese Zertifizierungsverfahren so lange dauern und außerdem zu wenige Benannte Stellen in Europa existieren, waren die Engpässe eine (logische) Folge.
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