Hauptaufgabe der Apotheke ist Stärkung der Adhärenz |
Patienten mit Depressionen sind nicht immer einfach zu erreichen, doch brauchen gerade sie die meiste Unterstützung. / Foto: Getty Images/bunditinay
Circa acht Prozent der deutschen Bevölkerung zwischen 18 und 65 Jahre sind an einer Depression erkrankt. »Betroffene müssen in ihren schwierigen Lebenssituationen sorgsam und professionell begleitet werden. Die erfolgreiche Therapie macht fundiertes und somit regelmäßig aufzufrischendes pharmazeutisches Wissen erforderlich«, betonte Dr. Katja Renner, Heinsberg, beim dem traditionellen Novemberkongress der Apotherkammer Schleswig-Holstein, der in diesem Jahr coronabedingt als Live-Online-Veranstaltung durchgeführt wurde.
Der Zeitpunkt der Ersterkrankung liegt bei 50 Prozent der Patienten vor dem 32. Lebensjahr. »Die Häufigkeit des Auftretens von Depressionen in hohen Lebensjahren ist jedoch vergleichbar mit der in jüngeren Jahrgängen«, unterstrich die Apothekerin in einem Vortrag mit dem Titel »Depressionen – Mehr als nur traurig«. Die Beratung in der Apotheke gehe mit großen Herausforderungen einher.
Generell sei die Pathopyhsiologie der Depression von einem multifaktoriellen Risikogeschehen geprägt. Risikofaktoren in jungen Jahren sind genetische, aber auch soziale Belastungen wie Schwierigkeiten in der Ausbildung, Verlust des Arbeitsplatzes, finanzielle Not, Todesfälle in der Familie, gescheiterte Beziehungen, Trennungen oder auch schwere Erkrankungen. Als Ursachen und Auslöser im Alter kommen negative Lebensbilanzen, chronische Schmerzen und Missempfindungen sowie auch Einsamkeit in Betracht.
Renner hob hervor, dass auch Arzneimittel und hier unter anderem Corticoide, Neuroleptika, Antihypertonika (zum Beispiel Betablocker), Interferone, Opiate, Antibiotika, orale Kontrazeptiva oder Anti-Parkinson-Therapeutika (zum Beispiel Levodopa) eine Sekundär-Depression auslösen können. Hier könne es gegebenenfalls angezeigt sein, die pharmakologische Plausibilität des Krankheitsgeschehens zu erkunden.
Des Weiteren könnten Depressionen auch als Komorbidität zum Beispiel bei Demenz und Alzheimer, Diabetes mellitus, Hypovitaminosen, Multipler Sklerose, Schilddrüsen- oder Krebserkrankungen auftreten. »So oder so: Immer müssen sie behandelt werden«, unterstrich Renner.
Als psychische Symptome einer Depression schilderte die Referentin im weiteren Verlauf ihrer Ausführungen Angst, Traurigkeit und emotionale Leere, Entscheidungsunfähigkeit, Schuldgefühle, Desinteresse und Konzentrationsprobleme. Psychomotorisch könnten eine geringe Mimik, Bewegungsarmnut und Stupor, andererseits aber auch Agitiertheit, Unruhe und ein leerer Beschäftigungsdrang zum Tragen kommen.
Renner warnte vor einem 30mal höheren Suizidrisiko bei depressiven Menschen im Vergleich zur Normalbevölkerung. In Deutschland begehen etwa 10.000 Betroffene pro Jahr Suizid, davon etwa 70 Prozent Männer. Suizidversuche sind noch um ein Vielfaches häufiger und werden auf etwa 100.000 pro Jahr geschätzt. Viele Menschen mit Suizidabsichten könnten, so heißt es, gerettet werden. »Daher ist es wichtig insbesondere für Apothekenmitarbeiter, entsprechende Warnsignale interpretieren und Betroffenen gegebenenfalls auch weitergehende Hilfen anbieten zu können«, sagte Renner.
Sie verwies in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des ABDA-Leitfadens »Suizidale Menschen in der Apotheke – Warnzeichen erkennen und reagieren«. Der Leitfaden gibt Hinweise zur professionellen Kommunikation mit dem Patienten. Ebenso werden Kontaktadressen und Ansprechpartner genannt. Er kann auf der ABDA-Website im internen Bereich für Apotheker unter dem Punkt »Weitere Arbeitshilfen« kostenlos heruntergeladen werden.
Liegt der Depression eine Dysbalance der Aktivität noradrenerger und serotonerger Neurotransmittersysteme zugrunde, so kommen in der Therapie Antidepressiva verschiedener Wirkstoffgruppen zum Einsatz, die auf verschiedene Weise, sprich: auf Enzym- oder aber auf Transporterebene am synaptischen Spalt in dieses System eingreifen.
Detailliert schilderte Renner die Wirk- und Nebenwirkungsprofile sowie die Interaktionspotentiale von tri- und tetrazyklischen Antidepressiva, selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI), selektiven Serotonin-Noradrenali- Reuptake-Inhibitoren (SSNRI), MAO-Hemmern und auch Tianeptin. »Sie alle wirken gegen das Gesamtsyndrom«, erläuterte sie.
Alle Antidepressiva seien potenziell gleich stark in der Wirkung. Und: »Alle Depressionen können mit allen Antidepressiva behandelt werden. Der beste Prädiktor für den Therapierfolg ist ein partielles Ansprechen in den ersten zehn Behandlungstagen«, so die Referentin. Sie betonte, dass zwei Drittel der Patienten auf das erste Medikament ansprechen, jedoch anderenfalls die Option bleibt, bis zur optimalen Therapieansprache Behandlungsversuche mit weiteren Wirkstoffen zu starten.
Wichtig zu wissen für den Patienten sei: »Antidepressiva brauchen Zeit, bis sie Effekte zeigen. Und: Nebenwirkungen treten oft nur zu Beginn auf. Die kontinuierliche Einnahme ist wichtig.« Hauptaufgabe des Apothekers sei es, die Adhärenz zu stärken und in diesem Zusammenhang auch Ängste zu nehmen. »Antidepressiva machen nicht abhängig und gehen auch nicht mit Persönlichkeitsveränderungen einher.« Das müsse im Beratungsgespräch immer wieder klar gesagt werden, betonte Renner.