Gentherapie wirksam in Phase-III-Studie |
Die Gentherapie mit Valoctocogen roxaparvovec soll bei Patienten mit Hämophilie A die regelmäßigen Faktor-VIII-Infusionen zumindest vorübergehend überflüssig machen. / Foto: Adobe Stock/Connect world
Von der X-chromosomal vererbten Bluterkrankheit Hämophilie A sind im Wesentlichen männliche Patienten betroffen. Sie bilden infolge verschiedener Mutationen im Gen für den Gerinnungsfaktor VIII nicht genügend funktionsfähigen Faktor VIII und es kommt zu Einblutungen in Weichteile und Gelenke, die zu chronischen Schmerzen und eingeschränkter Mobilität führen. Obwohl die Symptome durch eine regelmäßige prophylaktische Substitution mit rekombianten Gerinnungsfaktoren oder mit dem bispezifischen monoklonalen Antikörper Emicizumab (Hemlibra®) behandelt werden können, lassen sich zum einen Durchbruchblutungen nicht immer verhindern. Zum anderen ist die Therapie aufwendig und für die Betroffenen belastend.
Aus diesem Grund rückt die Option, den monogen verursachten Defekt durch eine Gentherapie zu korrigieren, immer stärker in den Fokus. Ein solches Gentherapeutikum ist Roctavian. In der im »New England Journal of Medicine« veröffentlichten Phase-III-Studie GENEr8-1 erhielten 134 Patienten eine einmalige Infusion mit 6×1013 Vektorgenomen des Gentherapievektors Valoctocogen roxaparvovec (AAV5-hFVIII-SQ). Dieser Vektor enthält eine DNA-Kopie der Faktor-VIII-mRNA (cDNA) integriert in das Genom des adenoassoziierten Virus 5 (AAV5). Das Gen wird von einem spezifischen Promotor gesteuert, sodass der Faktor VIII nur in der Leber synthetisiert wird.
Bei 132 Studienteilnehmern war der mittlere Faktor-VIII-Aktivitätswert in den Wochen 49 bis 52 nach der Infusion um 41,9 IE pro dl gestiegen. Bei den 112 Probanden, die zuvor an einer prospektiven nicht interventionellen Studie teilgenommen hatten, sanken die mittleren, auf ein Jahr hochgerechneten Raten der Verwendung von Faktor-VIII-Konzentraten beziehungsweise der therapierten Blutungen vier Wochen nach der Infusion mit Valoctocogen roxaparvovec um 98,6 beziehungsweise 83,8 Prozent.
Bei allen Teilnehmern trat mindestens ein unerwünschtes Ereignis auf; 22 von 134 (16,4 Prozent) berichteten über schwerwiegende unerwünschte Ereignisse. Erhöhte Alanin-Aminotransferase-Werte traten bei 115 von 134 Teilnehmern (85,8 Prozent) auf, die mit Immunsuppressiva behandelt wurden. Bei keinem der Teilnehmer kam es zur Entwicklung von Faktor-VIII-Inhibitoren oder Thrombosen.
Gegenüber dem »Science Media Center« bezeichnete Privatdozent Dr. Robert Klamroth vom Vivantes Klinikum im Friedrichshain in Berlin die Ergebnisse als erfolgversprechend. Viele Patienten könnten nach der Therapie auf die regelmäßige Injektion von Faktor VIII verzichten. »Das setzt sich auch zwei Jahre nach der Gentherapie fort«, so Klamroth. Allerdings sei die Gentherapie nicht für alle Patienten geeignet und komme etwa dann nicht infrage, wenn neutralisierende Antikörper gegen das Vektorvirus AAV-5 vorhanden seien.
Auch könne eine Gentherapie mit adenoassoziierten Viren die Hämophilie nicht final heilen, weil das in die Leberzelle eingebrachtes Gen nicht in das Erbgut integriert werde. »Wenn die Leber sich im Laufe der Jahre regeneriert und neue Leberzellen bildet und alte absterben, dann sterben auch die Leberzellen ab, die das Gen tragen. Die eingeschleuste Erbinformation geht dann wieder verloren. Dann kann dieselbe Therapie nicht wiederholt werden, weil einem bei der einmaligen Injektion sehr viele Viren infundiert werden, gegen die der Körper dann viele neutralisierende Antikörper bildet«, erklärte Klamroth.
Wie lange der Effekt dieser Therapie anhält, ist momentan noch unbekannt. Dies hatte die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) bereits vor zwei Jahren bemängelt und Roctavian-Hersteller Biomarin um Klarstellung gebeten. Zudem hatte die EMA im Rahmen des damals laufenden Zulassungsverfahrens Bedenken über die interindividuelle Variabilität des Ansprechens auf die Therapie und ein unbefriedigendes Sicherheitsprofil des Gentherapeutikums geäußert und auch diesbezüglich weitere Daten angefordert.
Biomarin zog daraufhin den Zulassungsantrag am 4. November 2020 zurück. Man sehe sich zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage, die geforderten Daten bereitzustellen, hieß es zur Begründung. Allerdings haben die sich abzeichnenden positiven Ergebnisse der GENEr8-1-Studie diese Einschätzung zwischenzeitlich offenbar geändert, denn am 15. Juli 2021 informierte Biomarin darüber, einen neuen Zulassungsantrag bei der EMA gestellt zu haben. Mit einer Entscheidung der EMA darüber, ob sie diesen Antrag akzeptiere, sei in der ersten Jahreshälfte 2022 zu rechnen.