Gemeinsam stark, gemeinsam laut |
Isabel Weinert |
14.06.2023 20:00 Uhr |
Die zahlreichen Demonstranten legten sich ins Zeug, damit nicht weiterhin eine Apotheke nach der anderen für immer das Licht ausmacht. / Foto: PZ/Isabel Weinert
Die Stimmung ist gut auf dem Kochbrunnenplatz in Wiesbaden, wo sich schon weit vor Beginn der offiziellen Protestveranstaltung zahlreiche Apothekenteams versammelt hatten, nicht nur aus Apotheken Hessens, sondern auch aus dem benachbarten Rheinland-Pfalz und zum Teil gar aus dem Saarland.
Doch die friedliche Stimmung täuscht nicht hinweg über die Ernsthaftigkeit, mit der Apotheker und Apothekerinnen, PTA und PKA hier für den Bestand der Apotheken eintreten wollen. »Wir wollen uns endlich Gehör verschaffen«, sagt eine junge Apothekerin aus Berlin, die an diesem Tag zufällig in Wiesbaden ist. »Wir wollen etwas ändern«, ergänzt eine andere. »Wir fanden den Aufruf vom HAV sehr gut, weil viele Dinge so nicht mehr funktionieren«, so eine weitere Stimme aus der Gruppe der Besucher.
HAV-Vorstandsmitglied Miriam Oster bringt es auf den Punkt: »Ich habe das Gefühl, dass die Hessen ganz starken Protest ausüben wollen.« Sie eröffnet die Veranstaltung und leitet mit den Worten »Wir kämpfen dafür, dass wir Apotheken erhalten bleiben, dass nicht weiterhin eine Apotheke nach der anderen für immer das Licht ausmacht! Wir fordern faire Honorare, damit wir unsere Teams fair bezahlen können, denn sie haben es verdient« zu Holger Seyfarth über, dem ersten Vorsitzenden des Hessischen Apothekerverbands, der die Aktion organisiert hat.
»Nur gemeinsam sind wir stark, das zeigen wir hier heute und ich bin ganz sicher, die Politik hört uns«, so Seyfarth. Einige Minister hätten auch bereits reagiert und zwar nicht nur destruktiv. »Herr Habeck hat ganz klar angekündigt, sich das Honorar für die verschreibungspflichtigen Arzneimittel genau anzuschauen. Und er hat auch gesagt, er werde eine Erhöhung auf jeden Fall vorschlagen. Das ist schon mal ein riesen Erfolg.« Solange das dauere, werde man sich aber weiter Gehör verschaffen, »wir werden weiter protestieren, das heute hier wird nicht einmalig bleiben, es werden andere Aktionen folgen.
Die Politik wird uns hören müssen, denn in den letzten zehn Jahren haben ungefähr 2500 bis 3000 Apotheken geschlossen. Damit wir nicht noch weiter kaputtgespart werden, sind wir heute hier«, so Seyfarth.
Zeigten Einigkeit in der Sache: Präsidentin der Landesapothekerkammer Hessen Ursula Funke, Vorsitzender des Hessischen Apothekerverbands Holger Seyfarth, HAV-Vorstandsmitglied Miriam Oster und Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (von links). / Foto: PZ/Isabel Weinert
Aber die Honorierung ist nicht das einzige Thema für Apotheken. »Wir reden mittlerweile auch von einer überbordenden Bürokratie. Wir dokumentieren uns hier wirklich dumm und dämlich. Wir müssen Rabattverträge erfüllen, wir müssen unsere EDV aufrüsten.«
Jedes Mal wieder müsse den Patienten erklärt werden, warum die Tablette jetzt weiß sei und nicht grün, ein immenser Mehraufwand seit 2007, der nirgendwo eingepreist sei. »Diesen Mehraufwand leisten wir aber tagtäglich und dazu sparen wir den Krankenkassen durch die Rabattverträge über 5 Milliarden Euro – kostenlos!
Dabei würde man sich in Apotheken lieber den pharmazeutischen Aufgaben widmen, der Beratung und den Pharmazeutischen Dienstleistungen. Seyfarth monierte hier auch die Idee einer Präqualifizierung und konstatierte: »Weg damit!«
Das ganz aktuelle Thema seien die Lieferengpässe. Dass in einem Land, ehemals Apotheke der Welt, die Regierung es nicht schaffe, stabile Lieferketten aufzubauen, damit die Kinder ihre Fiebersäfte bekämen, die Patienten ihre Schmerzmittel, die Diabetiker ihre Insuline. Wenn der Kurs dieser Regierung weitergehe, werde das Fass irgendwann überlaufen und auch die Bevölkerung werde sich bei der nächsten Wahl genau überlegen, wer hier für was verantwortlich sei.
»Wir haben dieses Jahr wieder die Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern und ganz sicher muss es eine Erhöhung auch wieder für die Mitarbeiter geben. Letztes Jahr gab es schon eine von 10 Prozent, völlig gerechtfertigt aus meiner Sicht«, so Seyfarth.
Dieses Jahr seien es wenigstens 3 Prozent. Wenn man sich die Tarifabschlüsse der anderen Gewerkschaften ansehe, dann müsse die Politik auch dafür sorgen, dass die Apotheken in der Lage seien, diese Gehälter zu bezahlen. »Dafür sind wir heute hier. Nageln Sie die Politiker auf ihre Aussagen fest, es ist schon fünf nach zwölf!«
Auf der Bühne folgte die Präsidentin der Landesapothekerkammer Hessen, Ursula Funke. »Wir lieben unseren Beruf, aber dafür brauchen wir die wirtschaftliche Basis, sonst trocknet diese Liebe ein«, so Funke.
Seit fast 20 Jahren werde ohne nennenswerte Honorarerhöhung gearbeitet. Niemand sonst arbeite für das Gehalt von 2004. Dabei mache die Wertschöpfung der deutschen Apotheken gerade 2 Prozent der Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus. »Die Verwaltungsausgaben der GKV liegen bei 4,5 Prozent. Sie können sich überlegen, wer Kostentreiber ist. Wir alle zusammen sicher nicht«.
Lauterbachs Plan sei ein Almosen, eine Ohrfeige links und rechts. 50 Cent, das sei unglaublich. »Wir lösen die Probleme, die wir nicht geschaffen haben und das geht nicht zum Nulltarif.« Bei der Politik und den Krankenkassen gelte aber das Motto »billig, billiger, am billigsten«.
»Der Dank für all das, was wir in der Pandemie gemacht haben, ist die Honorarkürzung, die wir in diesem Jahr zum 1. Februar hinnehmen mussten. Das beste Arzneimittel wirkt nicht, wenn es falsch eingenommen wird.« Gute Arbeit verdiene auch gute Honorierung. Sonst gebe es keinen Nachwuchs. »Lassen Sie uns gemeinsam stark sein, gemeinsam laut sein und an einem Strang ziehen«, endete Funke.
Die Stadt Mainz ist nicht weit. Die Verbände kämpfen gemeinsam um die Apotheken vor Ort. Petra Engel-Djabarian, Pressesprecherin des Apothekerverbands Rheinland-Pfalz, war deshalb ebenfalls in Wiesbaden und betonte die Bedeutung für einen gemeinsamen Protest beider Bundesländer. Die Bundesregierung sorge nicht für faire Rahmenbedingungen und gerade auch die Pharmaziestudierenden benötigten Verlässlichkeit seitens der Politik und dürften sich nicht als Spielball von Sparzwängen sehen.
Foto: PZ/Isabel Weinert
Die politischen Vertreter von FDP, Linken, SPD und CDU bestätigten die Argumente der Standesvertreter, allerdings mit abweichenden Gewichtungen, was den Applaus der Demonstrierenden unterschiedlich ausfallen ließ.
Abschließend kam der Ministerpräsident des Landes Hessen zu Wort, Boris Rhein. »Es ist exakt der richtige Platz für Ihren Protest, denn mit Ihrem Protest finden Sie jemanden in der Staatskanzlei, der diesen ausdrücklich unterstützt«, so Rhein. Es sei noch nicht zu spät, müsse aber gehandelt werden.
Die entsprechenden, von der derzeitigen Bundesregierung verabschiedeten Gesetze, die den enormen Problemen etwas entgegensetzen sollen, seien falsch, so der Ministerpräsident.
»Wir brauchen dringend wieder diversifizierte Lieferketten, wir brauchen widerstandsfähige Lieferketten, wir müssen den Standort Deutschland stärken, wir müssen den Standort Europa stärken. Wir müssen mindestens wieder die Apotheke Europas werden.« Es müsse das Gespräch stattfinden, über das, was wichtig und was nötig sei.
Der Apothekenprotest in Hessen – ein voller Erfolg. Nach zwei Stunden löste sich die Versammlung auf. Jetzt muss das Gesagte nur noch Gehör in Berlin finden.