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Antihistaminikum auf Abwegen

Geheime Studie mit Famotidin als Covid-19-Mittel

Der Säureblocker Famotidin wird in New Yorker Krankenhäusern im Rahmen einer Studie bei Covid-19 getestet. Im Magazin »Science« ist zu lesen, wie man auf diese Idee gekommen ist. Über die Studie als solche findet man dagegen kaum Informationen.
Sven Siebenand
29.04.2020  13:12 Uhr

Dem Bericht auf der Nachrichtenseite von »Science« ist zu entnehmen, dass die H2-Blocker-Idee auf den amerikanischen Arzt Dr. Michael Callahan vom Massachusetts General Hospital in Boston zurückgeht. Dieser hatte Anfang des Jahres in China gearbeitet, unter anderem in Wuhan. Zusammen mit chinesischen Wissenschaftlern wertete der Mediziner mehr als 6000 Patientenakten von Covid-19-Fällen aus. Dabei fiel auf, dass viele auch sehr alte Covid-19-Überlebende an chronischem Sodbrennen gelitten und Famotidin eingenommen hatten. Der Sterberate war bei diesen Patienten nur halb so hoch wie bei Patienten, die kein Famotidin eingenommen hatten, so die Beobachtung, die allerdings keinen Anspruch auf statistische Signifikanz erheben kann.

Dennoch war es für Callahan Anlass genug, der Sache nach der Rückkehr in die USA nachzugehen. US-Wissenschaftler fanden im nächsten Schritt heraus, dass Famotidin mit hoher Wahrscheinlichkeit an das virale Enzym Papain-ähnliche Protease (Papain-like Protease, PLpro) bindet und es hemmt. Dieses benötigt SARS-CoV-2 für die Replikation. Mithilfe von Modellierungsversuchen erhielt man bei der Testung von 2600 Substanzen diesen Treffer bei Famotidin. Ob andere H2-Blocker hier ebenfalls binden, wird nicht genannt. Da es sich bei Famotidin jedoch um ein Thiazol-Derivat handelt und bei Ranitidin um ein Furan- beziehungsweise bei Cimetidin um ein Imidazol-Derivat ist es eher unwahrscheinlich, dass es sich um einen Klasseneffekt handelt. 

Heimlicher Studienstart

Die Beobachtungen in China und die Erkenntnisse in der Heimat veranlassten Callahan dazu, eine randomisierte Doppelblindstudie zu initiieren. Viele Informationen gibt es bedauerlicherweise nicht dazu, unter www.clinicaltrials.gov ist die Studie ebenfalls nicht gelistet. Laut »Science« sollen insgesamt 1174 Patienten in New Yorker Krankenhäusern vom Betreiber Northwell Health behandelt werden. Eine Gruppe wird dabei mit Hydroxychloroquin, die andere mit Hydroxychloroquin plus Famotidin behandelt.

Warum nur eine Kombinationstherapie und kein Therapiearm mit ausschließlich Famotidin? Laut dem »Science«-Artikel ist die Behandlung mit Hydroxychloroquin in US-Krankenhäusern mittlerweile eine Standardtherapie bei hospitalisierten Covid-19-Patienten, sodass man für eine Monotherapie mit Famotidin nicht ausreichend Patienten hätte rekrutieren können.

Bekannt sind noch zwei weitere Fakten: Famotidin wird in der Studie intravenös verabreicht und dies in einer Megadosis, die dem Neunfachen der Dosis entspricht, die bei Sodbrennen zum Einsatz kommt. Erste Zwischenergebnisse von knapp 400 Patienten sollen schon in den nächsten Wochen bekannt gegeben werden. Das ist möglich, weil die Studie vollkommen unter dem Radar der Öffentlichkeit – und auch der Wissenschaft – schon vor ein paar Wochen gestartet ist.

Bis vergangenen Sonntag wurden schon knapp 200 Patienten in die Studie eingeschlossen. Laut Dr. Kevin Tracey vom Feinstein-Institut für medizinische Forschung bei Northwell Health wollte man die Aufmerksamkeit der Medien bewusst umgehen, damit die an der Studie teilnehmenden Krankenhäuser ausreichend Wirkstoff zur Verfügung haben. Offenbar geschah dies aus Sorge, andere Hospitäler könnten sich auch mit dem Säureblocker eindecken.

Die Geheimniskrämerei um die Studie kommt nicht bei allen gut an. Dr. Carlos Del Rio von der Emory University gibt zum Beispiel bei ABC News seine Skepsis preis. Er sei wegen der verzögerten Veröffentlichung von Studiendetails misstrauisch. Zudem weist er in seinem Statement darauf hin, dass Forscher ihre Absicht, eine Studie wie diese durchzuführen, öffentlich bekannt geben sollten. »Die Wissenschaft muss offen und nicht geheim sein. Wir wollen Transparenz in klinischen Studien.« Del Rio ist auch skeptisch, ob das Mittel tatsächlich bei Covid-19 wirken wird.

Kein Anlass für Selbstversuche

Ein anderer Wissenschaftler hat sich wiederum Callahan und Tracey angeschlossen. Professor Dr. Timothy Wang, Leiter der Gastroenterologie am Columbia University Medical Center in New York, sah in seiner retrospektiven Überprüfung von 1620 Covid-19-Patienten im Krankenhaus weitere Hinweise auf einen Nutzen von Famotidin. Im Fachjournal »Annals of Internal Medicine« will er zusammen mit Tracey und Callahan in Kürze zum Thema Famotidin publizieren. Der Artikel befinde sich derzeit im Review-Prozess.

Retrospektive Analyse hin oder her: Auch die drei Forscher betonen, dass die nun laufende Studie und deren Ergebnisse wichtig sind.  Bis dahin kann man keine Aussage treffen, ob und inwieweit Famotidin bei Covid-19 tatsächlich wirksam ist. Ein Anlass für irgendwelche Selbstversuche oder gar Famotidin-Hamsterkäufe besteht bei Weitem nicht. Interessant finden das Thema aber offenbar viele. Wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet, ist die Suchanfrage nach »Famotidin« zuletzt explosionsartig gestiegen. Nach einer Auswertung der Suchmaschine Google vom Mittwoch stiegen die Anfragen nach dem Begriff «Famotidin» in Deutschland um 5000 Prozent, nachdem berichtet worden war, dass der Wirkstoff bereits getestet werde.

In Deutschland wären Famotidin-Käufe ohnehin nur mit dem Umweg über einen Arzt möglich, da es – anders als in den USA – keine Famotidin-haltigen OTC-Medikamente mehr gibt. Nur Rx-Präparate sind in Deutschland im Handel, allerdings hierzulande lediglich orale Darreichungsformen. In den USA gibt es dagegen auch Famotidin für Injektionszwecke.

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