Gefährliches Spiel mit Analgetika |
Daniela Hüttemann |
10.06.2020 11:04 Uhr |
Sportler sollten sich gut überlegen, ob sie Schmerzen einfach mit Analgetika betäuben, um Sport zu treiben. Schmerzen sollten ernst genommen und der Grund dahinter ausreichend behandelt werden – auch wenn dies eine monatelange Spielpause bedeutet. / Foto: Fotolia/Robert Kneschke
Correctiv und die ARD-Doping-Redaktion haben ein Jahr lang umfangreich zum Thema Schmerzmittelmissbrauch im Fußball recherchiert. Teil dieser Arbeit, die unter dem Hashtag #pillenkick läuft, ist eine Online-Umfrage, an der sich von Dezember 2019 bis März 2020 1142 Fußballer (94,6 Prozent männlich) beteiligt haben. Davon stuften sich 96 Prozent als Amateur ein. 2,5 Prozent spielen in der Regionalliga, 1,0 Prozent bezeichneten sich als Profi.
Vier von fünf gaben an, während ihrer Spielzeit Schmerzmittel eingenommen zu haben. Mehr als jeder Dritte (35,2 Prozent) tat dies mehrmals pro Saison, 6,6 Prozent mindestens einmal pro Monat und 5,3 Prozent mindestens einmal pro Woche. 7,2 Prozent nehmen vor jedem Spiel Analgetika und 1,9 Prozent sogar vor jedem Training. Am beliebtesten mit 52,3 Prozent ist dabei Ibuprofen, gefolgt von Diclofenac (23,3 Prozent) und ASS (14,6 Prozent). Andere Schmerzmittel spielen eine untergeordnete Rolle. Drei von vier Spielern gaben an, schon Ibuprofen vor dem Fußball eingenommen zu haben, jeder Dritte hat es mit Diclofenac probiert.
Als Grund wurde am häufigsten angegeben, dass Schmerzen einer Verletzung gelindert werden sollten (56,7 Prozent). 23,6 Prozent wollten ihre Belastbarkeit nach einer Krankheit oder Verletzung erhöhen. 13,1 Prozent nehmen Analgetika, »um den Kopf frei zu haben und sich sicher zu fühlen« – also sogar prophylaktisch, obwohl sie nicht einmal Schmerzen haben, sondern aus Angst davor. 4,9 Prozent wollen mit Schmerzmitteln ihre Leistung steigern. 1,8 Prozent nehmen Schmerzmittel als Routine ein.
Zwei Drittel schieben dabei den Gedanken an Nebenwirkungen zur Seite. Dabei haben einige aber durchaus unerwünschte Wirkungen zu spüren bekommen. Mit Abstand am meisten genannt wurden die Verschleppung oder Verschlimmerung von Verletzungen sowie Langzeitschäden, zum Beispiel an den Knien, am Rücken, den Adduktoren oder Knöcheln. 25 berichten von Magenproblemen, vier von Leber- und Nierenschäden und elf von Abhängigkeit und Suchtentwicklung. Dass die Einnahme von NSAR gerade vor dem Sport auch das Herz schädigen kann, wusste nur rund die Hälfte der Teilnehmer.
Ein Teilnehmer schrieb: »Ich bin 26 Jahre alt und habe über mehrere Monate viele Schmerzmittel genommen. Die Quittung war, dass ich chronische Knieprobleme habe. Ich habe mir Ibus reingeballert, sodass ich spielen konnte. Am Ende konnte ich nicht mehr 20 Minuten im Auto sitzen, ohne Schmerzen zu haben. Schmerzmittel sind eine Sucht wie Alkohol und Drogen.«
Andere berichten, dass Mannschaftkollegen Ibuprofen wie Smarties einnehmen oder auch verteilen. Ein weiterer Teilnehmer schreibt: »Ich schätze 25 Prozent aller Spieler haben vor Wettkampfpartien Schmerzmittel genommen. Ibuprofen oder Diclofenac. Im Training selten. Viele Spieler wollten
unbedingt spielen und mit leichten Blessuren (Zerrungen, Prellung, Hämathomen, Gelenkschmerzen...) nicht riskieren, aus der Startelf zu fliegen. Bei vier bis fünf Trainingseinheiten und Aufwand, den man pro Woche betreibt, will jeder auch den Ertrag am Wochenende. Sportlich und finanziell (Prämien).«
Zum Teil sind sich die Trainer des Problems bewusst, zum Teil wird aber auch konsequent Leistung und Härte gefordert, heißt es in der zugehörigen Fernsehreportage. Correctiv und die ARD gaben die Umfrage-Ergebnisse auch DFB-Präsident Fritz Keller vor laufender Kamera zu lesen. Dieser reagierte betroffen – und verspricht mehr Aufklärungsarbeit. Apotheker kamen in der Dokumentation übrigens nicht zu Wort. Der Bericht gibt jedoch Anlass, gerade bei jungen Männern die Schmerzmittelabgabe zu hinterfragen.
Auch der Leitfaden der Bundesapothekerkammer zum Arzneimittelmissbrauch verweist auf den weit verbreiteten Analgetika-Konsum im Spitzen- und Freizeitsport, vor allem bei Ausdauersportarten. Darin heißt es: »Eine NSAR-Einnahme erfüllt zwar nicht die Legaldefinition des Dopings, Gesundheitsschäden durch den missbräuchlichen Analgetika-/ NSAR-Konsum (darunter gastrointestinale Blutungen, Nierenschäden) sind allerdings zu erwarten.«