Geballte Ladung |
Was so alles in der Luft zirkuliert: Pollen, Saharasand, Dieselruß und sonstige Feinstaubpartikel, dazu UV-Strahlung und steigende Temperaturen / Foto: Getty Images/Peter Zelei Images
Professorin Dr. Claudia Traidl-Hoffmann sieht einen deutlichen Zusammenhang von Umweltschadstoffen, Klimawandel und steigender Allergiehäufigkeit. »Diesen sehen wir in mehrfacher Hinsicht. Erstens beeinflusst der Klimawandel die Pollenflugzeit, so fliegt etwa die Hasel früher im Jahr. Zweitens produzieren einige Pflanzenarten bei höherem CO2-Gehalt in der Luft deutlich mehr Pollen und drittens steigern Umweltschadstoffe selbst die Allergenität der Pollen.«
Die Umweltmedizinerin berichtet von kürzlich publizierten Untersuchungen, die zeigen, dass der Pollenflug beziehungsweise die -konzentration zugenommen haben, und zwar um 20,9 % zwischen 1990 und 2018 und um 21,5 % allein im Frühjahr. Dieser Effekt scheint in Städten stärker ausgeprägt als in ländlichen Gebieten. Es ist auch dokumentiert, dass Birkenpollen in überdurchschnittlich warmen Jahren fünfmal mehr Birkenallergen Bet v1 tragen als im Vorjahr. »Pollen von Birken, die an einer viel befahrenen Straße standen, hatten ein höheres allergisierendes Potenzial als Birkenpollen, die von Bäumen auf einer Wiese gesammelt wurden«, informiert die Direktorin des Instituts und Fachärztin für Allergologie, Dermatologie und Venerologie im Gespräch mit der PZ.
»In mehreren Versuchen konnten wir zeigen, dass Umweltschadstoffe wie Ozon, Feinstaub oder Stickoxide den Pollen selbst verändern. Allergieauslösende Proteine und andere proentzündliche Substanzen wie Pollenassoziierte Lipidmediatoren (PALM) werden vermehrt darin produziert und sogar neuartige Allergene gebildet. Diese PALM sind Adjuvanzien, also Wegbereiter, und sie triggern das Immunsystem zu einer TH2-Antwort, sie sind also selbst entzündungsfördernd. Sie drängen das Immunsystem in eine proallergische Immunreaktion hinein, die TH2-Antwort wird erhöht.« Pollen beherbergen außerdem ein spezifisches Mikrobiom auf ihrer Oberfläche, also ein eigenes Ökosystem aus Mikroorganismen. Auch das Mikrobiom wird durch Umweltschadstoffe negativ beeinflusst.« Die Summe dieser Faktoren bewirke letztlich eine erhöhte Pollenallergenität um den Faktor 2 bis 3 etwa bei der Birke.
»Wir wissen mittlerweile auch, dass die Umweltschadstoffe nicht nur auf die Pollen wirken, sondern auch auf den Menschen. Sie machen unsere Schleimhäute durchgängiger, sie stören die Immunbarriere der Schleimhaut und machen uns damit empfänglicher für Allergien.«
In der Tat gab es in den vergangenen Jahrzehnten einen exponenziellen Anstieg unter den Allergikern. Experten gehen derzeit von 30 bis 40 Prozent Betroffener aus, die Beschwerden einer allergischen Rhinitis, eines Asthmas bronchiale oder einer Neurodermitis zeigen. »Freilich spielt die genetische Veranlagung eine Rolle. Aber wenn Allergien nur genetisch bedingt wären, müssten sich auch unsere Gene stark verändert haben. Wenn wir von ›Genetik‹ sprechen, muss auch das Stichwort ›Epigenetik‹ fallen, also das Wechselspiel zwischen Genom und Umwelt. Unsere DNA ist relativ stabil und konstant. Umwelteinflüsse hingegen können durch Ein- und Ausschalten von vorhandenen Genen zu Veränderungen führen. Wenn Eltern ihren Kindern die Veranlagung für Neurodermitis vererben, kann es sehr gut sein, dass davon in der Großelterngeneration noch nichts zu finden war, weil eben dort das krankmachende Gen noch nicht aktiv war«, erläutert Traidl-Hoffmann.
Während man noch vor mehreren Jahrzehnten Allergien als Krankheiten von Kindern und Jugendlichen einordnete und allergische Erkrankungen bei Menschen über 50 Jahren seltener beobachtete, sind heute zunehmend auch ältere Patienten jenseits des 70. Lebensjahres von klassischen allergischen Erkrankungen wie Heuschnupfen oder Neurodermitis betroffen. Gibt es eine Erklärung für diesen Wandel in der Altersstruktur? »Diese Frage ist noch nicht geklärt«, sagt die Expertin. »Eine Hypothese ist aber der Einfluss der Epigenetik, dass sich also Schleimhäute durch Umweltfaktoren so verändern können, dass Allergien erst später entstehen.«
Wissenschaftler sehen einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Zunahme von chronisch-entzündlichen Erkrankungen und Urbanisierung/Industrialisierung. »Dabei zieht sich der Aspekt der Diversität wie ein roter Faden hindurch«, bemerkt Traidl-Hoffmann. »Der erste Diversitäts-Aspekt: Eine Vielfalt an Mikroben in der Umwelt geht einher mit einem Schutz vor Allergien. Das traditionelle Leben auf dem Bauernhof, wo eine hohe mikrobielle Vielfalt herrscht, schützt in gewisser Weise vor Allergien und Asthma. Zweitens: Je diverser die Ernährung vor allem im ersten Lebensjahr, desto geringer ist das Risiko für Allergien. Stillen in den ersten vier Monaten und dann eine vielfältige und gesunde Ernährung schützen vor Allergien. Doch unser Lebenswandel speziell in den Industrieländern hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten deutlich verändert. Dazu gehören eine zum Teil einseitige Ernährung mit Fast Food und weniger frischen Produkten direkt vom Erzeuger, weniger regelmäßige Bewegung in und Berührung mit der Natur und eine schlechtere Luftqualität durch starke Industrialisierung. Der Verlust von Diversität geht einher mit einer Zunahme an chronisch-entzündlichen Erkrankungen.«
Die Diversität in der Pflanzenwelt ist aber auch für unsere Gesundheit von Bedeutung. Der Klimawandel verändert Ökosysteme, erklärt die Umweltmedizinerin. »Durch Monokulturen fördern wir neue Allergene, die Beifuß-Ambrosie ist dafür ein klassisches Beispiel. Auf trockenen, brachliegenden Flächen wächst dieses Traubenkraut hervorragend. In diesen Gebieten ist es durchaus so, dass wir eine Abnahme von Biodiversität haben, dann finden Pflanzen mit neuen Allergenen Nischen, die sie ausnutzen. Dieses Zusammenspiel der Ökosysteme ist unglaublich vielschichtig, alles hängt zusammen. Unser Planet ist ein Ökosystem und wir Menschen sind ein erkranktes Organ.«
Auf der Liste der gefürchteten Allergene steht Ambrosia ganz weit vorne. Doch die hohe Allergenität, die dem Traubenkraut angelastet wird, ist laut Professor Dr. Karl-Christian Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst, zumindest zu hinterfragen. »Es wird viel Unsinn erzählt, dass Ambrosiapollen hochallergisch seien. Behauptungen etwa, Ambrosia würde sofort zu Asthma führen und nicht zu Heuschnupfen, lassen sich in der Literatur nicht bestätigen. Natürlich nehmen wir Ambrosia ernst. Das gibt uns die Möglichkeit zu verfolgen, wie eine neue Pflanze hier Fuß fasst. Aber in den vergangenen zehn Jahren war nur ein ganz geringer Pollenflug von Ambrosia in ganz Deutschland zu verzeichnen.«
Viel relevanter ist laut des Allergologen die Tatsache, dass es sich bei Ambrosia artemisiifolia um eine Schwesterpflanze des hierzulande heimischen Beifußes handelt. »Das führt dazu, dass alle Menschen, die auf Beifuß allergisch sind – und das ist eine ziemliche Anzahl –, auch auf Ambrosia reagieren.« Beifuß ist die Leitpflanze für Kräuter- und Gewürzallergiker.
Bergmann kritisiert deshalb auch die hohen Summen, die für »Ambrosia Scouts« und die Vernichtung der Pflanze ausgegeben werden. »Hierfür ist unverhältnismäßig viel investiert worden, während für die anderen Pollenarten kaum Geld in die Hand genommen wird. Die Messung und Erforschung anderer Pollenarten, die unsere Pollenstiftung macht und der ich seit mehr als 30 Jahren vorstehe, wird vom Staat in keiner Weise unterstützt.« Stichwort Birke: »Birkenpollen sind die Pollen, die den meisten Allergikern Probleme bereiten.« 50 Prozent der Summe aller Baumpollen, die bei Pollenallergikern Heuschnupfen auslösen, stammen Bergmann zufolge von der Birke. Ihre Pollen zählen zu denen mit dem höchsten allergenen Potenzial. Was das Birkenallergen so allergisch macht, ist noch nicht endgültig geklärt.
Auch andere Pflanzenarten breiten sich in Deutschland aufgrund sich verändernder klimatischer Bedingungen aus oder werden gezielt angepflanzt. Wie es etwa mit einer zunehmenden Sensibilisierung gegenüber Olivenpollen aussieht, will die Pharmazeutische Zeitung von Bergmann wissen. »In ganz Europa werden verstärkt Olivenbäume angeboten und gepflanzt. Da es eine Kreuzreaktivität zwischen Oliven und Eschen gibt, kommt es hierzulande vermehrt zu Symptomen bei Allergikern, die eigentlich auf Pollen der Esche reagieren. Das ist natürlich interessant, spielt aber epidemiologisch noch keine Rolle«, ordnet der Allergologe die Situation ein.
Die Behauptung, dass Pollen pauschal gesehen immer länger fliegen, ist nicht richtig, stellt Bergmann klar. »Vielmehr hat eine Spreizung des Pollenflugs stattgefunden. Damit ist die Leidenssaison für diejenigen, die auf Bäume, Gräser und Kräuter allergisch reagieren, länger geworden. Für die anderen aber, die etwa nur gegen Birkenpollen allergisch sind, beginnt die Saison früher, hört aber auch eher wieder auf.«
Noch vor drei Jahrzehnten konnten sich Pollenallergiker auf den Winter als Erholungsphase von ihren Beschwerden verlassen. Doch das ist längst vorbei. Aufgrund der relativ milden Temperaturen in den Wintermonaten beginnt die Blütezeit der Frühblüher derzeit rund 14 Tage früher. Tendenz steigend. Am deutlichsten zeigt sich die Veränderung beim Haselnussstrauch. »Es gibt immer mehr Jahre, in denen seine Pollen bereits im Dezember fliegen.«
»Während die Baumpollen insgesamt gesehen früher und in höherer Konzentration fliegen als früher, haben sich die Gräserpollen in den vergangenen 15 Jahren wenig in der Zeit verändert.« Anders verhält es sich bei den Kräutern. Aufgrund der milden Temperaturen im Herbst blühen die Pflanzen selbst im Oktober und November noch, dementsprechend sind dann auch ihre Pollen unterwegs.
Die Pollenmenge in der Luft ist über die Jahre tendenziell gestiegen. »Es gibt über 30 Jahre hinweg mehr Tage, an denen wenigstens 100 Pollen pro Kubikmeter Luft fliegen, die Tage des starken Pollenflugs haben also zugenommen«, erklärt Bergmann. Allerdings rückt er gerade: »Veränderungen treten langsam und allmählich ein und werden immer wieder durch aktuelle Ereignisse verändert. Veränderungen in der Natur sind zwar zu beobachten, sie unterliegen aber großen Schwankungen. Die Bildung, die Freisetzung und der Flug von Pollen sind immer von der aktuellen Wetterlage abhängig, also Niederschlag, Temperatur, Wind und Sonnenscheindauer.«
Auch das gibt es, etwa in diesem Winter: Blühende Hasel- oder Birkenkätzchen, die mit Schnee bedeckt in ihrer Pollenfreisetzung erst mal wieder gehemmt werden. / Foto: Adobe Stock/Johanna Mühlbauer
Der Klimawandel führt zu einer lokalen Häufung extremer Wetterereignisse. Hierzulande nimmt vor allem die Gewitterhäufigkeit zu. Schwere Gewitter wiederum verschlechtern nachweislich Asthma-Attacken. Das zeigen etwa Analysen der sogenannten Thunderstorm-Asthma-Events etwa in Melbourne oder London. Das Auftreten dreier Faktoren – eine hohe Pollenkonzentration von vor allem Gräsern, sehr starke Winde während des Gewitters und eine erhöhte Feinstaubbelastung – sorgten dafür, dass Klinikeinweisungen von Asthma-Patienten und deren Todesrate anstiegen. Die Erklärung: In Kombination mit der Luftverschmutzung und besonders mit Gewittern platzen die Pollen durch elektrostatische Aufladung der Luft, und die Bruchstücke gelangen tiefer in die Lunge.
Hier gilt es, durch Beobachtung von Wetterlagen und Pollenflug eine präzisere Frühwarnung für Allergiker zu entwickeln, als herkömmliche Pollenkalender sie bieten. Traidl-Hoffmann: »Ein Frühwarnsystem für Allergiker etwa bezüglich solcher Wetterlagen wäre ein gutes Instrument, um Klimaresilienz aufzubauen. Das Klima und die Folgen seiner Veränderung verhalten sich für den Menschen nicht linear. Natürliche Resilienz schützt und federt Veränderungen ab, eben bis zu einem Punkt, an dem das System kippt. Den Klimawandel aufhalten können wir nicht, ihn nur abmildern, indem wir versuchen, eine Klimaresilienz aufzubauen, also Strategien zu entwickeln, wie wir trotzdem überleben können.« Fürs Erste schützen die jetzt überall getragenen Masken auch vor Pollen und damit auch vor Asthma-Anfällen.