Gallensäuretransporter wird gehemmt |
Annette Rößler |
02.02.2023 07:00 Uhr |
Die Gallengänge in der Leber sind bei Patienten mit Alagille-Syndrom meist verkümmert. Dadurch kommt es zu einer Cholestase. / Foto: Getty Images/mi-viri
Das Alagille-Syndrom (ALGS) ist eine nach dem Erstbeschreiber, dem französischen Kinderarzt Daniel Alagille (1925 bis 2005), benannte genetische Erkrankung, an der etwa eines von 70.000 bis 100.000 Neugeborenen leidet. Infolge von bestimmten Mutationen in den Genen JAG1 oder NOTCH2 sind einzelne Differenzierungsproteine defekt und es kommt zu Fehlbildungen von Organen wie Herz, Niere oder Augen. In der Leber sind bei Patienten mit ALGS meist die Gallengänge verkümmert, sodass sich die Gallenflüssigkeit zurückstaut (Cholestase). Dies kann starken Juckreiz verursachen.
Mit Maralixibat (Livmarli® 9,5 mg/ml Lösung zum Einnehmen, Mirum Pharmaceuticals) steht jetzt ein Orphan Drug für Patienten mit ALGS und cholestatischem Juckreiz zur Verfügung, das ab einem Alter von zwei Monaten eingesetzt werden darf. Nach oraler Einnahme wird Maralixibat nahezu nicht resorbiert. Es hemmt lokal im distalen Ileum den Gallensäuretransporter IBAT (Ileal Bile Acid Transporter), über den normalerweise ein Großteil der Galle rückresorbiert wird. In der Folge werden Gallensäuren vermehrt mit den Fäzes ausgeschieden und ihre Konzentration im Serum sinkt.
Exakt denselben Wirkmechanismus weist Odevixibat (Bylvay®) auf, das seit September 2021 zur Behandlung von Patienten mit progressiver familiärer intrahepatischer Cholestase (PFIC) verfügbar ist. Die Ursache des Gallestaus ist bei PFIC zwar eine andere als bei ALGS, aber das Ergebnis ist dasselbe, sodass auch hier der IBAT als Target genutzt werden kann. Auch Maralixibat wurde zunächst in der Indikation PIFC getestet und der Zulassungsantrag bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) war bereits gestellt, wurde aber im August 2021 – kurz vor der Markteinführung von Odevixibat – wieder zurückgezogen.
Ein mögliches frühes Anzeichen für das Alagille-Syndrom ist es, wenn die Neugeborenen-Gelbsucht ungewöhnlich lange anhält. / Foto: Getty Images/Karl Tapales
Bei ALGS wird die Einnahme von Maralixibat mit einer Zieldosis von 380 µg pro kg Körpergewicht (KG) einmal täglich empfohlen. Die Anfangsdosis von 190 µg/kg KG einmal täglich sollte nach einer Woche auf die Zieldosis erhöht werden. Bei schlechter Verträglichkeit kann die Dosis erneut halbiert oder die Behandlung unterbrochen werden. Für Patienten über 70 kg beträgt die maximale Tagesdosis 28,5 mg (3 ml Lösung). Jeder Packung Livmarli liegen drei Applikationsspritzen (0,5 ml, 1 ml, 3 ml) bei, sodass auch die Dosierung von kleinen Volumina bei Säuglingen gemäß einer Tabelle in der Fachinformation korrekt möglich ist.
Die Einnahme sollte am Morgen bis zu 30 Minuten vor dem oder zum Frühstück erfolgen, allerdings sollte die Lösung nicht in die Nahrung oder ein Getränk eingemischt werden, da dies nicht untersucht wurde. Eine vergessene Dosis sollte innerhalb von zwölf Stunden nach dem üblichen Einnahmezeitpunkt nachgeholt werden; danach sollte sie ausgelassen und die Einnahme zum nächsten geplanten Zeitpunkt fortgesetzt werden.
Gallensäuren sind wichtig für die Resorption von fettlöslichen Vitaminen. Vor und während der Therapie mit Maralixibat sollten daher die Konzentrationen der fettlöslichen Vitamine A, D, E sowie der INR-Wert überwacht werden. Ebenfalls regelmäßig kontrolliert werden sollte die Leberfunktion. Maralixibat hemmt OATP2B1, weshalb die Aufnahme von Substraten dieses Transportproteins, zum Beispiel Fluvastatin oder Rosuvastatin, beeinträchtigt sein kann. Die gleichzeitige Anwendung von CYP3A4-Substraten mit Maralixibat sollte mit Vorsicht erfolgen.
Während der Schwangerschaft soll die Anwendung von Maralixibat vorsichtshalber vermieden werden. In der Stillzeit ist die Anwendung möglich.
Angesichts des Wirkmechanismus überrascht es nicht, dass die häufigsten Nebenwirkungen von Maralixibat Durchfall (36 Prozent der Behandelten) und Bauchschmerzen (29,1 Prozent) sind. Bei Durchfall sind die Patienten auf eine mögliche Dehydratation zu überwachen und entsprechend zu behandeln.
Wirksamkeit und Sicherheit von Maralixibat wurden in einer 48-wöchigen Studie mit 31 pädiatrischen ALGS-Patienten mit Cholestase und Pruritus gezeigt. Die Teilnehmer waren zwischen einem und 15 Jahre alt (median fünf Jahre) und die Mehrheit von ihnen (90,3 Prozent) erhielt wenigstens ein Arzneimittel gegen Juckreiz (74,2 Prozent Rifampicin und 80,6 Prozent Ursodesoxycholsäure). Die gleichzeitige Anwendung dieser Arzneimittel während der Studie war erlaubt.
Die Studie hatte eine 18-wöchige offene Run-In-Phase, während der alle Probanden mit Maralixibat behandelt wurden (zunächst Dosiseskalation über fünf Wochen, dann 380 µg/kg KG täglich). An der anschließenden vierwöchigen, doppelblinden, randomisierten Absetzphase nahmen noch 29 Patienten teil. Sie erhielten in dieser Phase entweder weiter Maralixibat (13 Patienten) oder Placebo (16 Patienten). Während der letzten Phase der Studie, einer offenen Verlängerung, erhielten wieder alle Teilnehmer Maralixibat.
Zu Beginn der Studie betrug die Konzentration der Serum-Gallensäure (sBA) im Mittel 280 µmol/l. Dieser Wert war bei den Patienten, die durchgehend Maralixibat erhielten, um 88 beziehungsweise 96 µmol/l in Woche 18 beziehungsweise Woche 48 gesunken. In der Placebogruppe gab es in der Absetzphase einen im Vergleich zur Verumgruppe signifikanten Wiederanstieg der sBA; wurde die Behandlung mit Maralixibat wieder aufgenommen, sanken die sBA auf die zuvor unter Maralixibat gemessenen Werte.
Der Schweregrad des Juckreizes wurde anhand des Itch Reported Outcome Observer (ItchRO[Obs]) von den Betreuungspersonen der Patienten beurteilt. Auf dieser Skala bedeutet 0 kein Juckreiz und 4 sehr starker Juckreiz; als klinisch bedeutsame gelten Veränderungen von ≥ 1,0 Punkten.
Zu Baseline betrug der mittlere ItchRO(Obs)-Score 2,9. Unter Maralixibat zeigte sich eine Reduktion um 1,7 beziehungsweise 1,6 Punkte in Woche 18 beziehungsweise Woche 48. Erwartungsgemäß blieb die Juckreiz-Reduktion in der Absetzphase bei Patienten, die weiter mit Maralixibat behandelt wurden, bestehen, während der Score in der Placebogruppe wieder auf die Baseline-Werte anstieg. Wurden die Patienten der Placebogruppe anschließend wieder mit Maralixibat behandelt, besserte sich auch der Juckreiz wieder.
Maralixibat weist keinen neuen Wirkmechanismus auf. Es ist wie das seit 2021 verfügbare Odevixibat ein IBAT-Hemmer. Somit liegt die Einstufung als Analogpräparat nahe. Dafür spräche auch die Tatsache, dass kurz vor der Markteinführung von Odevixibat ein Zulassungsantrag für Maralixibat zur Behandlung der progressiven familiären intrahepatischen Cholestase (PFIC) zurückgezogen wurde. Odevixibat kommt bei PFIC zum Einsatz.
Immerhin wurde für Maraxilibat nun die Zulassung bei einer anderen seltenen Erkrankung, dem cholestatischen Pruritus beim Alagille-Syndrom, erreicht. Das Orphan Drug ist das erste sowohl in der Europäischen Union als auch in den Vereinigten Staaten zugelassene Arzneimittel zur Behandlung dieser Erkrankung. Vorläufig kann man den bisher nur unter »außergewöhnlichen Umständen« zugelassenen Arzneistoff also doch als Schrittinnovation bezeichnen.
Weitere Daten zu Sicherheit und Wirksamkeit wird man im Blick behalten müssen. Auch die europäische Zulassungsbehörde EMA teilt mit, dass die Studien klein und mit Einschränkungen verbunden waren. Maralixibat habe sich jedoch bei der Reduzierung der Gallensäuremenge im Blut sowie bei der Verbesserung der damit verbundenen Symptome, zum Beispiel intensivem Juckreiz, als wirksam erwiesen. Das wird sicher die Lebensqualität der Betroffenen verbessern können und kann unter Umständen Lebertransplantationen vermeiden, wenn der Pruritus die Indikation dafür ist.
Sowohl im Falle von Odevixibat als auch bei Maralixibat darf man auf neue Studienergebnisse bei anderen seltenen cholestatischen Lebererkrankungen gespannt sein. Maralixibat wird zum Beispiel weiterhin bei PFIC und auch bei Gallengangsatresie klinisch getestet.
Sven Siebenand, Chefredakteur