γ-Oszillationen bei Alzheimer stimulieren |
Christina Hohmann-Jeddi |
09.08.2024 16:15 Uhr |
In frühen Alzheimer-Stadien ist die sogenannte γ-Welle, die auch für das Arbeitsgedächtnis verantwortlich ist, reduziert. / Foto: Getty Images/Image_jungle
Im Gehirn zeigen verschiedene neuronale Netze rhythmische Aktivitätsmuster. Eines davon ist die sogenannte γ-Welle oder γ-Oszillation. Diese liegt zwischen 30 bis 120 Hz und steuert neuronale Schaltkreise, die kognitiven Prozessen und dem Arbeitsgedächtnis zugrunde liegen. Bei Patienten mit frühen Alzheimer-Symptomen wie leichten kognitiven Beeinträchtigungen sind die γ-Oszillationen nachweislich reduziert und auch bei zahlreichen anderen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen sind sie gestört.
Seit dies bekannt ist, wird nach Möglichkeiten gesucht, die γ-Oszillationen als Therapie bei Alzheimer zu reaktivieren. In verschiedenen Studien konnten durch Neurostimulation – auditorische, visuelle oder transkranielle magnetische Stimulation mit einer Frequenz von 40 Hz – β-Amyloid-Plaques im Gehirn beseitigt werden. So berichtete ein Team des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA, Ende Februar im Fachjournal »Nature«, dass multisensorische γ-Stimulation die Beseitigung von Amyloid über das glymphatische System, das Abfallentsorgungssystem im Zentralnervensystem (ZNS), fördert.
Die Forschenden um Dr. Mitchell H. Murdock vom MIT setzten Alzheimer-Modellmäuse in einer Spezialkammer Flackerlicht mit einer Frequenz von 40 Hz und sich wiederholenden kurzen Tönen in der gleichen Frequenz aus. Diese γ-Stimulation erhöhte den Zufluss von Liquor und den Abfluss von interstitieller Flüssigkeit in der Hirnrinde und half somit, β-Amyloid abzutransportieren. Dabei scheint der Zusammenhang von γ-Welle und Flüssigkeitstransport darüber zustande zu kommen, dass die γ-Oszillationen die Genaktivität in Gliazellen in Bezug auf Ionenkanäle beeinflussen. Inwieweit die Reduktion der Amyloid-Plaques die kognitiven Funktionen verbessert, ist aber noch unklar.
Eine aktuelle Studie der University of California in Los Angeles (UCLA) zeigt, dass ein Wirkstoffkandidat mit der Bezeichnung DDL-920 die γ-Oszillationen im ZNS stimulieren kann. Das Molekül wirkt als selektiver negativer allosterischer Modulator der γ-Aminobuttersäure-Rezeptoren vom Typ A. Diese Rezeptoren liegen der tonischen Hemmung von Parvalbumin-exprimierenden Interneuronen (PV+IN) zugrunde, die entscheidend an der Erzeugung von γ-Oszillationen beteiligt sind.
DDL-920 hebt die Hemmung der Interneurone auf, die für die γ-Oszillationen verantwortlich sind, und verstärkt somit die γ-Wellen. Ob das Prinzip funktioniert, testete das Team der UCLA an Modellmäusen mit Alzheimer-Pathologie. Die orale Gabe von DDL-920 zweimal täglich über einen Zeitraum von zwei Wochen verbesserte die kognitiven und gedächtnisbezogenen Funktionen von drei bis vier Monate alten Modellmäusen, berichtet ein Team um Xiaofei Wei von der UCLA im Fachjournal »PNAS«.
»Wir sind sehr begeistert von den Ergebnissen, weil es sich um etwas Neues und einen Wirkmechanismus handelt, der in der Vergangenheit noch nicht angegangen wurde«, sagt Seniorautor Dr. Istvan Mody in einer Mitteilung der Universität. Die Behandlung mit DDL-920 sei bei Mäusen zwar wirksam, es sei aber noch viel Arbeit nötig, um festzustellen, ob die Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind.
Sollte sich das Wirkstoff als wirksam und sicher erweisen, könnte er auch einen Ansatz zur Behandlung anderer Krankheiten mit verminderten γ-Oszillationen bieten, wie Depressionen, Schizophrenie und Autismus-Spektrum-Störung, so Mody.