Frühere Prägung Ursache für Long Covid? |
Theo Dingermann |
28.09.2022 07:00 Uhr |
Anhaltende Erschöpfung nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion gehört zu den häufigsten Symptomen von Long Covid. / Foto: Getty Images/Bernd Vogel
Bis zu 20 Prozent der an Covid-19 Erkrankten müssen mit einem unvorhersehbaren, langfristigen Anhalten der Symptome rechnen, obwohl die Infektion offensichtlich abgeklungen ist. Mit Hochdruck wird nach den Mechanismen gesucht, die für diese postakuten Folgen von Covid-19 (Post-Acute Sequelae of Covid-19, PASC) verantwortlich sind, die auch als Long Covid bezeichnet werden. Diskutiert werden unter anderem eine Viruspersistenz, dass also der Erreger noch im Organismus vorhanden ist, oder eine Störung des Immunsystems.
Um weitere Einblicke in das Problem zu erhalten, untersuchten Forschende um Dr. Jonathan D. Herman am Ragon Institute of MGH, MIT and Harvard in Cambridge, USA, Serumproben einer Kohorte von Rheumapatienten, die entweder PASC entwickelt hatten oder nicht. Die Forschenden erstellten dazu ein umfassendes Antikörperprofil gegen SARS-CoV-2 und mehrere andere endemische Erreger oder routinemäßig eingesetzte Impfstoffantigene. Ihre Ergebnisse publizierten sie nun auf dem Preprintserver »Medrxiv«.
Zunächst analysierten die Forschenden die Isotyp-, Subklassen- und Fc-Rezeptor (FcR)-Bindungsprofile der SARS-CoV-2-spezifischen humoralen Immunantworten in den beiden Gruppen. Dabei fanden sie insbesondere Antikörper gegen das SARS-CoV-2-Nukleokapsid und die Spike-Antigene und stellten dabei signifikant niedrigere Spike-spezifische IgG2- und IgM-Antworten bei den Patienten fest, die unter PASC litten. Die Spike-IgG1-Antworten und die Nukleokapsid-spezifischen Gesamtantworten der beiden Gruppen unterschieden sich jedoch nicht voneinander.
Diese und weitere Unterschiede in den Antikörperprofilen deuten auf eine mögliche allgemeine Abschwächung der SARS-CoV-2-Spike-spezifischen Immunität bei Personen mit rheumatischen Erkrankungen hin, die PASC entwickelten.
Die Forschenden erstellten auch Profile der Antikörpertiter und der Fc-Rezeptor-Bindungswerte für eine Reihe anderer Antigene, darunter gängige Impfstoffantigene (Tetanus, Röteln, Masern, Mumps), Herpesviren (Herpes simplex 1, Cytomegalovirus (CMV), Epstein-Barr-Virus, Varicella-Zoster-Virus), andere Coronaviren (SARS-CoV-1 Spike/S1/S2, OC43 Spike/S1/S2, HKU1 Spike/S1/S2) und andere humaninfizierende Krankheitserreger (Influenza, Respiratorisches Synzytialvirus (RSV) und Staphylococcus aureus) sowie gegen ein Kontrollpathogen (Ebola).
Multivariate Analysen dieser breiteren humoralen Immunantwort zwischen PASC- und Nicht-PASC-Personen ergaben signifikant unterschiedliche Gesamt-Antikörperprofile zwischen den beiden Gruppen. Höhere Werte für RSV-spezifische IgM/IgG3-Titer, Influenza-HA-spezifische Fc-gamma-R2a/2b-Bindungswerte, SARS-CoV-1 S1-spezifische IgA- und Tetanus-spezifische IgG/IgM-Titer waren selektiv bei Nicht-PASC-Personen nachweisbar. Umgekehrt waren die CMV-Glykoprotein-B-spezifische Fc-gamma-R2a/3b/IgM- sowie Spike-spezifische Fc-gamma-R3a/3b-Bindungsniveaus für das Erkältungs-Coronavirus OC43 bei Personen mit PASC selektiv angereichert.
Besonders interessant waren die immunologischen Reaktionen gegen das Erkältungs-Coronavirus OC43. Sie deuten möglicherweise darauf hin, dass Long Covid mit einer immunologischen Prägung für Immunantworten auf andere Coronaviren verbunden ist. Diese könnten dann mit einer signifikanten Veränderung der gesamten polyklonalen humoralen Immunantwort auf gängige Krankheitserreger und Impfstoffe einhergehen.
Immer wieder wird das Problem der immunologischen Prägung im Kontext von SARS-CoV-2 diskutiert. In diesem Zusammenhang wurde beobachtet, dass Antikörperreaktionen auf saisonale Coronaviren bei schweren Covid-19-Verläufen angereichert sind, was möglicherweise die Entwicklung sowohl von neutralisierenden als auch von nicht neutralisierenden Antikörpern gegen SARS-CoV-2 hemmt.
Ganz ähnlich scheinen auch bei den Probanden dieser Studie, die PASC entwickelten, verstärkt funktionelle OC43-spezifische Reaktionen typisch zu sein. Auch hier gibt es Anzeichen auf eine mögliche immunologische Prägung, die zu einer ineffizienten Reifung einer SARS-CoV-2-Immunität führen könnte. So könnte eine OC43-spezifische Immunität, die auch durch SARS-CoV-2-Antigenkontakt verstärkt wird, eine SARS-CoV-2-Infektion weniger effektiv kontrollieren und zu anhaltenden Entzündungen und somit zu einer PASC-Symptomatik führen.
Aus diesem Grund spekulieren die Autoren, dass sich immunologische Marker für gewöhnliche Coronaviren auch als Marker für die Entwicklung von PASC eignen könnten.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.