Früher Einsatz von Vitamin D könnte Progression verlangsamen |
Brigitte M. Gensthaler |
21.03.2025 09:00 Uhr |
Die Multiple Sklerose ist die häufigste autoimmun vermittelte Erkrankung des zentralen Nervensystems. Sie korreliert mit einem Vitamin-D-Mangel. / © Shutterstock/Kateryna Kon
In einer randomisierten, placebokontrollierten Studie untersuchte ein Team um Eric Thouvenot von der Universität Montpellier, Frankreich, die Wirkung von oralem Vitamin D3 (Cholecalciferol) bei Menschen mit klinisch isoliertem Syndrom (KIS). KIS ist laut Leitlinie die mutmaßlich erste klinische Manifestation einer multiplen Sklerose (MS). Das Syndrom ist charakterisiert durch einen Schub mit einem neurologischen Defizit, das mit einer MS vereinbar ist, bei dem die MS-Diagnose aber noch nicht gestellt werden kann.
Die Studienteilnehmer bekamen zwei Jahre lang eine Dosierung von 100.000 IU alle zwei Wochen oder Placebo. Personen, deren Vitamin-D-Spiegel über 100 nmol/l lag, wurden nicht in die Studie aufgenommen. Von 316 randomisierten Personen mit KIS schlossen 288 die 24-monatige Studie ab.
Die Vitamin-D-Gabe reduzierte dabei die Krankheitsaktivität, definiert als Auftreten von MS-Schüben und/oder neuen oder Kontrastmittel-aufnehmenden Läsionen in der Magnetresonanztomografie (MRT). 94 Betroffene (60,3 Prozent) in der Vitamin-D-Gruppe und 109 (74,1 Prozent) in der Placebogruppe zeigten Krankheitsaktivität. Unter Vitamin D dauerte es signifikant länger, bis eine Krankheitsaktivität auftrat (432 versus 224 Tage).
Auch bei den drei sekundären MRT-Endpunkten – MRT-Aktivität sowie neue und Kontrastmittel-aufnehmende Läsionen – zeigten sich signifikante Vorteile in der Vitamin-D-Gruppe. Bei den zehn sekundären klinischen Endpunkten gab es dagegen keine signifikanten Unterschiede.
Die Wissenschaftler analysierten zudem eine Subgruppe von 247 Personen, die zu Therapiebeginn die Diagnose einer schubförmig remittierenden MS, aber noch keine krankheitsmodifizierende Immuntherapie bekommen hatten. Bei ihnen wurden vergleichbare positive Effekte der Vitamin-D-Gabe beobachtet. Schwere Nebenwirkungen erlitten 17 Personen in der Vitamingruppe und 13 in der Placebogruppe, aber keine war mit Cholecalciferol assoziiert.
»Dieser Befund könnte bedeuten, dass Vitamin D die Krankheitsprogression nicht nur beim klinisch isolierten Syndrom, sondern auch in der Frühphase der MS signifikant verlangsamen kann«, erklärt Professor Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, in einer Pressemeldung der Fachgesellschaft. »Immerhin wurde in dieser Studie durch die Vitamingabe eine Schubratenreduktion erzielt wie unter einem Immuntherapeutikum.«
Die Autoren der im Dezember 2024 aktualisierten S2k-Leitinie zur Diagnose und Therapie der MS empfehlen die Vitamin-D-Supplementierung bislang aber nur bei einem nachgewiesenen Mangel (Kapitel C.3). Dieser soll durch eine tägliche oder wöchentliche Supplementation ausgeglichen werden. Bei Normalwerten könne die Gabe bis zu hochnormalen Serumspiegeln von 50 bis 125 nmol/l erwogen werden; dabei sollte die tägliche Dosis 4000 IU nicht überschreiten. Ultra-Hochdosis-Therapien mit bis zu 100.000 IU Vitamin D pro Tag sollen nicht verabreicht werden, da schwere Folgekrankheiten wie Nierenversagen oder Herz-Rhythmus-Störungen möglich sind.
Leitlinienautor Professor Dr. Achim Berthele von der Klinik für Neurologie der TU München mahnt zur Zurückhaltung. Ein Vitamin-D-Mangel solle immer ausgeglichen werden, aber keinesfalls dürfe eine Vitaminsubstitution den Beginn einer Immuntherapie verzögern. Zudem würde er niemandem raten, eine wirksame krankheitsmodifizierende Immuntherapie abzubrechen und auf Vitamin D umzustellen.