Forschung nach Alzheimer-Mitteln geht weiter |
Daniela Hüttemann |
18.09.2020 18:00 Uhr |
Für die Alzheimer-Behandlung fehlen nach wie vor wichtige Puzzleteile. / Foto: Getty Images/John Lund/Blend Images LLC
»Deutschland hat in der Alzheimer-Therapieentwicklung eine starke Stellung«, betont vfa-Präsident Han Steutel in einer Pressemitteilung zum Welt-Alzheimer-Tag am 21. September. Umfassende Grundlagenforschung finde insbesondere im Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen mit seinen zehn Standorten mit rund 1000 Mitarbeitern statt. Angewandte Forschung zum Wirkstoffdesign betrieben unter anderem Wissenschaftler in den deutschen Labors mehrerer internationaler Pharmafirmen. Hierzulande wirkten auch viele Krankenhäuser an klinischen Prüfungen zur Erprobung der potenziellen Alzheimer-Medikamenten mit. Derzeit seien deutsche Kliniken laut Studienregister clinicaltrials.gov an 14 verschiedenen industriefinanzierten Studien beteiligt. Weltweit laufen mehr als 100 Studien.
Dabei befinden sich 17 Kandidaten mit unterschiedlichen Wirkmechanismen für die Indikation Alzheimer bereits in der letzten Phase vor dem Zulassungsantrag. »Die verfügbaren Medikamente können den geistigen Verfall nur zeitweilig bremsen«, erklärt Steutel. Gesucht wird nach Arzneimitteln, die eine Demenz verhindern oder dauerhaft aufhalten können. Unklar ist, ob die Kandidaten das Krankheitsgeschehen auch ursächlich beeinflussen können.
Verschiedene Therapeutika haben β-Amyloid oder die daraus entstehenden Plaques als Target. So sollen Aducanumab und Gantenerumab den Abbau dieser Plaques fördern. Solanezumab bindet als BACE1-Inhibitor an lösliches β-Amyloid und soll dadurch die Plaque-Bildung hemmen. Bei Amilomotid (CAD-106) handelt es sich um einen therapeutischen Impfstoff gegen die Plaques.
Erprobt wird auch, ob der Mastzellstabilisator Cromoglicinsäure (Natrium-Cromolyn) in Kombination mit Ibuprofen die Polymerisierung von β-Amyloid-Peptiden zu Plaques hemmen kann, oder ob Humanalbumin dem Gehirn lösliches β-Amyloid entziehen kann. Eine ähnliche Wirkung soll der Calciumkanalblocker Nilvadipin haben, dessen Effekte auf die kognitiven Funktionen in einer klinischen Phase-III-Studie überprüft werden.
Die niedermolekulare Substanz Leuko-Methylthioninium soll dagegen die Aggregation von tau-Fibrillen hemmen. Lecanemab (BAN-2401) ist ein monoklonaler Antikörper, der an lösliche Aβ-Protofibrillen bindet, wieder eine andere Zielstruktur.
Auch verschiedene Enyzme und Rezeptoren werden adressiert. Mit Masitinib ist ein Kinasehemmer in der Phase III vertreten, der aus der Krebstherapie stammt. Er blockiert eine Reihe von Eiweißen, darunter auch den Platelet-derived Growth Factor Receptor (PDGF) und Fibroblast Growth Factor Receptor 3 (FGFR3).
Azeliragon hemmt RAGE, einen Rezeptor auf der Oberfläche von verschiedenen Zelltypen, der unter anderem auch an Aβ bindet und vermutlich am Transport von Amyloiden im Hirn beteiligt ist. Trigriluzol wirkt als Antagonist von Glutamat sowie von bestimmten Dopamin-Rezeptoren und Natriumkanälen.
Auch das muskarinerge System wird weiter anvisiert. Levetiracetam kennen Pharmazeuten aus der Epilepsie-Therapie. Als Acetylcholin-Rezeptorantagonist soll es das Fortschreiten kognitiver und funktioneller Einschränkungen verlangsamen. Bei Octohydroaminoacridinsuccinat handelt es sich um einen weiteren Acetylcholinesterase-Hemmer. Und Blarcamesin ist sowohl ein Antagonist des muskarinischen Acetylcholin-Rezeptors 2 und des muskarinischen Heterorezeptors 3 als auch Agonist am Sigma1-Rezeptor.
Last, but not least listet der vfa Caprylat-Triglycerid (Tricaprilin) zur Förderung der Energieversorgung der Neuronen sowie einen pflanzlichen Wirkstoff mit dem Kürzel SK-PC-B70M, der aus dem Hahnenfußgewächs Pulsatilla koreana, der koreanischen Küchenschelle, stammt. Hier macht der Verband keine näheren Angaben zum potenziellen Wirkmechanismus.
Neben diesen Substanzen, die in den Krankheitsprozess eingreifen sollen, listet der vfa darüber hinaus vier weitere Kandidaten oder Kombinationen in Phase III, die psychotische Begleitsymptome lindern sollen, darunter einige alte Bekannte: Dextromethorphan plus Bupropion, deuteriertes Dextromethorphan plus Chinidin sowie den 5-HT2A-Rezeptor-Invers-Agonisten Pimavanserin und Brexipiprazol, einen D2-Partialagonisten, Modulator an den Serotonin-Rezeptoren 5-HT1A und 5-HT2A und Antagonist an α1B- sowie α2C-Adrenozeptoren, der als atypisches Neuroleptikum bereits in der EU zugelassen ist.
Ob die Wirkstoffe die Hoffnungen erfüllen und tatsächlich in den kommenden Jahren zur Behandlung der Alzheimer-Demenz zugelassen werden, bleibt abzuwarten. Aducanumab hat schon eine Berg- und Talfahrt hinter sich. Gantenerumab verfehlte zuletzt den primären Endpunkt in einer Studie. Und auch Solanezumab galt eigentlich schon als gescheitert. Ein EU-Zulassungsantrag liegt noch für keine der genannten Substanzen vor.