Fett weg – aber nicht die Muskeln |
Annette Rößler |
15.03.2024 16:30 Uhr |
Eine Therapie mit Inkretinmimetika führt bei adipösen Patienten teilweise zu dramatischen Gewichtsverlusten. Wichtig ist, dass dabei möglichst wenig Muskelmasse verloren geht. / Foto: Getty Images/Charles O’Rear
GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) wie Semaglutid (Wegovy®) oder auch der duale GLP-1/GIP-RA Tirzepatid (Mounjaro®) sind als Mittel zur Gewichtsreduktion bei Adipositas sehr gut wirksam. Problematisch ist dabei allerdings, dass die Patienten in der Regel nicht nur Fettgewebe abbauen, sondern auch Muskelmasse verlieren. Dies hat einen in der Vergangenheit eher stiefmütterlich behandelten Forschungszweig beflügelt: Die Suche nach Wirkstoffen, die den Muskelabbau verhindern beziehungsweise den Muskelaufbau fördern.
Auf der Nachrichtenseite des Fachjournals »Nature Biotechnology« stellt die Wissenschaftsjournalistin Carrie Arnold verschiedene Ansätze vor, die dabei verfolgt werden. Einer zielt darauf ab, die Wirkung des körpereigenen Botenstoffs Apelin nachzuahmen. Das Peptidhormon wird aus Muskelzellen nach körperlicher Betätigung vermehrt freigesetzt, es handelt sich also um ein sogenanntes Myokin (Botenstoff der Muskeln) oder auch Exerkin (bewegungsabhängiger Botenstoff). Apelin kurbelt den Stoffwechsel an und führt zu einer verstärkten Aufnahme von Glucose in die Zelle, wodurch die Insulinsensitivität erhöht wird.
Azelaprag (BGE-105) ist ein oral bioverfügbarer Apelin-Rezeptoragonist im Portfolio der Firma Bio-Age. Nach positiven Ergebnissen einer Phase-Ib-Studie, in der Azelaprag bei gesunden Freiwilligen ab einem Alter von 65 Jahren einen Muskelabbau bei zehntägiger strikter Bettruhe statistisch signifikant verhindern konnte, kündigte der Hersteller Ende Oktober 2023 eine Phase-II-Studie an. In dieser wird Azelaprag mit Tirzepatid kombiniert. Man erhofft sich davon nicht nur einen Erhalt der Muskelmasse, wenn die adipösen Probanden im Verlauf der Studie abnehmen, sondern darüber hinaus auch eine Verstärkung der gewichtsreduzierenden Wirkung des Twinkretins.
Diese Hoffnung ist wohl nicht abwegig: Laut Bio-Age hätten adipöse Mäuse in präklinischen Studien unter einer Kombination aus Azelaprag und Tirzepatid mehr Gewicht verloren als unter Tirzepatid allein – und zwar 10 bis 15 Prozent mehr, wie Firmen-CEO Kirsten Fortney gegenüber »Nature« berichtete. Es handele sich um einen sehr starken Synergismus. »Wir sehen nicht nur eine Verstärkung des Gewichtsverlusts, sondern auch eine Verbesserung der Körperzusammensetzung und -funktion. Das ist wirklich aufregend«, gab Fortney zu Protokoll.
Ähnliche Effekte sind möglicherweise über eine andere therapeutische Schiene zu erreichen, nämlich mit Hemmstoffen der Myokine Myostatin und/oder Activin A. Beides sind Botenstoffe, die einen übermäßigen Muskelaufbau verhindern. Menschen, aber auch Tiere mit einem Gendefekt im Myostatin-Gen entwickeln eine außergewöhnlich kräftige Muskulatur. Versuche, Myostatin-Antagonisten bei Erkrankungen einzusetzen, die mit einem vermehrten Muskelabbau einhergehen, waren bislang jedoch erfolglos.