Experten sehen dem Herbst entspannt entgegen |
Christina Hohmann-Jeddi |
06.09.2023 18:00 Uhr |
Eine Reihe von Covid-19-Tests wird wohl in den kommenden Monaten wieder positiv ausfallen. Eine Bedrohung stellt der Anstieg der Fallzahlen deutschen Experten zufolge aber nicht dar. / Foto: Getty Images/Songphol Thesakit
Für den Herbst und Winter rechnen deutsche Experten wieder mit einem Anstieg der Covid-19-Fallzahlen. »Ich gehe davon aus, dass sehr viele von uns in der kommenden Saison noch einmal eine Coronainfektion durchmachen werden«, sagte die Virologin Professor Dr. Sandra Ciesek vom Universitätsklinikum Frankfurt am Mittwoch bei einer Veranstaltung des Science Media Center Germany. Dies sei vor allem ein »Nervfaktor« für alle, wenn die Erkältungszeit komme. Das Kranksein an sich sei störend, aber auch die Ausfälle im Kollegenkreis in den Kliniken. Eine ernste Bedrohung sieht Ciesek aber nicht.
Solange Omikron zirkuliere, sei sie relativ entspannt, so die Virologin. Sie sehe dann keine Gefahr, dass sich die Situation stark verändert oder dass noch einmal staatliche Maßnahmen verhängt werden. Wegen der neu aufgetauchten Virusvarianten sei sie »nicht so richtig« besorgt. Dies gelte auch für die stark mutierte Sublinie BA.2.86, auch Pirola genannt. Diese unterscheidet sich in mehr als 30 Mutationen von der Vorgängervariante BA.2 und auch von der aktuell kursierenden Variante XBB.1.5, an die die aktuellen Covid-19-Impfstoffe angepasst wurden. Zu den pathogenen Eigenschaften von BA.2.86 lägen noch keine Daten vor. Weltweit sei die Variante erst selten nachgewiesen worden. In Deutschland gebe es bislang noch keinen Nachweis, dies sei aber nur eine Frage der Zeit, so Ciesek.
Wie gut die neuen, an die XBB.1.5-Variante angepassten Impfstoffe, von denen der erste bereits in der EU zugelassen wurde und demnächst verfügbar sein wird, auf die derzeit kursierenden Varianten passen, sei schlecht abzuschätzen, sagte Professor Dr. Leif Erik Sander von der Uniklinik Charité in Berlin. Das lasse sich erst im Nachhinein ermitteln. Allerdings hätten Daten aus Beobachtungs- und Registerstudien zu den angepassten bivalenten Impfstoffen aus dem vergangenen Jahr gezeigt, dass die aktualisierten Präparate einen zusätzlichen Schutz im Vergleich zu den nicht angepassten Covid-19-Impfstoffen geboten hätten.
Die bisher publizierten Immunitätsdaten zu den monovalenten XBB.1.5-Impfstoffen zeigten, dass sich die Immunantwort durch sie noch verbreitert, berichtete Sander. Zurzeit sehe es so aus, als ob die Impfstoffe die momentan kursierenden Varianten gut neutralisieren können.
»Es geht aber nicht nur um Covid-19 dieses Jahr«, fügte Sander an. Saisonale Anstiege von Infektionskrankheiten wie Influenza und RSV könnten in Kombination mit Personalmangel wie im Vorjahr relativ schnell an Belastungsgrenzen führen. »Das wird, glaube ich, auch diesen Herbst wieder passieren.« Vor allem in der Kindermedizin und in den Notaufnahmen drohten relativ schnell Engpässe.
Covid-19-Auffrischimpfungen im Herbst könnten hier helfen. Laut Sander arbeite die Ständige Impfkommission (STIKO) aktuell an einer entsprechenden Stellungnahme. Derzeit gelte die Empfehlung, dass nur bestimmte Risikogruppen eine Auffrischung mit den angepassten Impfstoffen erhalten sollen. Dazu zählen Menschen ab 60 Jahren, chronisch Kranke ab einem Alter von sechs Monaten und Bewohner von Pflegeeinrichtungen, die nicht erst kürzlich mit SARS-CoV-2 infiziert waren. Außerdem sollte sich medizinisches und pflegendes Personal boostern lassen. Die Grippeschutzimpfung könne man sich gleichzeitig geben lassen. Für gesunde Kinder werden derzeit weder Auffrischimpfungen noch Grundimmunisierungen gegen Covid-19 empfohlen.
Als größtes Problem der Intensivstationen bezeichnete Professor Dr. Stefan Kluge vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) den schon länger bestehenden Personalmangel insbesondere in der Pflege. 25 Prozent der Intensivbetten seien deshalb nicht nutzbar. »Das ist eine hohe Zahl.« Aktuell sei die Lage in den Kliniken aber stabil. Von den gut 180 Covid-19-Patienten bundesweit, die auf Intensivstationen behandelt würden, sei ein großer Teil eigentlich wegen anderer medizinischer Probleme in Behandlung.
In deutschen Kliniken werde wegen des hohen Aufwands und der hohen Kosten nicht mehr generell auf das Coronavirus getestet, sondern nur noch bei Vorliegen von Atemwegssymptomen, betonte Kluge. Das gelte sowohl für das Klinikpersonal als auch für die Patienten.
»Einen guten Überblick über die Verbreitung des Virus hat man derzeit nicht«, sagte Ciesek. Die Überwachung des SARS-Coronavirus-2 falle im Vergleich zu anderen Ländern in Deutschland geringer aus. Es gebe Daten aus Sentinelpraxen, die auch für die Erfassung von anderen Atemwegserkrankungen für das RKI zuständig sind, aus Abwasseranalysen und Meldungen von positiv getesteten Krankenhauspatienten. Insgesamt ergebe sich aber kein Bild, das repräsentativ sei. Daran arbeite man noch, sagte Ciesek.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.