Es kommt noch dünner |
Daniela Hüttemann |
31.03.2023 16:30 Uhr |
Mit Tirzepatid (Mounjaro®) ist bereits seit September 2022 der erste Polyagonist zugelassen, allerdings nicht als Adipositasmittel, sondern als Antidiabetikum. In Deutschland wurde es noch nicht in den Markt eingeführt. Das Molekül wirkt nicht nur als GLP-1-, sondern auch als GIP-Agonist. GIP steht für das Gastrische Inhibitorische Polypeptid. Damit wird Tirzepatid als dualer GLP-1- und GIP-Agonist bezeichnet und ist eine Weiterentwicklung der GLP-1-Agonisten.
Mit diesem Medikament verloren die Teilnehmer klinischer Studien im Schnitt 23 Prozent des ursprünglichen Körpergewichts, berichtete Tschöp. »Das solche Gewichtsverluste medikamentös erreichbar sind, hätten wir uns früher nicht träumen lassen«, so der Arzt und Wissenschaftler mit Blick auf die Entdeckung der meisten Appetit-regulierenden Hormone in den 1990er-Jahren. Die Zulassung von Tirzepatid als reines Adipositasmittel wird von Experten erwartet – und mit ihm Umsätze von bis zu 25 Milliarden Euro pro Jahr.
Wie Hersteller Lilly der Pharmazeutischen Zeitung auf Nachfrage mitteilt, plant das Unternehmen die Markteinführung von Tirzepatid in der Indikation Typ-2-Diabetes in der zweiten Hälfte dieses Jahres. Den Zulassungsantrag für die Indikation Adipositas habe Lilly im März bei der EMA gestellt. Auf die Frage zur Lieferfähigkeit teilte Lilly uns mit:
»Wir werden Tirzepatid erst in Deutschland auf den Markt bringen, wenn wir auch eine dauerhafte Versorgung der Patientinnen und Patienten gewährleisten können. Dazu bauen wir unsere Produktionskapazitäten aus und errichten derzeit mehrere neue Produktionsstätten, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Wichtig ist natürlich, dass unsere Medikamente nur für die zugelassene Indikation eingesetzt werden und damit den Menschen zur Verfügung stehen, die sie benötigen.«
Relativ weit in der Entwicklung ist auch eine andere Art von dualen Agonisten: Sie stimulieren nicht GLP-1 und GIP, sondern GLP-1 und Glucagon. Mindestens fünf solcher Moleküle befinden sich in der klinischen Phase II, darunter Cotadutid von Astra-Zeneca, Efinopegdutid von Hami und BI456906 von Boehringer Ingelheim und Zealand Pharma.
»Die nächste Stufe sind dann die Triple-Agonisten, die GLP-1, GIP und Glucagon stimulieren – sie wirken im Tiermodell noch einmal besser als die dualen Agonisten und führen zu einem noch schnelleren Gewichtsverlust«, berichtete Tschöp. Auch erste klinische Daten gebe es schon.
Im Dezember 2022 kündigte das Pharmaunternehmen Lilly an, 2023 eine Phase-III-Studie mit dem sogenannten GGG-Tri-Agonisten Retatrudid beginnen zu wollen. Die Phase-II-Daten sollen im Juni präsentiert werden. Gewichtsverluste bis zu 30 Prozent seien denkbar. »Wir erreichen nun mit Medikamenten Ergebnisse, die bislang nur mit Magen-Bypass möglich waren«, ordnete Tschöp ein.
Eine weitere klinische Entwicklung stellte Privatdozent Dr. Timo Müller, ebenfalls vom Helmholtz-Zentrum München, vor. Er arbeitet an einem Ansatz, bei dem GLP-1 nur als Eintrittskarte für GLP-1-rezeptorpositive Zellen genutzt wird. An das GLP-1 koppelten die Helmholtz-Forschenden verschiedene small molecules mit Hormonwirkung, die im Zellkern positive Stoffwechselwege anstoßen sollen, zum Beispiel Estrogen und Tesaglitazar. Das GLP-1-Wirkstoff-Konjugat bindet an den GLP-1-Rezeptor, wird internalisiert und in der Zelle gespalten. Der Wirkstoff erreicht den Zellkern und reguliert die Genexpression, aber eben nur in GLP-1-affinen Zellen.
»Estrogen hat viele positive Effekte auf den Energiestoffwechsel«, erklärte Müller. Es senkt beispielsweise den Appetit und stimuliert die Proliferation der Insulin-produzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse. Im Brust- und Uterusgewebe kann eine Proliferation durch hohe Estrogen-Gaben jedoch zur Entartung als Brust- und Gebärmutterkrebs führen. Die Zellen dort hätten jedoch keine GLP-1-Rezeptoren. In Mäusen funktioniere das Konzept. Dort konnte mit einem GLP-1-Estrogen-Konjugat die Glucosetoleranz der Tiere verbessert werden, ohne dass es zu Uterus-Wucherungen kam.
Ebenfalls vielversprechend sahen Tierversuche mit einem GLP-1-Tesaglitazar-Konjugat aus. Tesaglitazar konnte aufgrund renaler und kardiovaskulärer Nebenwirkungen nicht als Insulin-Sensitizer bis zur Marktreife entwickelt werden. Auch hier hoffen die Forschenden auf eine Stoffwechsel-spezifische Wirkung durch die Kopplung. In der Präklinik wurde bei niedriger Dosierung eine stärkere Gewichtsreduktion erreicht als unter GLP-1-Agonisten.